Logistikbranche in der Wirtschaftskrise - „Die Unternehmen haben keine Planungssicherheit“

Energiepreise, Verkehrswende und Fachkräftemangel setzen auch den Logistikbereich unter Druck. Frank Huster fordert von der Politik eine größere Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen der umsatzstärksten Branchen.

Eine stark befahrene A10 bei Berlin / picture alliance
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Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Der Bundesverband Spedition und Logistik e.V. (DSLV) ist der Spitzenverband der 3000 führenden deutschen Speditions- und Logistikdienstleistungsbetriebe. Die Logistik gilt in Deutschland nach der Automobilindustrie und dem Handel als drittgrößter Wirtschaftsbereich. Der DSLV ist politisches Sprachrohr sowie zentraler Ansprechpartner für die Bundesregierung, für Bundestag und Bundesrat sowie für alle relevanten Bundesministerien und -behörden in den Gesetzgebungsverfahren.

Frank Huster ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Spedition und Logistik e.V.

Herr Huster, der DSLV versteht sich als Sprachrohr der Logistikbranche. Wie viele Mitglieder sind in Ihrem Verband organisiert?

Der DSLV vertritt die 3000 führenden deutschen Speditionsunternehmen und Logistikhäuser mit insgesamt mehr als 600.000 Beschäftigten und einem jährlichen Branchenumsatz von über 140 Milliarden Euro. Die Mitgliederstruktur des DSLV reicht von global agierenden Logistikkonzernen über größere mittelständische Speditionshäuser mit eigenen LKW-Flotten sowie Befrachter von Binnenschiffen und Eisenbahnen bis hin zu See-, Luftfracht-, Zoll- und Lagerspezialisten. Die Verbandspolitik des DSLV wird deshalb maßgeblich durch die verkehrsträgerübergreifende Organisations- und Steuerungsfunktion des Spediteurs bestimmt.

Wie gut ist die deutsche Logistikbranche für die Zukunft aufgestellt?

Rückläufige Transportmengen und steigende Kosten setzen Speditionen und Logistikunternehmen zunehmend unter Druck. Nach zwei wirtschaftlich sehr guten Jahren sind die Gewinnerwartungen der Speditionshäuser angesichts wachsender Prozess-, Personal- und Finanzierungskosten in diesem Jahr deutlich gedämpft. Und für 2024 ist die Perspektive lediglich verhalten optimistisch. Als Generalversorger von Industrie, Handel und Bevölkerung ist die Branche aber weiterhin strukturell und strategisch gut aufgestellt. Sie ist äußerst dynamisch, flexibel und innovativ und in vielen Bereichen ein technologischer Vorreiter – auch was die Bekämpfung des Klimawandels anbelangt.

Allerdings wird ein Fünftel der Emissionen an Kohlendioxid EU-weit von der Logistikbranche verursacht. Tendenz steigend.

Das ist nicht korrekt: Ein Fünftel der CO2-Emissionen wird nicht von der Logistikbranche verursacht, sondern vom Verkehrssektor insgesamt, einschließlich Luft- und Seeschifffahrt sowie Individualverkehr. Die aktive Bekämpfung des Klimawandels ist eine der größten globalen Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft. Hierfür hat die Staatengemeinschaft unumstößliche und äußerst ambitionierte CO2-Reduktionsziele auch für den Güterverkehrssektor definiert. Laut Green Deal der EU soll die Europäische Gemeinschaft bis spätesten 2050 unabhängig von fossilen Brennstoffen werden und klimaneutral sein. Hieran muss der Logistiksektor mit Hochdruck arbeiten.

Was unternehmen Sie, um klimaneutraler zu wirtschaften?

Der Logistiksektor bekennt sich ganz klar zu seiner Verantwortung für die Ressourcenschonung und die Verringerung verkehrsinduzierter Emissionen. Als Architekten des Güterverkehrs optimieren Speditionen fortlaufend Logistikprozesse und tragen bereits durch Sendungsbündelung und Organisation effizienter Lieferketten sowie durch den Einsatz sämtlicher Verkehrsträger und modernster Technologien entscheidend zur Verkehrsvermeidung bei. Die auf Effizienzverbesserung gerichtete meist digital unterstützte Bündelungsfunktion der Spedition liefert dabei bereits einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung des Ressourceneinsatzes in der Logistik.

Unsere Unternehmen nutzen alternative Antriebsformen für den Straßengüterverkehr, setzen alternative Treibstoffe für den See- und Luftverkehr ein, verlagern signifikante Gütermengen auf Schiene und Wasserstraßen und errichten CO2-neutrale Logistikimmobilen. Hierfür ist die Logistik aber auf zuverlässige Zulieferer wie die Lkw-Herstellerindustrie, die Energiewirtschaft und die Bauindustrie angewiesen. Planungs- und Investitionssicherheit ist entscheidend für den Speditionssektor. Hierfür braucht es auch klare ordnungspolitische Leitplanken der Politik, die Wirtschaft und Gesellschaft nicht überfordern.

Die Regierung stellt für die Erreichung dieser Ziele Fördermittel zur Anschaffung klimaschonender Fahrzeuge und Infrastruktur zur Verfügung. Welche Erfahrungen haben Sie bei der Beantragung dieser Fördermittel?

Frank Huster / picture alliance

Das Förderprogramm für die Anschaffung klimaschonender Nutzfahrzeuge und Infrastrukturen (KsNI), mit dem der Staat Fuhrparkbetreiber mit 80 Prozent der Anschaffungsmehrkosten unterstützt, ist essenziell für die Verkehrswende. Aber gut gemeint ist nicht gut gemacht. Die Programme müssen strukturell überarbeitet werden. Sie sind zu schnell überzeichnet, und neue Förderaufrufe bleiben aus, Bearbeitungszeiten dauern ewig. Dies und völlige Intransparenz der Förderkriterien untergraben das Vertrauen in die Wirksamkeit des Programms. Kein Speditionshaus investiert in elektrisch oder wasserstoffbetriebene Lkw-Flotten, wenn die Auflade- und Tankinfrastruktur in Europa nicht steht oder das eigene Firmengelände nicht mit ausreichenden Strommengen versorgt wird.

Wird der Umstieg auf klimaneutrale Nutzfahrzeuge mithilfe solcher Förderprogramme gelingen?

Jedenfalls nicht so schnell wie erwartet. Meine Prognose: Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird der Verbrennungsmotor im Straßengüterverkehr dominierend bleiben. Deshalb setzen viele Unternehmen auf fortschrittliche Biokraftstoffe wie HVO100, Bio-LNG und Bio-CNG. Hierfür kann die bestehende europäische Tankinfrastruktur ohne Umrüstaufwand problemlos genutzt werden, und die Ambitionen des Straßengüterverkehrs zur CO2-Reduzierung könnten heute schon zu über 70 Prozent umgesetzt werden. Voraussetzung ist eine ausreichende Verfügbarkeit und rechtliche Zulassung von alternativen Kraftstoffen, die CO2-neutral aus Abfall- und Reststoffen hergestellt werden können.

Würden Sie sagen, dass die deutsche Logistikbranche im Bereich klimaneutraler Handel eine weltweite Vorreiterrolle hat?

Ideell gehört Deutschland sicher zu den führenden Nationen, wenn es um eine CO2-freie Logistik geht. Tatsächlich sind viele Länder, insbesondere die skandinavischen, aber schon sehr viel weiter. Das liegt weniger am Logistiksektor selbst als an den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Und nochmals: Was bringt die milliardenschwere Umrüstung der Lkw-Flotten auf elektrische Antriebe, wenn der Strom aus Kohlekraftwerken kommt?

Was machen andere europäische Länder besser?

HV100, eine erneuerbarer, aus Reststoffen hergestellter Dieselkraftstoff, ist in Schweden und den Niederlanden längst zugelassen. In Deutschland wurde die Zulassung mutwillig verschleppt, weil sie Gegenstand des Ampel-Hickhacks wurde. Das Gleiche gilt für die Zulassung längerer Fahrzeugeinheiten, die mit gleichem Energieeinsatz bis zu 50 Prozent mehr Gütervolumen transportieren und dabei bis zu 25 Prozent CO2 einsparen können. Anders als im EU-Ausland tut sich Deutschland auch hier schwer. Leider ist die deutsche Schieneninfrastruktur völlig desolat, so dass eine signifikante, CO2-mindernde Güterverlagerung von der Straße auf die Schiene in diesem Jahrzehnt ebenfalls ausscheidet.

Bei der Bewertung der CO2-Neutralität dürfen aber nicht nur mobile Logistikprozesse in die Waagschale geworfen werden. Für die stationäre Logistik ist die technische und organisatorische Prozessgestaltung in Logistikanlagen, Terminals, Hubs und Häfen etc. entscheidend. Viele Speditionshäuser investieren Millionen in CO2-freie Logistikimmobilien oder beabsichtigen, dies zu tun – allerdings flankiert von bürokratischen Hürden, schleppendem Planungsrecht und einer hohen Flächennutzungskonkurrenz. Hinzu kommen rasant steigende Finanzierungskosten und Engpässe bei den Bauunternehmen und Energieversorgern. Am Ende wird entscheidend sein, ob Deutschland über ausreichend grünen Strom verfügt, um die Logistik entsprechend ihres Bedarfs zu versorgen.

Die Liste der Mängel ist also lang. Welche weitere Unterstützung bräuchten Sie, um die Branche klimaneutraler aufstellen zu können?

Es wäre schon hilfreich, würde das KsNI-Programm strukturell reformiert werden. Dabei muss die Förderung von Fahrzeugen und Tank- und Ladeinfrastruktur synchronisiert werden. Kurzfristig können auch steuerliche Anreize eine echte Lenkungswirkung für mehr Klimaschutz entfalten, zum Beispiel für fortschrittliche Biokraftstoffe oder eine zügige Überarbeitung der europäischen Energiesteuerrichtlinie. Bei der Diskussion um einen Industriestrompreis bleibt völlig außer Acht, dass der Logistiksektor aufgrund seines zukünftigen gigantischen Strombedarfs für elektrisch betriebene Fahrzeuge möglicherweise auch förderfähig werden könnte. Nach derzeitiger Kompromisslinie der Ampel werden Mittelstandshäuser aber außen vor bleiben.

Gibt es neben diesen strukturellen und politischen Herausforderungen auch aktuelle Trends, die der Branche zu Wachstum verhelfen können?

Wie in anderen führenden Wirtschaftsbranchen sind die Transformation zum CO2-freien Betrieb, die Beschleunigung der Digitalisierung und die Implementierung neuer Arbeitskulturen entscheidende Stellgrößen für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Auch bei einem konstanten Auf und Ab von Globalisierung und Regionalisierung bleibt arbeitsteiliges Wirtschaften auf eine leistungsfähige Logistik angewiesen.

Wird einer dieser Megatrends, KI, die Logistikbranche revolutionieren?

Logistik ist eine Wachstumsbranche. In den vor uns liegenden Jahren wird das Arbeitsvolumen von weniger Beschäftigten bewältigt werden müssen. Der Renteneintritt der Babyboomer führt nicht nur zu einem fortschreitenden Fachkräftemangel, sondern auch zu Knowhow-Verlust.

Wie können KI-Modelle hier Lücken füllen?

Vollautomatisierte oder autonome Fahrzeuge könnten zur Entschärfung des Berufskraftfahrermangels beitragen. Roboter werden zukünftig das Personal im Lager, bei der Fahrzeugbe- und -entladung sowie bei der Zustellung kleinerer Sendungen im B2C-Bereich entlasten. Disponenten werden dadurch zu Maschinen-Supervisoren, die Vorschläge aus der KI zur Auftragserledigung gegebenenfalls nur noch plausibilisieren müssen und dadurch ein größeres Auftragsvolumen in kürzerer Zeit erledigen können. KI kann ebenfalls bei der Angebotserstellung unterstützen und auf der Kundenschnittstelle Informationen für die Auftraggeber bereitstellen.

Diese Produktivitätsfortschritte nähren die Zuversicht, dass die Logistik trotz des in allen Branchen spürbaren Personalmangels weiterhin leistungsfähig bleibt. Was uns allerdings zusätzlich belastet, sind wachsende Produktionskosten und unsichere politische Rahmendaten. Was auch fehlt, ist eine intakte Verkehrsinfrastruktur. Die öffentliche Hand ist derzeit, das heißt in einem konjunkturell schwierigen Umfeld, nicht gerade ein Förderer unserer Branche. Die Unternehmen haben daher keine Planungssicherheit.

 

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Welche weiteren Entwicklungen bereiten Ihnen Sorgen?

Sorgen bereitet uns der allgemeine Fachkräftemangel, der neben dem gewerblichen auch den kaufmännischen Bereich und höhere Qualifikationsstufen umfasst. Wie in vielen Branchen wird es auch für die Spedition von Jahr zu Jahr schwieriger, betriebliche Ausbildungsplätze zu besetzen. Die demographische Entwicklung verstärkt den Negativtrend. Der verantwortungsvolle Beruf des Lkw-Fahrers ist bei Westeuropäern nicht mehr angesagt. Viele Speditionshäuser setzen deshalb zunehmend auf ausländische Transportdienstleister, und deutsche Transportunternehmen sind auf Fahrpersonal aus Drittstaaten angewiesen.

Die Situation ist durchaus kritisch, sie entschärft sich angesichts des konjunkturbedingten Transportnachfragerückgangs derzeit aber leicht. Das oftmals gemalte Bild leerer Supermarktregale halte ich allerdings für überzeichnet. Ganz sicher wird sich der Verbraucher aber an den konstant steigenden Lohn- und Logistikkosten beteiligen müssen.

Wie viele Fachkräfte fehlen Ihnen?

Das können wir für sämtliche Tätigkeitsbereiche der Logistik nicht seriös beziffern. Eine Konsortialstudie der Universitäten St. Gallen, Dresden und Würzburg-Schweinfurt hat ergeben, dass im Jahr 2023 etwa 70.000 Lkw-Fahrer fehlen und sich diese Lücke jedes weitere Jahr um 20.000 Fahrer vergrößert, wenn wir nicht gegensteuern. Allein der hieraus entstandene Schaden für die deutsche Wirtschaft belief sich im Jahr 2022 bereits auf 10 Milliarden Euro.

Ein weiteres Problem ist die Infrastruktur …

Der schlechte Zustand der Infrastrukturen sämtlicher Verkehrsträger ist eines der zentralen Probleme, die den Abwärtstrend des Wirtschaftsstandortes Deutschland beschleunigen. Der Verlust des ersten Platzes im Logistic Performance Index der Weltbank sowie der dramatische Abstieg im ZEW-Länderindex Familienunternehmen sind nur zwei von mehreren Indikatoren dafür, dass Deutschland im globalen Standort-Ranking nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern auch für inhabergeführte Unternehmen an Bedeutung verliert. Es sind weniger fehlende Finanzen als planerische Hemmnisse und ideologiegefärbte grundsätzliche Vorbehalte gegen Verkehr und Mobilität – beides Wohlstandsgaranten.

Um zu verhindern, dass sich Deutschland nicht nur auf dem Weg in die Dekarbonisierung, sondern auch in die De-Industrialisierung begibt, braucht der Wirtschaftsstandort Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft dringend leistungsfähige Häfen und Flughäfen, ein stabiles und leistungsfähiges Schienen- und Wasserstraßennetz und schließlich eine Straßeninfrastruktur, die in der Lage ist, das prognostizierte Verkehrswachstum zu stemmen. Nicht nur die Bundeswehr, auch die Verkehrsinfrastruktur müsste von einem Sondervermögen profitieren.

Auch die fehlende Digitalisierung belastet die Branche …

Genau. Der Staat schafft es nicht, überbordende Bürokratie abzubauen und die Digitalisierung unserer Verwaltung auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau zu heben. Dateninfrastruktur und -verknüpfung sind aber wesentliche Voraussetzungen für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Logistikstandortes Deutschland. Leider werden die Digitalisierungsfortschritte der Logistik 6 wie in vielen Branchen durch eine rückständige digitale Infrastruktur und einen zu starren Ordnungsrahmen gebremst.

Die papierbasierte Informationsübermittlung ist ein weiteres Digitalisierungshindernis. Der Ersatz von – zum Teil gesetzlich noch vorgeschriebenen – Papierdokumentationen durch universell verfügbare, aber geschützte digitale Datensätze kann erst durch das Bemühen des öffentlichen Sektors um ein E-Government beschleunigt werden.

Zuletzt forderten deutsche Politiker, den Handel mit China zu reduzieren und andere Handelspartner zu gewinnen, wie zum Beispiel Indien. Gleichzeitig ist einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge die wirtschaftliche Abhängigkeit von China so groß wie noch nie. Hätte eine Reduzierung der Handelsbeziehungen zu China Auswirkungen auf die deutsche Logistikbranche?

Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China sind derart verwoben, dass eine Entflechtung schwer vorstellbar ist und zu schweren wirtschaftlichen Schäden führen würde. Natürlich würde eine Reduzierung der Handelsbeziehungen die Logistikbranche treffen, denn sie organisiert den Im- und Export der Industrie und des Handels. Primär würden die See- und Luftfrachtspediteure Aufkommensrückgänge spüren, unmittelbar danach würden die Architekten der Hinterlandverkehre auf der Straße, der Schiene und auf den Binnenwasserwegen unter rückläufigen Transportmengen leiden. Alles würde davon abhängen, ob unsere Wirtschaft ihre Beschaffungs- und Absatzwege anpassen kann und den wegbrechenden Im- und Export im Handel mit anderen Ländern kompensieren könnte. Hierfür könnte die Speditionsbranche ganz sicher schnelle Lösungen bieten.

Also befürchten Sie durch den Wegfall Chinas als Handelspartner keine besorgniserregenden Umbrüche?

Die Globalisierung wird man nicht rückgängig machen können. Die Frage ist aber, in welchem Umfang sich die europäische Industrie diversifizieren wird, um ihre Abhängigkeit von China zu reduzieren. Hierfür wird die Logistik im Interesse ihrer Kunden aktiv Lösungen anbieten. Schließlich ist Logistik ein Synonym für Krisenmanagement. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbrüche zu managen und Lieferketten zu stabilisieren, ist das tägliche Brot des Logistikers. Dies wurde während der Corona-Pandemie und mit Einsetzen der Russlandsanktionen eindrucksvoll bewiesen.

Kann es, wegen solchen Entscheidungen wie der Reduzierung der Handelsbeziehungen zu China, zu einem Zusammenbruch der Lieferketten kommen oder zu Engpässen bei Lebensmitteln oder manchen Konsumgütern?

Doch, natürlich würde es Verwerfungen geben, aber nicht, weil die Logistik nicht funktioniert. Vieles würde davon abhängen, wie schnell neue Beschaffungsquellen und -wege sowie neue Absatzmärkte erschlossen werden können. Deutlich stärker betroffen wäre die Logistik, würden Exportströme nach China versiegen, weil sich die deutsche Industrie entscheidet, nicht mehr in Europa, sondern direkt nur noch in China für den dortigen Markt zu produzieren. Dadurch würde das Logistikvolumen möglicherweise absinken. Lebensmittel für den deutschen Markt werden überwiegend in Europa und nicht in China produziert. Anders sieht es aus bei pharmazeutischen Produkten. Hier diversifiziert die Industrie ja bereits. Die Logistikströme laufen vermehrt über andere asiatische Staaten und über Europa.

Am 1.Dezember 2023 soll die LKW-Maut drastisch erhöht werden. Was halten Sie von diesem Beschluss?

Der verkehrs- und umweltpolitische Kurs der Bundesregierung verstärkt die wachsenden Kostenbelastungen. Gleichzeitig sinkt die Planungssicherheit für die Unternehmen. Ein negatives Beispiel für die Kompromisspolitik der Ampelregierung ist das Dritte Gesetz zur Änderung mautrechtlicher Vorschriften, mit dem eine Verdoppelung der Lkw-Mautsätze bereits zum 31. Dezember 2023 als Anreiz zum Einstieg in die ökologische Antriebswende verkauft wird.

Ein ausgewogener Mix aus gesetzlichen Anreizen, Sanktionen und Förderprogrammen ist unbestritten richtig, um die Logistikbranche in die Dekarbonisierung zu lenken. Aber dieses Gesetz ist weder ausgewogen noch lenkt es. Es kommt deutlich zu früh und erfüllt auch nicht die Zusage der Politik, die Erhöhung der Mautsätze mit der Verfügbarkeit klimafreundlicher Alternativen, das heißt emissionsfreie Lkw und ihre Ladeinfrastrukturen, zu synchronisieren. Auch die CO2-günstigere Schiene scheidet aufgrund von Infrastrukturdefiziten und hieraus entstehenden Qualitätsschwächen auf Jahre als Alternative aus.

Das Gesetz erhöht ausgerechnet in einer rezessiven Phase die Logistikkosten. Der Verweis der Bundesregierung auf nur marginale Auswirkungen CO2-basierter Mautsätze auf das Verbraucherpreisniveau ist nicht nur falsch, sondern auch eine Irreführung. Die Speditionsbranche unterstützt die ökologische Antriebswende ausdrücklich. Aber Null-Emissions-Logistik kann es nicht zum Nulltarif geben. Jährliche Mautmehrbelastungen in Höhe von 7,6 Milliarden Euro sind eine gewaltige Summe, die jetzt inflationstreibend auch auf die Verbraucher überwälzt werden.

Das Gespräch führte Ilgin Seren Evisen.

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