Architektin Shirin Frangoul-Brückner - Erzählende Räume

Die Stuttgarter Architektin Shirin Frangoul-Brückner gestaltet Museen auf der ganzen Welt – vom Autotempel in München bis zum Prestigeprojekt des ägyptischen Präsidenten.

Szenografie kann auch Mittelstand sein, wie die Architektin Shirin Frangoul-Brückner beweist / Sven Cichowicz
Anzeige

Autoreninfo

Johannes Schweikle ist Buchautor und Journalist. Er lebt auf Schloss Bühl in Tübingen.

So erreichen Sie Johannes Schweikle:

Anzeige

Es war ein Wagnis, in See zu stechen. Shirin Frangoul-Brückner hatte gerade ihr Architekturstudium beendet, ihr Ehemann Uwe Brückner seine Ausbildung zum Bühnenbildner. Da erreichte sie 1997 die Anfrage, eine Ausstellung über die „Titanic“ zu gestalten.

Mit diesem Auftrag entwickelte sich das Atelier Brückner. Die beiden Gründer saßen in Fellbach bei Stuttgart und mussten gleich mehrere Klippen umschiffen. Zum einen kam die Idee, die Fundstücke aus dem berühmtesten Wrack der Seefahrtsgeschichte in Szene zu setzen, nicht von einer Kulturbehörde, sondern von einem privaten Investor. „Das war ungewöhnlich“, sagt Frangoul-Brückner, „da gingen wir ins Risiko.“

Gefragte Szenografen

Zum anderen sollte die Ausstellung in der Hamburger Speicherstadt gezeigt werden. Diese gehörte damals noch zum Freihafen, war also zollfreies Gebiet. „Jeden Bleistift und jeden Computer, den wir für unsere Arbeit in den historischen Lagerhäusern brauchten, mussten wir beim Zoll anmelden“, erinnert sie sich. Die Mühe hat sich gelohnt: In einem halben Jahr wollten mehr als eine Million Besucher die „Expedition Titanic“ sehen.

Heute gehört das Atelier Brückner zu den weltweit führenden Unternehmen auf dem Markt der Szenografie. 120 Mitarbeiter aus 25 Ländern inszenieren Raumbilder für Museen und Ausstellungen. Sie haben in München die BMW Welt gestaltet, in Wien das Besucherzentrum des österreichischen Parlaments, in Schanghai das Science and Technology Museum.

„Form follows content“, lautet der Leitsatz des Ateliers, die Gestaltung eines Raumes richtet sich nach seinen Exponaten. Eine Ausstellung soll nicht in erster Linie didaktisch belehren, sondern eine Geschichte erzählen. Um diesen narrativen Ansatz sowohl beim Automobilkonzern Hyundai in Korea als auch beim Schwarzwälder Uhrenmuseum zu verfolgen, hat Frangoul-Brückner eine einfache Regel: „Wir hören erst einmal unserem Auftraggeber zu.“

Die hilfreichen arabischen Wurzeln

Mittlerweile haben die Szenografen in Stuttgart ein ehemaliges Fabrikgebäude bezogen. In den 1950er Jahren wurden hier Gehäuse für Fernsehgeräte hergestellt. Heute entstehen auf einer weitläufigen Etage Architekturmodelle, die eine eigene Ausstellung wert wären. Der Blick aus den Fenstern fällt auf Weinberge und ein Heizkraftwerk. 2020 schied Uwe Brückner aus dem Unternehmen aus. Vergangenes Jahr lag der Umsatz bei 32 Millionen Euro. Am Jahresende wurden 20 Prozent des Gewinns als Prämie an die Mitarbeiter ausgeschüttet. 

Shirin Frangoul-Brückner trägt dunkle Locken und eine markante Brille. Man sieht dieser drahtigen Frau an, dass sie ständig in Bewegung ist. 1967 kam sie in Bagdad als Tochter eines irakischen Vaters und einer deutschen Mutter auf die Welt. Als sie fünf Jahre alt war, zog die Familie ins Allgäu. Diese biografische Erfahrung hilft ihr, als Geschäftsführerin ein multikulturelles Team zu leiten: „Ich verstehe gut, was es für unsere Mitarbeiter aus Asien oder Amerika bedeutet, sich für ein Leben in Europa zu entscheiden.“

 

Noch mehr Mythos Mittelstand: 

 

Die arabischen Wurzeln ihrer Familie waren auch hilfreich für das prestigeträchtigste Projekt. Nach einer weltweiten Ausschreibung bekam das Atelier 2016 den Auftrag, das Grand Egyptian Museum in Kairo zu gestalten. Das weltgrößte archäologische Museum, das einer einzigen Kultur gewidmet ist, setzte einen Meilenstein für das Unternehmen. 30 Mitarbeiter überlegten, wie die 5400 Exponate aus der Grabkammer des Tutanchamun am besten in Szene zu setzen sind. Rund um die goldene Totenmaske des Pharao wollen sie eine doppelte Geschichte erzählen: von seinem irdischen Leben am Nil und von seinem Weiterleben nach dem Tod.

Mit einem General der ägyptischen Militärregierung handelte Frangoul-­Brückner die Details dieses Weltmuseums aus, das eigentlich schon vor Jahren eröffnen sollte. Diesen Winter will Präsident al Sisi die ersten Besucher in seinem Prestigeprojekt empfangen.

„Das Schönste an meinem Beruf ist die Abwechslung“, sagt die Unternehmerin. Auch nach der Arbeit mit uralten Kulturschätzen der Menschheit ist sie sich nicht zu fein, Messestände zu gestalten. Die Vergänglichkeit dieser Rauminszenierungen findet sie reizvoll. „Da kann man viel ausprobieren“, sagt die Szenografin. „Ein Messestand darf plakativer ausfallen als ein Museum – er wird ja wieder abgebaut.“

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige