Mythos Mittelstand - Zeit ist Geld

Die schwäbischen Werbeunternehmer Andreas Funk und Marco Biegert haben die Uhr neu erfunden und so aus einer spielerischen Idee einen Exportschlager gemacht.

Andreas Funk und Marco Biegert haben mit Qlocktwo eine ganz besondere Uhr auf den Markt gebracht / Verena Müller
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Johannes Schweikle ist Buchautor und Journalist. Er lebt auf Schloss Bühl in Tübingen.

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Nicht alle Schwaben wollen nach Berlin. Andreas Funk steht in Schwäbisch Gmünd, einem Städtchen 50 Kilometer östlich von Stuttgart, und zeigt stolz den Lustgarten aus dem 18. Jahrhundert mit dem Rokokoschlöss­chen. Sein Partner Marco Biegert ist so fasziniert von den üppig blühenden Kirschbäumen, dass er schnell ein Foto machen muss.

Dann führen die beiden zum Torwachthäuschen an der ehemaligen Stadtmauer. In den Räumen unter einem klassizistischen Giebel präsentieren und verkaufen sie ihr einziges Produkt: Qlocktwo – eine Uhr wie ein Wandbild. Sie zeigt die Zeit nicht mit Ziffern oder Zeigern an, sondern als Text: „Es ist fünf vor zwei“.

Stilistisch sind sich die beiden einig. Sie tragen schwarze, schmal geschnittene Sakkos. Funk ist 53 Jahre alt, Biegert vier Jahre jünger. Beide sind in Schwäbisch Gmünd aufgewachsen und kennen sich seit der Schulzeit. In den 1980er-Jahren tauschten sie Spiele für den Kultcomputer C64.

Ohne Businessplan zum Geschäft

Ihre Freundschaft hielt auch, als Funk nach Heidelberg ging, um Biologie zu studieren. Biegert bewegte sich nicht weg aus Gmünd, er begann ein Fernstudium der Wirtschaftswissenschaft. 1999 beschlossen die beiden, eine Werbeagentur zu gründen, natürlich in ihrer Stadt. „Unsere Eltern waren skeptisch optimistisch“, sagt Andreas Funk mit verständnisvollem Lächeln.

Die beiden Unternehmer treten symbiotisch auf, sind aber nur beruflich ein Paar. Jeder ist verheiratet, beide haben Kinder. „Unsere Freundschaft hat gehalten, weil wir es geschafft haben, den Neid draußen zu lassen“, sagt Funk.

In der gemeinsamen Werbeagentur stellten sie bald ernüchtert fest, dass ihre Kunden sich meist für klassische Claims entschieden – „hohe Qualität zum günstigen Preis“. Um ihre Kreativität nicht verkümmern zu lassen, gestalteten sie spielerische Objekte fernab des Alltagsnutzens.

 

Noch mehr Mythos Mittelstand: 

 

Biegert sagt: „Was ist die Zeit? Auf diese philosophische Frage gibt es keine endgültige Antwort. Man muss sich ihr auf künstlerische Art nähern.“ Also bastelten sie eine Uhr, die in Worten und in Fünfminutenschritten die Zeit anzeigt. Dieses Wandobjekt begeisterte Bekannte, so kamen die beiden Werber 2009 zu ihren ersten Aufträgen: Baut uns dieses Designerteil!

Das unterscheidet die Qlocktwo Manufacture GmbH von anderen Unternehmen: Am Anfang stand kein Business­plan, sondern die Nachfrage nach einem originellen Produkt. Die Ersparnisse aus der Werbeagentur bildeten den finanziellen Grundstock, auf dem die Firma organisch gewachsen ist. Heute beschäftigt sie 65 Mitarbeiter.

In vielen Sprachen

In der Manufaktur in Schwäbisch Gmünd fertigen sie die Wortuhr in verschiedenen Größen und Ausführungen. Die Variante „Classic“ ist 45 mal 45 Zentimeter groß und kostet in Edelstahl 1560 Euro. Das wandfüllende Format von 180 mal 180 Zentimeter hat ein halbes Jahr Lieferzeit und kostet in Platin 79.000 Euro.

Auch als Armbanduhr ist Qlocktwo inzwischen erhältlich. Im Herbst wollen die beiden Firmengründer den nächsten Entwicklungsschritt gehen und ein neues Produkt auf den Markt bringen. „Ein Objekt, das zyklisch einen astronomischen Vorgang darstellt“, kündigt Biegert geheimnisvoll an. 

Neben der Stuttgarter Beteiligungsgesellschaft BWK ist Jens Adamik als vierter Gesellschafter eingestiegen. Er kümmert sich um den weltweiten Vertrieb des Luxusprodukts. Umsatzzahlen verrät er nicht, nur so viel: „Vergangenes Jahr haben wir 17.000 Uhren hergestellt und sind um 10 Prozent gewachsen.“

Eine Tochtergesellschaft in Dubai soll die Märkte in Südostasien und dem Nahen Osten bedienen. Reiche Araber bekommen die Uhr mit ihren Schriftzeichen, wohlhabende Israelis auf Neuhebräisch. Qlocktwo wird in 26 Sprachen und Dialekten angeboten. Auf Schwyzerdütsch lautet die Ansage: „Füf vor vieri“.

„Die Sprache hat sehr viel mit unserer Identität zu tun“, sagt Marco Biegert. Das hat er bereits bei der ersten Version festgestellt. Sie zeigte die Zeit in korrektem Hochdeutsch an: „Viertel vor vier“. Bald bekamen die beiden Schwaben Beschwerden. Kunden aus Süddeutschland schrieben, das sei falsch. Jetzt gibt es die deutsche Version auch in alternativer Anzeige: „Es ist drei viertel vier“. 

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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