Wasserstoff - „ Das gigantischste Geschäft des 21. Jahrhunderts “

Der Wasserstoffforscher Robert Schlögl hält die deutsche Energiepolitik für naiv bis gefährlich. Er fordert eine globale Strategie statt nationaler Alleingänge. Denn mit Windkraft- und Solaranlagen wird Deutschland niemals autark seinen Energiebedarf decken können. Eine Lösung sieht Schlögl in Wasserstoff, der in anderen Regionen hergestellt und in verflüssigter Form importiert werden kann.

Robert Schlögl / Berghäuser
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Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Robert Schlögl ist Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin. Seit 2011 ist er zudem Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr. 

Herr Professor Schlögl, wo steht Deutschland bei der Energiewende?

Mit dem Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung kann Deutschland wirklich zufrieden sein. Da haben wir in den vergangenen 15 Jahren viel geschafft. Aber wir haben es leider versäumt zu begreifen, dass eine Energiewende immer zwei Komponenten hat: neben dem Strom, der möglichst sofort verwendet wird, noch einen stofflichen Teil, der als Speicher dient. Bezogen auf das gesamte Energiesystem haben wir daher noch nicht viel geschafft. 

Was zählen Sie zum Gesamtsystem?

Alle Formen der Energie, die wir brauchen. Elektrische Energie macht gerade einmal ein Viertel davon aus. Ein weiteres Viertel ist mechanische Energie, die wir für den Transport nutzen. Aber den mit Abstand größten Teil unseres Energiesystems macht Wärme aus. Wir brauchen sie, um Gebäude zu beheizen und für Produktionsprozesse in der Industrie.

Dafür nutzen wir momentan kaum erneuerbare Energien, sondern vor allem Gas und Erdöl. 

Ja, deshalb steht uns der größte Schritt der Transformation noch bevor. Und ich glaube nicht, dass die Lösung allein in der Elektrifizierung liegt. Natürlich kann man Wärme auch aus Strom erzeugen. Aber es wird niemals genügend erneuerbaren Strom auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik geben, um uns selbst zu versorgen. Deshalb brauchen wir einen weltweiten Handel mit erneuerbaren Energien. Und dafür ist Strom nicht geeignet. Stromleitungen haben eine zu geringe Energiedichte. Wir bräuchten so viele Leitungen, dass es einfach nicht realisierbar ist.

Hier kommt Ihr Forschungsgebiet ins Spiel: Wasserstoff. Ein brennbares Gas, das mit elektrischer Energie hergestellt und später als Brennstoff genutzt werden kann. 

Ich glaube, dass wir an stoffliche Energieträger gebunden bleiben werden. Wasserstoff aus erneuerbarem Strom wird zwar derzeit noch als „Champagner der Energiewende“ verspottet, weil seine Herstellung sehr teuer ist. Aber das gilt in Deutschland, wo einfach nicht ausreichend Solar- oder Windenergie zur Verfügung steht. Wenn man den Wasserstoff an anderen Standorten herstellt, wo man den Strom auch nur deshalb gewinnt, sieht es anders aus. Wir müssen das Problem global angehen. Diese große, internationale Perspektive fehlt mir in der deutschen Diskussion. Unsere Energiewende ist bisher nur eine nationale Nabelschau. Und genau daran droht sie auch zu scheitern.

Was heißt das konkret? Wollen Sie mit Wasserstoff aus afrikanischem Wüstenstrom deutsche Häuser beheizen und Stahlwerke betreiben?

Ob ich das will, spielt keine Rolle. Ich denke, so wird es kommen. Es entsteht gerade ein weltweiter Markt für erneuerbare Energie. Bislang leider ohne Beteiligung Deutschlands.

Warum sind wir da außen vor?

Weil wir lieber langwierige, ideologische Diskussionen über das Für und Wider führen. Andere Länder sind da deutlich pragmatischer und machen einfach mal.

Welche ideologischen Widerstände gibt es?

Es gibt Warnungen vor einem Energie-Kolonialismus. Und es gibt die Befürchtung, dass wir uns in neue Abhängigkeiten begeben. Eine Wasserstoff-OPEC, die uns die Preise diktiert. Doch das lässt sich vermeiden. Denn im Gegensatz zum Erdöl gibt es sehr viel mehr Orte auf der Welt, an denen man erneuerbare Energie gewinnen und Wasserstoff herstellen kann. Das größte ideologische Hindernis in Deutschland ist die falsche Vorstellung, wir könnten ein autarkes Energiesystem schaffen. Das ist blanker Unsinn und einer der Urfehler der deutschen Energiewende.

Deutsche Energiewende-Verfechter vertreten diese Idee aber nach wie vor.

Das ist ja das Schlimme: diese Ideologisierung der Energiepolitik, die vernünftige Lösungen verhindert. Ein energieeffizientes Einfamilienhäuschen lässt sich vielleicht noch autark versorgen, aber nicht die Chemiefabriken oder die Autoindustrie. Das funktioniert einfach nicht. Wir importieren heute 80 Prozent unserer Energie aus dem Ausland. Wenn wir ein florierender Industriestandort bleiben, werden wir das auch in Zukunft tun.

Ursprünglich ging es bei der Energiewende nur darum, die Atomkraftwerke zu ersetzen. Jetzt soll die gesamte Industrie klimaneutral werden.

Nach dem Reaktorunglück in Fukushima hat die Bundesregierung eine Ethikkommission eingesetzt, die sich mit grundlegenden Fragen unserer Energieversorgung beschäftigen sollte. Es wäre gut gewesen, wenn in dieser Kommission ein paar mehr Naturwissenschaftler gesessen hätten. Denn die hätten den Ethikern erklären können, wie groß die Herausforderung ist. Man hat die Dimension des Problems damals nicht verstanden. Und ich befürchte, dass sie heute viele Politiker immer noch nicht verstanden haben. 

Erklären Sie uns die Dimension des Problems.

Ein Atomkraftwerk sieht beeindruckend aus und erzeugt fünf Terawattstunden Energie im Jahr. Aber das ist nur ein sehr kleiner Teil des Gesamtbedarfs. Je nachdem, wie man rechnet, brauchen wir insgesamt 2000 bis 3000 Terawattstunden im Jahr. Das wären 600 Kernkraftwerke. Und die wollen sie nun alle durch Solarzellen und Windräder ersetzen? Das ist schlicht nicht vorstellbar.

Was muss denn aus Ihrer Sicht jetzt geschehen?

Wir brauchen einen systemischen Neustart der Energiewende. Der Ausbau der erneuerbaren Energie in Deutschland ist nett, aber er löst das Problem nicht. Die Erzeugungsanlagen müssen in Übersee stehen, wo sie deutlich mehr produzieren. Auch in Südeuropa gibt es Standorte, die sehr viel besser geeignet sind als Deutschland. 

Aber welchen Beitrag können wir dann in Deutschland leisten?

Aus Deutschland kommen zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen. Was wir hier machen, spielt keine Rolle, solange uns der Rest der Welt nicht folgt. Deshalb ist es kontraproduktiv, wenn wir uns mit einer falsch angegangenen Energiewende wirtschaftlich zugrunde richten. Dann sind wir kein Vorbild für andere Staaten, sondern ein abschreckendes Beispiel. Wenn die deutsche Stahlindustrie und die chemische Industrie das Land verlassen, wäre das der GAU der globalen Klimapolitik. 

Sie meinen, wir sollten die Energiewende lieber etwas langsamer angehen?

Nein, nicht langsamer. Aber wir müssen die richtigen Schwerpunkte setzen. Die Energiewende wird vermutlich das gigantischste Geschäft des 21. Jahrhunderts. Die mit Abstand größte Industrie des Planeten, die fossile Energiebranche, wird durch die Erneuerbare-Energie-Industrie ersetzt. Davon werden diejenigen profitieren, die der Welt die notwendige Technologie liefern. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Der Maschinenbau ist traditionell unsere Stärke.

Sie denken vermutlich an Anlagen zur Wasserstofferzeugung.

Nicht nur die Erzeugung, auch der Transport ist wichtig. Wasserstoff ist ein Gas, das man nicht so leicht transportieren kann. Am sinnvollsten ist es, ihn zu verflüssigen oder in sogenannte Derivate, Ammoniak oder Methanol, zu verwandeln. Dafür braucht man große Technologieparks. Man kann es sich vorstellen wie Raffinerien. Eigentlich sind wir Weltmeister darin, solche Anlagen zu bauen. Aber wir tun es einfach nicht. 

Hat die deutsche Industrie das Potenzial noch nicht erkannt?

Doch, die Industrie hat das Potenzial erkannt. Es beginnt bei der Solarzelle, geht zum Elektrolyseur und über die Pipeline zur Konversionsanlage. Im Hafen wird wieder konvertiert, es kommt wieder in eine Pipeline und geht zum Kunden, der seine Anlagen ebenfalls umrüsten muss. Überall entlang dieser Wertschöpfungskette werden neue Technologien gebraucht, neue Materialien, neue Ventile, neue Regelungstechnik, neue Computer, neue Softwaresysteme. Und das sind genau die Dinge, in denen die deutsche Industrie weltweit führend ist. Die Wasserstoffindustrie könnte der Nachfolger der Autoindustrie werden.

Woran hakt es denn dann?

Es ist ein Henne-Ei-Problem. Der Lieferant investiert nicht in die Wasserstoffproduktion, weil er nicht weiß, ob der Kunde seine Systeme umstellt. Und der Kunde investiert nicht in die System­umstellung, weil er nicht weiß, ob er Wasserstoff geliefert bekommt. Wie löst man dieses Problem? Indem man die Lieferinfrastruktur schafft. Denn die ist das Bindeglied zwischen Lieferanten und Kunden. Wenn der Staat die Leitungen baut, wird es in zehn Jahren einen Wasserstoffmarkt geben. Infrastruktur ist keine Frage des Wettbewerbs und keine Angelegenheit der Privatwirtschaft, sondern Daseinsvorsorge.

Die neue Ampelregierung hat Ihren Wunsch wohl erhört. Denn im Koalitionsvertrag steht: „Wir wollen den Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft und die dafür notwendige Import- und Transport-Infrastruktur möglichst schnell vorantreiben.“ 

Das ist exakt der richtige Weg. Das Henne-Ei-Problem wird über die Infrastruktur gelöst. Nun kommt es darauf an, ob und wie dieses Versprechen in die Tat umgesetzt wird.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wäre die Investition in ein Wasserstoffnetz wesentlich wichtiger für das Gelingen der Energiewende als der allseits beschworene Ausbau der heimischen Windkraft.

Korrekt. Das ist das Allerwichtigste. Wir werden die Energiewende nur im internationalen Kontext lösen können, und das setzt Infrastruktur voraus. Infrastruktur ist der Dreh- und Angelpunkt der Energiewende. Das ist bei der Stromerzeugung genauso. Man hat viele Anlagen der erneuerbaren Energie geschaffen, aber über die Infrastruktur hat man nicht nachgedacht. Jetzt fehlen die Stromleitungen, um die Energie von Norden nach Süden zu transportieren.

Und die Speicher für windstille und dunkle Tage.

Das Speicherproblem löst man mit Wasserstoff. Wir brauchen künftig genauso viele Kraftwerke wie heute. Nur werden wir sie nicht mit fossilen, sondern mit erneuerbaren Energieträgern speisen. Am besten baut man heute Gaskraftwerke, die „hydrogen-ready“ sind. Wenn es genug Wasserstoff gibt, wird das Erdgas dadurch ersetzt. Das ist technisch möglich. Und dann müsste man auch die heutigen Braunkohle-Regionen nicht deindustrialisieren, sondern kann sie weiterhin als Energiezentralen unseres Landes betreiben. Nur wird dort Gas statt Braunkohle verfeuert, und später Wasserstoff.

Technisch mag das möglich sein, aber ist es auch wirtschaftlich? Strom in Wasserstoff umzuwandeln, um dann wieder Strom daraus zu erzeugen, ist mit hohen Energieverlusten verbunden.

Erneuerbare Energie ist im Überfluss vorhanden und zunächst einmal gratis. Man zahlt nichts für Sonnenschein und nichts für Wind. Das einzige Problem ist, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Deshalb muss sie mehrmals gewandelt werden – und das macht sie teurer als die fossile Energie. Systemisch geht es nicht anders.

Die Energiewende-Ideologen versprechen aber immer, dass alles billiger wird, wenn erst mal genug Solaranlagen und Windparks gebaut sind.

Das ist ein falsches Versprechen. Im fossilen System gibt es keine Kosten für die Energiewandlung. Was Mutter Natur vor zehn Millionen Jahren gratis geleistet hat, müssen wir nun selbst machen. Und um diesen Teil wird das Energiesystem teurer, der Faktor liegt zwischen 1,5 und 2. Das gilt überall auf der Welt. Unterschiede entstehen nur dadurch, dass manche Nationen schneller vorangehen als andere.

Andere Nationen setzen auch auf den Ausbau der Kernkraft als verlässliche und nahezu CO2-freie Energiequelle. Werden moderne Atomreaktoren dem Wasserstoffsystem nicht irgendwann Konkurrenz machen?

Atomenergie mag als Nischentechnologie eine sinnvolle Ergänzung sein, aber sie ist nicht Teil der großen Lösung. Denn wenn wir schon ein neues Energiesystem schaffen, dann sollte es in allen Elementen nachhaltig sein. Und Nuklearenergie ist niemals nachhaltig.

Die EU-Kommission ist da anderer Meinung. Sie stuft Kernkraftwerke seit neuestem als Klimaschutz-Technologie ein und deren Finanzierung als nachhaltiges Investment. Warum sehen Sie das anders?

Ganz einfach, weil ein Brennstoff gebraucht wird. Es gibt zwar noch relativ viel Uran auf dieser Welt, aber wenn man die ganze Menschheit mit Nuklearenergie versorgen will, würden die Uranvorkommen vielleicht 30 Jahre reichen. Ich bin kein ausgesprochener Kernkraftgegner und halte es für falsch zu sagen, das sei zu gefährlich. Man muss schon vorsichtig damit umgehen, aber Kernkraft ist vor allem eine nicht nachhaltige und sehr teure Lösung, weil es eine intrinsisch schwierige Technologie ist. Sie ist so viel teurer als Sonne und Wind, dass ich mich frage: Warum sollte man das tun?

Noch von der alten Bundesregierung wurden Sie in den Nationalen Wasserstoffrat berufen. Kurz vor der Bundestagswahl sind Sie wieder ausgetreten. Weshalb?

Wenn die Regierung ein solches Expertengremium schafft, muss dieser Rat so zusammengesetzt sein, dass es ihr auch wirklich Rat geben kann. Und die Politik wiederum muss bereit sein, sich den Rat anzuhören. Beides war beim Wasserstoffrat leider nicht der Fall. Stattdessen wurden dort dieselben fruchtlosen Debatten über die Energiewende geführt, die man auch aus den Fernseh-Talkshows kennt. Das bringt uns nicht weiter.

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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