Willkür im Einzelhandel - Die 2G-Regel gehört abgeschafft

Spielzeug für Ungeimpfte, Sexspielzeug nicht? Die Corona-Regeln im Einzelhandel sind willkürlich und verworren. Das beste wäre, die Ministerpräsidenten kippen die 2G-Pflicht bundesweit.

Impfpass-Kontrolle: Vor dem Saturn-Markt am Berliner Alexanderplatz stehen die Kunden noch Schlange, in Bayern nicht mehr / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Stellen wir uns vor, die Orion Erotik Fachgeschäfte GmbH & Co. KG – und das ist jetzt ein rein fiktives Gedankenspiel – will ihre deutschlandweit rund 140 Filialen wieder für Ungeimpfte öffnen. Und zwar nicht, weil besonders viele Querdenker zu ihrer Stammkundschaft zählen, sondern weil auch das geimpfte oder genesene 2G-Publikum gewisse Hemmungen hat, am Sexshop-Eingang seine Personalien zu präsentieren. Das könnte am Ende zu einem Gerichtsverfahren führen, in dem die durchaus interessante Frage zu klären ist, ob Reizwäsche und Erwachsenenspielzeug als Waren des täglichen Bedarfs zu werten sind. Denn davon hängt es ab, ob die 2G-Pflicht im Einzelhandel gilt oder nicht.

Wie gesagt, das Beispiel ist frei erfunden. Die Orion-Kette hat mit den bisherigen juristischen Scharmützeln um die Einlassbeschränkungen im Handel nichts zu tun. Ihr Pressesprecher Jens Seipp sagt: „Wir halten uns an die jeweils geltenden Regeln, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind.“ Klagen gegen die Corona-Beschränkungen plane Orion nicht. Auch wenn die Folgen der 2G-Pflicht wirtschaftlich zu spüren seien. „Wir verlieren dadurch zwischen 25 bis 35 Prozent Umsatz am Tag“, so Seipp.

Woolworth klagt erfolgreich

Andere Einzelhandelsunternehmen sind kämpferischer. Die Kaufhauskette Woolworth zieht flächendeckend gegen die 2G-Regel vor Gericht. In manchen Bundesländern wurde ihr Begehr, ohne Einlasskontrolle für alle Kunden öffnen zu dürfen, abgelehnt – zumindest im Eilverfahren. In anderen, wie dem Saarland, hatte Woolworth Erfolg. In Niedersachsen kippte das Oberverwaltungsgericht daraufhin sogar die gesamte 2G-Pflicht für alle Handelsunternehmen.

Was wo im Einzelhandel an Corona-Auflagen gilt, ist dermaßen verworren, dass man von Willkür sprechen muss. Deutsche Kleinstaaterei und bürokratische Regelungswut haben zu einem schier undurchdringbaren Geflecht an Bestimmungen, Ausnahmen und unterschiedlichen Interpretationen geführt, dass selbst die Ordnungsämter vor Ort, die diese Regeln eigentlich durchsetzen sollen, kaum mehr durchblicken. Für die klassischen Händler, die in der Coronakrise ohnehin in Existenznot geraten sind, während die Online-Konkurrenz profitierte, wird die Lage zunehmend bedrohlicher.

Söder bereitet 180-Grad-Schwenk vor

Das größte Chaos herrscht derzeit in Bayern. Ministerpräsident Markus Söder, der seinen nächsten 180-Grad-Schwenk vom strengen Pandemie-Bezwinger zum Mittelstandsretter bereits angekündigt hat, fliegt sein 2G-Regiment regelrecht um die Ohren. Im Dezember entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass auch Spielzeug- und Bekleidungsläden Geschäfte für den täglichen Bedarf seien und daher auch Ungeimpfte bedienen dürften. Wie wichtig und dringlich ein täglicher Bedarf sein müsse, sei weder dem Verordnungstext der Staatsregierung noch der Begründung zu entnehmen, erklärten die Richter. Eine Argumentation, die eigentlich die Orion-Erotik-Fachgeschäfte aufhorchen lassen müsste, Bekleidung und Spielzeug gibt es dort schließlich auch.

Doch nicht die Sexshop-Kette, sondern der Elektronikhändler Mediamarkt-Saturn probt nun in Bayern den Aufstand. Einige Märkte des Unternehmens haben im Freistaat die 2G-Regel einfach eigenmächtig ausgesetzt, ohne auf eine Gerichtsentscheidung ober Behördengenehmigung zu warten. Das bestätigte ein Firmensprecher am Mittwoch. Der Sprecher der Handelskette sagte, Elektro- und Elektronikwaren dürften ebenso zur Grundversorgung gehören. Auch große Lebensmittelhändler hätten sie zunehmend im Angebot. Aber Mediamarkt-Saturn folge dem Gesetz, werde Anordnungen der Ordnungsämter Folge leisten und habe keine Klage eingereicht.

Indirekte Impfpflicht

Bevor das Chaos noch größer wird, wäre es am besten, die Ministerpräsidenten einigten sich auf einen mutigen Schritt: Die 2G-Regel gehört bundesweit abgeschafft. Denn erstens reichen Maskenpflicht, Abstandsregeln und Hygienekonzepte vollkommen aus, um das Ansteckungsrisiko beim Einkaufen zu minimieren. Das zeigt der Lebensmittelhandel, der seit Beginn der Pandemie durchgängig für alle geöffnet war. Dabei drängen sich in Supermärkten deutlich mehr Kunden aneinander als in Fachgeschäften.

Das interessiert allerdings kaum jemanden. Denn die 2G-Pflicht dient in Wirklichkeit einem ganz anderen Ziel, als Ansteckungen beim Einkaufen zu verhindern: Sie soll Ungeimpften das Leben schwer machen, damit sie sich doch noch impfen lassen. Es ist eine Art Impflicht durch die Hintertür. Das ist der falsche Weg. Wenn die echte Impfpflicht nicht kommt, weil diese medizinisch, rechtlich und politisch nicht zu vertreten ist, muss auch 2G gekippt werden.

mit dpa-Material
 

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