Sharing Economy - Fahrlässige Fahrgeschäfte

Ob Sharing per Auto, Roller, Scooter oder Rad – alternative Fahrdienstleister liefern sich einen ruinösen Hyperwettbewerb. Ihr Versprechen von Klimaschutz, Komfort und Kostenersparnis droht zu scheitern. Dazu steht auch noch der Staat auf der Bremse. Dabei müsste er der wichtigste Geschäftspartner sein

Mobilität der Zukunft oder nur Gelegenheit für ein Selfie? E-Roller des Sharing-Anbieters Tier / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Nils Wischmeyer ist freier Finanz- und Wirtschaftsjournalist beim Journalistenbüro dreimaldrei

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In den Berliner Morgenstunden tut sich die Mobilität der Zukunft meist noch schwer. Seit einiger Zeit schon pachtet hier am Potsdamer Platz das Fahrdienst-Start-up Clever­shuttle einen Teil der großen Stellfläche vor dem Gropius-Bau in der Stresemannstraße. Grün-weiß foliert stehen rund 70 Elektro­autos des Herstellers Nissan bereit zur Abfahrt „in eine lebenswerte Zukunft“, wie es auf der Webseite des 2014 gegründeten Berliner Start-ups heißt.

Doch in der morgendlichen Wintersonne glänzen die Karosserien vor allem durch die Abwesenheit von Aufträgen. „Pay less. Move green“, ist auf ihren Seitentüren zu lesen. Aber Rushhour bedeutet weitgehende Flaute für die Clevershuttle-Fahrzeugflotte. Für eilige Pendler ist das Angebot kaum attraktiv. Denn auch clevere Autos stehen im Stau. Dann doch lieber ÖPNV?

Dabei klingen die Versprechen von Clevershuttle so verheißungsvoll wie von so vielen Anbietern der sogenannten neuen Mobilitätsformen: Man biete komfortable Mobilität für kleines Geld, reduziere den Verkehr und verbessere dank E-Autos, betankt ausschließlich mit grünem Strom, die Stadtluft. Als Ride­sharing oder Ridepooling bezeichnen die Gründer ihr Konzept, das ein Hybrid­angebot irgendwo zwischen herkömmlichen Taxen und Bussen sein soll.

Das Geschäft brummt nach der Rushhour

Wer die App von Clevershuttle auf sein Smartphone lädt, kann wie bei anderen solchen Anbietern eine persönliche Start- und Zieladresse eingeben. Ein Algorithmus sucht dann unter den derzeit 150 Clevershuttle-Fahrzeugen in Berlin jenes aus, das der gewünschten Route am nächsten ist. Anders als bei Taxis fahren die Fahrer nicht bis an die Haustür, aber an nahe gelegene, virtuelle Haltepunkte. Während der Fahrt können dann weitere Kunden zu- und aussteigen, wenn der Algorithmus sie der Route zugeordnet hat.

Solche digital errechneten Fahrgemeinschaften für Kunden mit ähnlichem Ziel verlängern mitunter den Fahrtweg. Dafür wird der Fahrgastraum effizient genutzt. Das spart Kosten. Und so bietet Clevershuttle eine immerhin zwölf Kilometer lange Fahrt vom Berliner Ostkreuz bis zum Bahnhof Zoo im Westen für derzeit um die 15 Euro an. Eine Taxifahrt kostet etwa doppelt so viel. Deshalb brummt das Geschäft mit der Mobilität der Zukunft nach der Rushhour dann doch, erst recht am Wochenende. Wem ein Taxi zu teuer oder der ÖPNV zu unbequem ist, der freut sich über solche Kampfpreise.

Viele Anbieter verdienen kein Geld – und geben auf 

Doch die Mobilitätsversprechen der Sharing Economy stehen derzeit auf dem Prüfstand. Die heftigen Preiskämpfe, die Reibereien mit städtischen Behörden und Gerichten, die oft fehlende technische Infrastruktur, die hohen Material- und unterschätzten Personalkosten sowie die Unberechenbarkeit und Sparsamkeit der Kunden hinterlassen Spuren. Ob Start-up oder Großkonzern, fast alle Anbieter solcher Autos, Roller, Scooter oder Fahrräder bangen um ihr wirtschaftliches Überleben.
So entschied der E-Roller-Anbieter Coup Ende 2019, die Straßen von Berlin zu räumen. Dabei hatte die 100-prozentige Bosch-Tochter kurz zuvor noch einen massiven Ausbau der Flotte angekündigt.

Doch dann hieß es plötzlich, das Geschäft habe sich einfach nicht mehr gelohnt. Der dauernde Austausch von Batterien, digitale Entwicklungskosten, ein 24-Stunden-Kundenservice – all das habe sich nicht gerechnet, zumal auch noch die Kunden gegen gestiegene Tarife aufbegehrten und gingen. Im „umkämpften Sharing-Markt“, so Bosch, sei es unter diesen Umständen nicht möglich, „langfristig wirtschaftlich“ zu bleiben. Der Ausflug in die digitale Servicewelt des Sharing des klassischen Autozulieferers in Zeiten von Transformation und Stellenabbau, er dürfte vorerst zu Ende sein.

Illustration: Sebastian König

Kurz darauf gaben Daimler und BMW bekannt, ihren gemeinsamen Carsharing-Dienst ShareNow in Kanada, den USA und den europäischen Metropolen Florenz, Brüssel und London aufzugeben. Erst Anfang 2019 hatten die ewigen Automobilkonkurrenten ihre Marken Car2Go und DriveNow zu ShareNow fusioniert. Man wollte kooperieren, um endlich Gewinne zu erzielen. Ende Februar 2020 soll nun Schluss sein. Der Grund, sich aus Nordamerika zurückzuziehen, basiere auf „äußerst komplizierten Realitäten“, teilte man mit und beschrieb „eine sich schnell entwickelnde wettbewerbsfähige Mobilitätslandschaft“, das Fehlen erforderlicher Infrastruktur und steigende Betriebskosten. Für London klangen die Gründe konkreter. Dort seien die „Adoptionsraten“ so niedrig gewesen, dass es nicht möglich war, die Geschäfte „nachhaltig“ fortzuführen. Anders formuliert: Die Kunden nahmen das Produkt nicht an; es lohnt sich alles nicht, obwohl wir kooperieren.

Erst Cash, dann Crash

Und auch bei den in Deutschland erst 2019 zugelassenen Elektrotretroller-Verleihern steht nach der ohnehin prekären Winterzeit ein Kassensturz an. Zwar verkündete jüngst der US-Anbieter Lime, man mache ein halbes Jahr nach dem Start in Deutschland im Kerngeschäft keine Verluste mehr. Doch ähnlich wie ein Jahr zuvor bei den Bike-­Sharing-Anbietern dürften die Firmen wie Volt, Tier, Circ oder Bird 2020 besonders hart um die überlebenswichtigen Marktanteile kämpfen.
Der Hype und der anschließende Crash bei den Leihfahrräder könnten sich mit den Scootern wiederholen. Die nächste angebliche Revolution des Mobilitätsmarkts würde abgesagt, die nächste Wette um das vermeintliche „next big thing“ ginge verloren. Erst Cash, dann Crash – übrig bleibt viel Müll.

Aber warum sind trotz solcher Aussichten so viele Firmen und Investoren bereit, weiter auf die Sharing-Welt zu wetten? Handelt es sich nur um ganz normale Konsolidierungen eines extrem zukunftsfähigen Marktes? Oder taugt das viel gehypte „Sharing is Caring“ schlicht nicht zum Geschäftsmodell? Das Motto entstammt nämlich keiner kapitalistischen Silicon-Valley-Philosophie. Diesen Sinnspruch ließ sich einst die methodistische Salvation Army, die Heilsarmee, am 1. Januar 1950 als Wortmarke eintragen.

Coole Ideen oder weltfremde Bedürfnisse?

Um soziale Wohltaten aber geht es nicht. Schätzen Kunden zwar Service und Komfort, sind sie aber letztlich nicht bereit, kostendeckende Preise zu zahlen, geschweige denn solche, die Gewinne zulassen? Inwiefern sollte der Staat im Interesse seiner Bürger, der regionalen wirtschaftlichen Entwicklung und des Klimaschutzes die neuen Mobilitätsangebote fördern? Sollte er nicht dringend und radikal deregulieren oder den Mobilitätsmarkt im Sinne konsequenter Daseinsvorsorge lieber an sich reißen?

Die Sharing-Märkte haben ein Problem. Sie folgen den gleichen drei Gesetzen wie die Digitalwirtschaft. Erstens: Eine coole Idee ist meist mehr wert als ihr tatsächlicher Mehrwert. Solche Überhöhung lässt sich beobachten, wenn Anbieter wie Lime ihre E-Tretroller mit dem Slogan „Unlock Life“ bewerben. Mit Lime schalte man, so das Unternehmen, nicht nur seinen Elektro-Scooter frei. Es gehe vielmehr um „ein neues Kapitel in deinem Leben“. Erkennt Lime hier ein tiefes Bedürfnis nach grenzenloser, bequemer, schneller und jederzeit verfügbarer Beweglichkeit? Oder werden hier Fragen beantwortet, die sich keiner je stellte? Wer hat sich 2015 gefragt, wie er die letzten 500 Meter von der Tram zur Arbeit ohne Tretroller schafft? Vermutlich ist man sie einfach gegangen.

Selbst die Großen tun sich schwer

Zweitens: Wie in der Digitalwirtschaft zählt nur die Masse, weil Dienstleistungen nur so zu konkurrenzfähigen Niedrigpreisen angeboten werden können. Egal, ob nun das Prinzip „The winner takes it all“ oder „The winner takes the most“ gelten mag. Nur wer den Markt mit seinem Produkt geradezu überschwemmt, so das digitale Mantra, könne überleben. „Es geht einzig und allein darum, der dominierende Spieler zu sein“, sagt Stefan Weigele, Gründer der Unternehmensberatung Civity. Das Vorbild dafür seien große Plattformfirmen wie Facebook oder Airbnb. Lange sind die Unternehmen nur gewachsen, erst später – als sie den Markt dominierten – verdienten sie Geld. Und dafür braucht es, drittens, ein ganz besonders schnelles Wachstum und jede Menge Investorenkapital.

Doch selbst wer den Markt überrollt und beherrscht, indem er rechtliche Grauzonen konsequent ausreizt, tut sich beim Sharing schwer. So erlitt der nicht nur wegen scheinselbstständiger Fahrer umstrittene Fahrdienstvermittler Uber aus den USA in seinem ersten Quartal an der Börse einen Verlust von rund 4,7 Milliarden Euro. Und auch der Uber-Konkurrent Lyft fährt in den Vereinigten Staaten Quartalsverluste im hohen dreistelligen Millionenbereich ein. Doch der Markt scheint gigantisch. Allein in den USA gaben die Privathaushalte zuletzt 1,2 Billionen Euro für Transport aus. Der Glaube daran, diesen Markt irgendwann zu erobern und damit den Jackpot zu knacken, scheint ungebrochen.

Experte: Das eigene Auto bleibt wichtig

Skeptischer ist einer, der sich mit Autos und ihren Nutzern auskennt. Ferdinand Dudenhöffer von der Universität in Duisburg hat für den gesamten Sharing-Markt festgestellt, woran der fehlende Erfolg zumindest in Deutschland liegen könnte. Tatsächlich würde das eigene Auto, so der Leiter des Center Automotive Research (CAR), wichtiger, Sharing-Dienste blieben in der Nische. „Die Unternehmen sind damals dem Hype gefolgt, waren geblendet von Umfrageergebnissen, haben massiv investiert und merken jetzt, dass all das nur mit hohen Verlusten geht“, sagt er.

Gründe dafür macht der Professor gleich zwei aus: Zum einen seien die Kosten auf Vermieterseite extrem hoch, von den Anschaffungskosten eines Autos bis zu der Zeit, in der es rumsteht, wenn es keiner nutzt. „Solange die Sharing-Dienste so günstig bleiben, kann man damit nichts verdienen.“ Zum anderen, und das sei wesentlich wichtiger, gebe es zu wenig Kundenzuspruch. Zu groß sei der Komfort eines eigenen Autos. „Solange Sie es sich leisten können, teilen Sie sich ja auch nicht den Kühlschrank mit dem Nachbarn“, sagt Dudenhöffer.

Illustration: Sebastian König

Übertragen, da ist er sich sicher, könnte man die Ergebnisse seiner Studie in großen Teilen auch auf Leihfahrräder oder Elektrotretroller. Anfangs gebe es auch dort den Hype, jeder wolle sie nutzen. „Wenn jeder mal ein Foto von sich auf so einem Ding gepostet hat, wird ein Großteil der Elektroroller genauso verschwinden wie die Fahrräder vor ihnen“, prophezeit der Mobilitätsexperte.

Fahrgäste wunderten sich, überhaupt zahlen zu müssen

Doch die großen Player müssen planen. Denn der Wirtschaftsfaktor Mobilität verändert sich in nie da gewesener Weise und Schnelligkeit. Digitalisierung, fortschreitende Urbanisierung, Klimawandel und nicht zuletzt ein verändertes Nutzerverhalten der neuen Generationen sind die Haupttreiber dieser Entwicklung. Für alle Marktteilnehmer geht es deshalb um die Frage: Wer überlebt mit einem profitablen Geschäftsmodell?

Und so bietet längst nicht nur Clevershuttle Ridesharing in Berlin, Kiel, Leipzig, Dresden, München und Düsseldorf an. Auch Daimler fährt mit Mercedes-V-Klasse-Modellen im Joint-Venture mit Viavan unter der Flagge der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) als „Berlkönig“ zumindest durch den östlichen Teil der Hauptstadt. Zusammen mit BMW betreibt Daimler neben dem Carsharing-Angebot Sharenow seit Sommer 2019 auch den taxiähnlichen Fahrerdienst Freenow in mehr als 100 Städten. Mit dem Angebot Ride versucht man mit absoluten Kampfangeboten von nicht mal elf Euro Festpreis pro Fahrt Uber von der Straße zu drängen. Doch selbst das scheint einigen noch nicht günstig genug zu sein. Ein Freenow-Fahrer aus Hamburg erzählt, es passiere ihm immer wieder, dass Fahrgäste sich wunderten, überhaupt zahlen zu müssen. „Die denken wirklich, der Name Freenow heißt umsonst jetzt“, sagt er. 

Im Kampfpreismodus fährt auch die VW-Tochter Moia. Mit eigens entwickelten, auffällig gold lackierten, im Innern futuristisch anmutenden Elektro-­Vans befährt man derzeit Hamburg und Hannover. Ein USB-Anschluss und WLAN-Zugang sind an jeder der weißen Ledersitzschalen inklusive. Über die Anschaffungskosten pro Fahrzeug schweigt man sich aus. Doch selbst optimistisch gerechnet, dürfte ein Van noch mehr als 100 000 Euro kosten. Aus Kreisen von VW-Beschäftigten heißt es, wenn man die aufwendigen Entwicklungskosten mitrechne, läge man sogar deutlich darüber. Der VW-Tochter Moia könne man aber letztlich den Preis anbieten, der für die Bilanz des Start-ups genehm ist.

VW-Vorstand: Der Kleinwagen ist tot 

Um im digitalen Zeitalter nicht selbst zum Zulieferer für Datenunternehmen degradiert zu werden, nehmen die herkömmlichen Autohersteller sogar in Kauf, ihr altes Geschäft zu kannibalisieren. In einem Interview für den Youtube-Tech-Kanal „163 Grad“ drückt sich Jens-Michael May, CEO der VW-Tochter Moia, erstaunlich offen aus: Bei ihrem Ridesharing-Angebot sei „alles darauf ausgelegt, das eigene Auto stehen zu lassen, den Zweitwagen zu verkaufen und am Ende vielleicht sogar ganz ohne eigenes Auto auszukommen“. Er selbst besitze keines. „Viel zu teuer, und man kommt nicht voran“, sagt er, um dann noch einmal nachzulegen: „Es ist eine ökonomische Verschwendung, einen PKW zu fahren.“

Dass hier der CEO der Tochter eines VW-Konzerns spricht, der Hunderttausende Mitarbeiter bislang dank Verbrenner-motorisiertem Individualverkehr beschäftigte, mag verwundern. Doch es passt zu den jüngsten Äußerungen des VW-Chefs Herbert Diess, wonach sich das Modellangebot von VW deutlich verändern werde. Kleinwagen würden durch zusätzliche Spritspartechniken so teuer, dass sie sich kaum einer mehr leisten könne oder wolle, sagte Diess der Fachzeitschrift Automobilwoche. So werde der VW Up ein Drittel teurer als bislang. „Damit ist er tot“, sagte er und stellte dann auch den Polo infrage. 

Die Autokonzerne setzen künftig auf elektrifizierte oder auf mit Wasserstoff betriebene große SUVs mit großen Gewinnmargen. Und auf digitale Dienstleistungen, um irgendwann beim autonomen Fahren noch dabei zu sein.

Auch Zeitungsverlage investieren in neue Mobilität

In Berlin, wenige Meter entfernt vom neuen Clevershuttle-Parkplatz vor dem Gropius-Bau, ragt am Potsdamer Platz der Bahn-Tower in den sonnigen Winterhimmel. Dort oben haben sie entschieden, sich passend zum Ökostrom-Campaigning der Deutschen Bahn am Ridesharing-Anbieter Clevershuttle zu beteiligen. Seit August 2018 hält der Staatskonzern sogar die Mehrheit. 2019 stieg Mitsui, einer der größten Mischkonzerne Japans, mit rund 12 Prozent ein. In die lokalen Clevershuttle-GmbHs investieren selbst Zeitungsverlage. Die zur Madsack-Mediengruppe gehörende Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft hält die Mehrheit an Clevershuttle in Leipzig und in Dresden. An der Ostsee haben die Kieler Nachrichten die Mehrheit an der Clevershuttle Kiel GmbH übernommen.

Tatsächlich meldet Clevershuttle nun, erstmals in einer deutschen Stadt profitabel zu sein. Dies sei mit seinen insgesamt 68 Fahrzeugen der Standort Leipzig, so CEO Bruno Ginnuth. In der boomenden sächsischen Metropole gibt es außer ÖPNV und herkömmlicher Taxis bislang aber auch keine aggressiven Mitbewerber wie etwa in Hamburg. Dort musste sich Clevershuttle im vergangenen Jahr der Konkurrenz geschlagen geben. Auch in Frankfurt und Stuttgart räumte man das Feld. Offenbar, weil die Behörden nicht mitspielten.

Ungeachtet solcher Niederlagen verstehe er „die Profitabilität von Leipzig als Schlüsselmoment“, sagt Bruno Ginnuth. Man wolle deshalb weiter ausbauen. „Mit dem Wissen, wie man ein profitables und nachhaltiges Mobilitätskonzept aufbaut, bringen wir Clevershuttle nun in weitere Städte.“ Unter den drei bis vier neuen Kommunen könnte auch die Millionenstadt Köln sein. Selbst für das wettbewerbs­intensive Berlin und München gibt sich Ginnuth optimistisch. Vielleicht macht Clevershuttle auch dort 2020 zumindest keine Verluste mehr.

Das letzte Ass im Ärmel der Taxilobby

Was dem Start-up mit deutschlandweit 1600 Mitarbeitern ohne Frage hilft, ist die Zugehörigkeit zur Deutschen Bahn. In Leipzig wartet die Clevershuttle-­Flotte auf einem großen Stellplatz neben Gleis 1 noch im Hauptbahnhof. Am wichtigsten Punkt der Stadt erreicht man die Fahrgäste, bevor sie zu den vor dem Gebäude wartenden Taxen kommen. Noch in diesem Jahr soll Clevershuttle außerdem in den sogenannten DB Navigator implementiert werden. Das Ridesharing-Angebot wäre dann aus der Bahn-App heraus buchbar. Nicht zuletzt ist der Staatskonzern im Hintergrund ein Türöffner bei städtischen Behörden, die Obergrenzen für die Anzahl genehmigter Autos festlegen oder aus Angst vor Bränden keine Schnellladesäulen bewilligen.

Was allen Mietwagenanbietern zu schaffen macht, ist jedoch die sogenannte Rückkehrpflicht – das quasi letzte Ass im Ärmel der Taxilobby. Sie besagt laut Personenbeförderungsgesetz, dass Mietwagenchauffeure anders als Taxifahrer nach jeder abgeschlossenen Fahrt zuerst zur Firmenzentrale zurückkehren müssen, bevor sie einen neuen Auftrag entgegennehmen. Ineffiziente Leerfahrten und mehr Verkehr als nötig sind unter anderem die Folge.

Die gesetzliche Hürde wirkt unsinnig, sie hat ihren Ursprung in den 1960er Jahren. Damals schon drohten Mietwagenfirmen mit dem Aufkommen moderner Funkdisposition, den Taxen das Geschäft zu ruinieren. Tatsächlich liegt ein Grund in der Daseinsvorsorge: Taxen haben anders als Mietwagen die Pflicht, jeden Fahrgast von überall mitzunehmen, auch wenn die Strecke nicht lukrativ ist. Nicht ohne Grund fürchtet die Taxibranche ein sogenanntes Cherry-Picking der Sharing-Dienste, während sie selbst auf unrentablen Strecken sitzen bliebe. Der Verband machte Druck gegen die Reformpläne des Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer, die Rückkehrpflicht aufzuheben. Mit bundesweiten Taxidemos ist die selbst ernannte „Scheuerwehr“ seither unterwegs. 

Wie aus Lose-lose Win-win werden könnte

Im Verkehrsministerium liegt die Reform nun auf Eis, auch weil die Bundesländer Konkurrenz für den von ihnen maßgeblich subventionierten ÖPNV fürchten. Auch das nicht ohne Grund. Bislang fehlt der Nachweis, dass Sharing-Angebote den Individualverkehr reduzieren. Die Befürchtung: Sharing-Anbieter locken Zielgruppen an, die sich ein Taxi nicht leisten, nun aber den ÖPNV meiden – Einnahmen, die den notorischen Zuschussbetrieben fehlen würden.

Dabei sitzen die Kommunen mit ihren gewachsenen Nahverkehrsstrukturen in einer Goldgrube. Experten sehen deshalb den Erfolg für Mobilitätsanbieter nicht im Verhältnis B(usiness) to C(ustomer), sondern im B to G – Business to Government. So könnten Städte Lizenzen an Mobilitätsdienstleister verkaufen. Im Gegenzug würde man die Anbieter in die jeweilige Nahverkehrs-App implementieren. Aus Lose-lose würde Win-win. Ein Mobilitätskonzept, das lückenlose, plan- und buchbare Fortbewegung ermöglicht, ohne zwischen privaten und kommunalen Anbietern zu unterscheiden, könnte nicht nur den Verkehr, sondern auch den Wohnungsmarkt entlasten. Wer so innerhalb von 30 Minuten sein Ziel erreicht, zieht womöglich auch in Randgebiete.

In Berlin startete die BVG nun die Jelbi-­App und verspricht: „Alle Mobilitätsangebote Berlins in einer App.“ Doch „alle“ finden sich hier längst noch nicht. Bei Clevershuttle warten sie jedenfalls noch auf die Mitgliedschaft im neuen, exklusiven Verkehrsclub der Hauptstadt.
 

Dieser Text ist in der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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