Ukrainekonflikt und die Folgen - Der weltweite Wirtschaftskrieg eskaliert

Nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine reagierte der Westen mit Sanktionen, die nun immer stärker auf ihn selbst zurückfallen. Aber auch die russische Wirtschaft ist zunehmend betroffen. Hinzu kommen Arbeitskräftemangel, Dürre, Probleme bei der Energieversorgung und die Inflation. Gegen Ende des Jahres wird sich die Lage noch verschlimmern, es droht eine schwere und weltweite Rezession.

Im Hafen von Odessa wird Getreide auf einen unter türkischer Flagge fahrenden Massengutfrachter verladen / picture alliance
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Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Als Russland im Februar in die Ukraine einmarschierte, begann nicht nur ein Bodenkrieg in Europa, sondern auch ein weltweiter Wirtschaftskrieg, an dem fast alle Großmächte beteiligt sind. Der Westen reagierte auf die Invasion mit der Verhängung von Sanktionen gegen Russland und koppelte es noch dazu vom internationalen Finanzsystem ab – in der Hoffnung, Putins Reich würde wirtschaftlich so weit ausbluten, dass es am Ende einlenkt. Umgekehrt setzt der Kreml seine Energieressourcen als strategische Waffe gegen Europa ein und sucht nach neuen Verbündeten und Abnehmern. Das Ausbleiben russischer Energieversorgung hat natürlich einen Schock in der Weltwirtschaft ausgelöst.

Nach knapp sechs Monaten ist die Welt nun in eine neue Phase des Wirtschaftskriegs eingetreten. Selbst die Großmächte haben mit steigender Inflation, einer Pandemie, Energieknappheit und einer möglichen Nahrungsmittelkrise zu kämpfen. Die anhaltend hohen Temperaturen in ganz Europa haben den Energiebedarf der Verbraucher in die Höhe getrieben, während die Industrie versucht, ihre Produktion wieder hochzufahren. Ganz zu schweigen vom bevorstehenden Winter, den Dürren auf beiden Erdhalbkugeln, der Umweltverschmutzung, den Unterbrechungen der Versorgungsketten und der anhaltenden Verwüstung der fruchtbaren Böden in der Ukraine. All dies wird die globalen Wirtschaftsprobleme noch verschärfen.

Schifffahrtsindustrie schwer getroffen

Inflation bedeutet zwar höhere Preise für alle, doch die Folgen des Wirtschaftskriegs gehen über die Preisproblematik hinaus. Die Schifffahrtsindustrie zum Beispiel ist unverhältnismäßig stark betroffen. Unmittelbar nach Beginn der russischen Invasion ging es der Branche in erster Linie darum, die mit dem Kriegsgebiet zusammenhängenden Probleme zu lösen – also etwa die Schiffe aus dem nördlichen Teil des Schwarzen Meeres herauszubringen –, bevor sie sich mit den höheren Betriebskosten befasste. 

Vor allem die russische Schifffahrtsindustrie ist alles andere als zum Stillstand gekommen. Obwohl sie nur ein Prozent der weltweiten Schifffahrt ausmacht, stellen die Russen selbst fast 11 Prozent der Arbeitskräfte in der Schifffahrt (die Ukrainer fast fünf Prozent), und so hat der Krieg einen Arbeitskräftemangel in dieser Branche verursacht. In der Zwischenzeit haben die Unternehmen Prüfverfahren entwickelt, um sicherzustellen, dass sowohl die Eigentumsverhältnisse als auch die Waren nicht unter Sanktionen fallen – was nicht nur kostspielig ist, sondern auch zeitaufwendig und die globalen Lieferkettenprozesse verlangsamt, während sie noch unter dem Einfluss der Pandemiepolitik stehen.

Die Versicherungsbranche war die nächste, die sich an das neue Geschäftsumfeld anpassen musste. Die erste Herausforderung für die Versicherer bestand darin, Verfahren zu entwickeln, die es ermöglichten, die institutionelle Gefährdung durch Sanktionen zu prüfen, sobald diese eintraten (und das in einem noch nie dagewesenen Tempo). Die Sicherstellung einer effektiven Einhaltung der Vorschriften in einem sich schnell entwickelnden Umfeld ist nicht nur teuer, sondern auch riskant, wenn man das Potenzial für Geschäftsverluste bedenkt.

 

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Die Geschwindigkeit der Veränderungen, die die Umsetzung der Sanktionen mit sich gebracht hat, hat dazu geführt, dass Unternehmen nicht in der Lage sind, eine sanktionierte Person zu versichern oder einen sanktionierten Versicherer rückzuversichern, unabhängig von der Art des Geschäfts. Sanktionen, die heute zum Tagesgeschäft gehören, erhöhen weiterhin die Betriebskosten und treiben die von den Unternehmen weltweit gezahlten Prämien in die Höhe – die natürlich in den Endverbraucherpreisen enthalten sind.

Rationierungen nicht ausgeschlossen

Aus all diesen Gründen werden die Rivalitäten weiter zunehmen, wenn die einzelnen Staaten darüber entscheiden, was für sie am besten ist. Sie werden ihre Politik an die massive Anhäufung kleinerer und größerer Schocks anpassen müssen, die sich aus der großen Unsicherheit ergeben, mit der sowohl Produzenten als auch Verbraucher konfrontiert sind. Dazu gehören Ausfuhrbeschränkungen, höhere Lagerschwellen, Maßnahmen zur Förderung der heimischen Produktion oder sogar Rationierungen. Dies wird letztlich zu unbeabsichtigten, unvorhersehbaren Folgen führen, die für alle Staaten schwierig zu bewältigen sind, wobei einige stärker betroffen sein werden als andere.

Die französische Atomaufsichtsbehörde gab am 8. August bekannt, dass sie fünf Kraftwerken eine befristete Ausnahmegenehmigung erteilt hat, damit sie weiterhin heißes Wasser in Flüsse einleiten dürfen (das Land ist derzeit mit einer der schwersten Dürreperioden seit Jahrzehnten konfrontiert). Kühlwasser ist für den Betrieb der Reaktoren in Kernkraftwerken unerlässlich. Doch auch wenn Frankreich ein wichtiger europäischer Erzeuger und Exporteur von Kernenergie ist, machen die Wetterbedingungen es dem Land derzeit schwer, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Letzte Woche erklärte der AKW-Betreiber Électricité de France, dass es die Kernenergieproduktion in zwei weiteren Kraftwerken aufgrund der Wetterbedingungen drosseln muss.

Dies ist auch ein Problem für Deutschland, das gehofft hatte, einen Teil der französischen Stromproduktion zu importieren, um seine Energieabhängigkeit von Russland zu verringern. Angesichts der hohen Inflation und der Erwartung einer Energieknappheit in den kommenden Monaten prüft der deutsche Gesetzgeber Maßnahmen zur Energieeinsparung. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz räumte ein, dass die steigenden Energiekosten eine potenzielle Quelle für soziale Not und Instabilität sind. Inzwischen wirkt sich die Dürre auch auf die deutsche Wirtschaft aus. Der deutsche Verkehrsminister erklärte, dass der niedrige Wasserstand des Rheins zu Problemen in der Schifffahrt führen könnte, und forderte einen Ausbaggerungsplan, um die deutsche Wirtschaft zu schützen. Einfach ausgedrückt: Für das wirtschaftliche Kraftzentrum Europas sieht es derzeit nicht gut aus. Und wenn Russland beschließt, die Erdgaslieferungen zu drosseln, wird sich die Situation noch verschlimmern.

Drohende Hungersnot

Alle diese Probleme zeigen sich auch in der Art und Weise, wie das kürzlich ausgehandelte Getreideexportabkommen im Hafen von Odessa umgesetzt wurde. Die Vereinbarung sollte sicherstellen, dass ukrainisches Getreide nach Afrika und in andere Teile der Welt gelangt, um eine Nahrungsmittelkrise abzuwenden und die globalen Getreidemärkte zu entlasten. Nur Stunden nach Unterzeichnung schlugen jedoch zwei russische Raketen im Hafen ein. Außerdem sind die Hafenbetreiber wie die Schifffahrtsindustrie mit einem Arbeitskräftemangel konfrontiert. Und es gibt zahlreiche rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung der Sanktionen; lokale Quellen berichten von Problemen mit dem Papierkram und den Genehmigungsverfahren.

Russland ist ein führender Exporteur der meisten Rohstoffe, sodass die Sanktionen natürlich in Häfen auf der ganzen Welt ähnliche Fragen aufwerfen. Mit Ausnahme der USA, die sich weitgehend selbst versorgen, sind die meisten Industrieproduzenten – insbesondere China – auf Rohstoffimporte angewiesen. Auch ist China auf die Vereinigten Staaten als Abnehmer seiner Exporte angewiesen. In Anbetracht seiner zunehmenden sozioökonomischen Probleme wird Peking alles tun, um nicht in den Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland hineingezogen zu werden – es sei denn, die Ereignisse um Taiwan zwingen es zu einem solchen Schritt. Für die Geschäftswelt bedeutet dies höhere Betriebskosten und mehr Risiken in der Lieferkette, was alles zu beschleunigtem Onshoring (Inlandsverlagerung) oder Reshoring (Rückverlagerung ins Inland) beiträgt.

Für westliche Unternehmen birgt das Onshoring jedoch ganz eigene Risiken, allen voran die Inflation. Amerikanische Unternehmen müssen mit höheren Energiepreisen rechnen, aber die Europäer haben sogar mit Unsicherheit bei der Versorgung insgesamt zu kämpfen. Sogar wenn Russland die Gaslieferungen nach Europa nicht drosselt, müssen die Europäer mit Rubel einkaufen, was den Euro schwächt und die Inflation in die Höhe treibt. Gleichzeitig muss der Westen, vor allem Europa, dazu beitragen, die ukrainische Wirtschaft über Wasser zu halten. Alle diese Ungewissheit machen Europa zu einem weniger attraktiven Ziel für Unternehmensinvestitionen, ganz zu schweigen von Onshoring.

Gestörte Lieferketten

Die Herausforderungen für den Kreml sind ähnlich, wenn nicht noch schlimmer. Sanktionen und Störungen in der Lieferkette führen dazu, dass immer weniger Waren zu den russischen Produzenten gelangen, und wenn sie dort ankommen, sind sie teurer als früher. Die Regierung hat die Bevölkerung mit ihren Antisanktionsmaßnahmen beruhigt, aber die Unternehmen bekommen die Auswirkungen zu spüren. Eine Maßnahme sieht vor, dass russische Unternehmen einen bestimmten Prozentsatz ihrer Devisen an die Zentralbank gegen Rubel verkaufen müssen, um die nationale Währung zu stützen. Dieser Prozentsatz ist seit Beginn des Krieges deutlich gesunken, aber die strenge Überwachung der Finanzen und die Unsicherheit der Unternehmen gehen weiter.

Der Kreml war sich dieser Risiken bewusst, bevor er in die Ukraine einmarschierte, hat jedoch ein politisches Kalkül verfolgt. Putin stellte die Sicherheitsstrategie Russlands über seinen Wohlstand, denn er wusste, dass den westlichen Gegenmaßnahmen enge Grenzen gesetzt sind. Zunächst einmal ist die Aussicht auf ein schwaches und instabiles, nuklear bewaffnetes Russland weder für Europa noch für die Vereinigten Staaten sehr verlockend. Dem Kreml war jedoch auch bewusst, dass die russische Wirtschaft ohne westliche Technologie nur schwerlich das bisherige Entwicklungstempo beibehalten würde. Die Sanktionen haben begonnen, die russische Energieproduktion zu beeinträchtigen, und es gibt Anzeichen dafür, dass auch die Produktion im verarbeitenden Gewerbe darunter leidet. Selbst wenn Russland von den höheren Rohstoffpreisen profitiert, werden sich vor allem die technologischen Beschränkungen bemerkbar machen und könnten zu sozioökonomischen Problemen führen.

Neue Freunde in Afrika?

Der Kreml ist überzeugt, dass die Russen diese Härten ertragen werden, solange er glaubhaft vermitteln kann, dass man den Krieg gewinnt. Dabei profitiert Moskau von der Möglichkeit, im eigenen Land positive Nachrichten über neue Freunde in Afrika zu verbreiten, die das Land gegen den Westen unterstützen. Es ist zwar unklar, inwieweit die afrikanischen Verbündeten helfen können, aber für die russische Regierung könnte die moralische Unterstützung ausreichen. Gleichzeitig ist unklar, wie sich der Krieg nach den Schäden, die die Pandemie angerichtet hat, auf Russlands Arbeitskräfte auswirkt. In jedem Fall steigt das Risiko einer globalen wirtschaftlichen Destabilisierung immer weiter.

Europa und Russland werden davon als erste betroffen sein. Beiden steht ein schwieriger Winter bevor. Europas Energieabhängigkeit von Russland ist eine große Herausforderung, insbesondere während der schlimmsten Dürre des Kontinents seit Jahrzehnten. Selbst wenn es Russland gelingt, neue Absatzmärkte zu finden, versiegt der Zustrom von Schlüsseltechnologien ins Land. Gegen Ende des Jahres wird sich die Lage noch verschlimmern, vor allem, wenn man die unsichere Lage auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt. Das Beharren Moskaus darauf, dass die Dinge gut liefen, ist beunruhigend. Denn sowohl mit Blick auf Russland wie auch auf die Weltwirtschaft ist das eindeutig nicht der Fall.

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