Wachsende Staatsschulden in der Coronakrise - Einfach abschreiben? Wohl nicht!

Wie sollen die in der Coronakrise immens gestiegenen Staatsschulden jemals zurückgezahlt werden? Egal, welcher Weg gewählt wird: Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Privathaushalte entweder als Steuerzahler oder als Sparer die Lasten tragen werden.

Die Schuldenuhr tickt und tick und tickt / dpa
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Gunther Schnabl ist als Ökonomieprofessor Experte für Geldpolitik. Er leitet das Institut für Wirtschaftspolitik an der Uni Leipzig. Foto: Universität Leipzig

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Nils Sonnenberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig.

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Die Staatsschulden im Euroraum sind in der Corona-Krise nochmals deutlich angestiegen. Sie lagen in Griechenland Ende 2020 bei 205 Prozent des Bruttoninlandsprodukts, in Italien bei 162 Prozent und in Deutschland bei 73 Prozent, weit über dem Maastricht-Grenzwert von 60 Prozent. Eine Gruppe von 110 Ökonomen um Thomas Piketty hat unter dem Motto „Schulden abschreiben, Zukunft gewinnen!“ vorgeschlagen, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken des Euro die Staatsanleihen in Höhe von 3.245 Milliarden Euro einfach abschreiben. So soll neuer Ausgabenspielraum für viel Grünes und Soziales geschaffen werden. Denn die Zentralbanken könnten – anders als private Banken – auch mit negativem Eigenkapital operieren.

Es gibt in der Tat Zentralbanken, die zeitweise ein negatives Eigenkapital hatten. Zum Beispiel die Deutsche Bundesbank in den 1970er Jahren, als die starke Aufwertung der D-Mark die hohen Dollarreserven gerechnet in D-Mark entwertete. Das Eigenkapital wurde über die Jahre hinweg aus den Zentralbankgewinnen wieder aufgefüllt. Heute hält die Deutsche Bundesbank deutsche Staatsanleihen im Umfang von rund 769 Milliarden Euro und erzielte 2019 einen Gewinn von 5,9 Milliarden Euro. Die Bundesbank müsste also 130 Jahre lang ihre Gewinne einbehalten. 2020 ist der ausgeschüttete Gewinn sogar auf null gesunken. Wenn die Bundesbank nicht mithilfe höherer Steuern (oder Ausgabenkürzungen) auf Kosten der Steuerzahler rekapitalisiert würde, dann wäre das Eigenkapital auf Dauer negativ.

Eine Bankenkrise wäre die Folge

Das würde aus drei Gründen das Vertrauen in das Geld- und Finanzsystem unterminieren. Erstens, wenn Zentralbanken Staaten Schulden erlassen und den Ankauf weiterer Staatsanleihen signalisieren, kommt dies einer Staatsfinanzierung durch die Zentralbank gleich. Die Zentralbankunabhängigkeit, die in den europäischen Verträgen verankert ist, wäre ebenso wie die Glaubwürdigkeit der EZB und der nationalen Zentralbanken verloren. Zweitens würden den Guthaben der Geschäftsbanken bei den Zentralbanken des Euroraums, die durch den Ankauf der Staatsanleihen stark gestiegen sind, in den Zentralbankbilanzen keine ausreichenden Vermögenswerte mehr gegenüberstehen. Dies könnte Zweifel an der Werthaltigkeit der Vermögenswerte der Geschäftsbanken wecken, sodass die Kunden ihre Einlagen abziehen. Eine Bankenkrise wäre die Folge.

Drittens würde die Inflation steigen, wenn die Menschen ihre Ersparnisse aus den Banken abziehen und ausgeben. Der Staat würde die Inflation anheizen, wenn durch den Schuldenschnitt neue Ausgaben ermöglicht werden. Wenn beispielsweise die Zuwendungen an Rentner und Arbeitslose großzügiger ausfallen und die Löhne im öffentlichen Sektor steigen, könnten auch die Preise in den Läden angehoben werden. Die Preise im Bausektor könnten noch schneller steigen, wenn die Investitionen des Staates in Infrastruktur wachsen. Auch die Immobilienpreise dürften noch schneller steigen. Höhere Inflation würde das Vertrauen in die Währung untergraben.

Bilanzpositionen der Deutschen Bundesbank

Um das Eigenkapital der Zentralbanken zu erhalten, könnte man nicht nur die Staatsanleihen in den Zentralbankbilanzen, sondern auch die Guthaben der Geschäftsbanken bei den Zentralbanken entwerten. Letztere liegen in Deutschland derzeit bei 1133 Milliarden Euro. Um die entstehende Lücke in den Bilanzen der Geschäftsbanken zu schließen, müssten diese jedoch einen Teil ihrer Verbindlichkeiten entwerten. Beispielsweise die Einlagen der Haushalte, die in Deutschland einen Umfang von 2573 Milliarden Euro haben. Das ist jedoch rechtlich kritisch, weshalb ein schrittweises Vorgehen wahrscheinlicher ist.

Bereits seit 2014 wird auf einen Teil der Guthaben der Geschäftsbanken bei den Zentralbanken des Eurosystems ein negativer Zins erhoben. Dies entspricht einer Entwertung der Guthaben der Banken bei den Zentralbanken des Euroraums, die eine Entwertung der Staatsanleihen um den gleichen Betrag ermöglichen würde. Die Banken müssen bereits jetzt die Lasten einsparen, unter anderem, indem sie Filialen schließen und Mitarbeiter abbauen. Außerdem geben sie vermehrt die negativen Zinsen an die Einleger weiter. Allerdings ist der negative Zins mit derzeit -0,5 Prozent auf einen Teil der Guthaben zu niedrig.

Mit einem Zinssatz von -5 Prozent auf die gesamten Guthaben der Banken könnten hingegen allein in Deutschland Staatsschulden in Höhe von 57 Milliarden Euro pro Jahr abgetragen werden. Das wäre jedoch nur möglich, wenn das Bargeld abgeschafft würde. Sonst könnten sich die Banken und Haushalte dem Zugriff der EZB beziehungsweise der Geschäftsbanken entziehen, indem sie Bargeld halten.

Die Abschaffung des 500-Euro-Scheins kann als erster Schritt in diese Richtung gesehen werden, weil dadurch die Lagerkosten für Bargeld erhöht wurden. Als Ersatz für das Bargeld müsste ein digitaler Euro geschaffen werden, über den die EZB bereits öffentlich nachdenkt. Welcher Weg auch immer gewählt wird, die Haushalte würden entweder als Steuerzahler oder als Sparer die Lasten tragen. Denn Schuldenabbau ohne Schmerz gibt es nicht.

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