Ökonom Lars Feld kritisiert SPD-Wahlprogramm - „Das ist wachstumsschädlich“

Der Ökonom und bisherige Vorsitzende der Wirtschaftsweisen Lars Feld warnt vor den Steuererhöhungsplänen im SPD-Wahlprogramm und vor einer Abkehr von der Schuldenbremse. Zur Gegenfinanzierung der Corona-Schulden verweist er auf finanzielle Puffer wie die unangetastete Flüchtlingsrücklage.

Der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zwischen den beiden Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Lars Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und leitet dort das Walter Eucken Institut. Bis Ende Februar war er der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Herr Feld, die SPD hat ihr Wahlprogramm vorgestellt. Wie überrascht waren Sie von den Vorschlägen?
Wirklich Neues oder Überraschendes konnte ich bislang nicht erkennen. Darin sind überwiegend Vorschläge enthalten, die die Sozialdemokraten schon seit längerer Zeit in die Diskussion gebracht haben.

Zum Beispiel eine Abkehr von der Schwarzen Null?
Man muss immer zwischen der Schwarzen Null und der Schuldenbremse unterscheiden. Die Schwarze Null ist letztlich nur die politische Verankerung des Ziels der Haushaltskonsolidierung. Ökonomisch gesehen ist es nicht wirklich sinnvoll, egal in welcher wirtschaftlichen Lage man sich gerade befindet, immer bei der Schwarzen Null zu landen. Anders ist es bei der Schuldenbremse. Sie lässt im Konjunkturverlauf erhebliche Spielräume und Flexibilitäten, um in einer Krise, wie wir sie derzeit haben, mit expansiver Fiskalpolitik gegenzuhalten. Sie erfordert im Aufschwung dann wieder eine Rückkehr zur Haushaltsdisziplin.

Aber eben diese Schuldenbremse soll nach Wunsch der SPD und auch der Grünen ja gelockert werden, indem die Regeln geändert werden.
Die Diskussion um die Schuldenbremse läuft schon länger. Sie läuft in akademischen Zirkeln. Und sie läuft innerhalb der politischen Parteien. Schon in den zehn Jahren vor der Corona-Krise wurde immer behauptet, die Schuldenbremse würde staatliche Investitionen verhindern. Spätestens seit 2013 im Zuge der Fratzscher-Kommission führen wir diese Diskussion intensiv. Bisher zeigen alle Analysen, dass das schlicht nicht stimmt.

Lars P. Feld / dpa

Würden Sie eine Korrelation bestreiten?    
Ja, in der Tat. Es ist nachweislich so, dass in den vergangenen zehn Jahren vor Corona die Investitionsausgaben, wie die Transfer- und Konsumausgaben, angestiegen sind. Zwar sieht man bei den Investitionen einen geringeren Anstieg als bei den Transfers, aber trotzdem gibt es ihn. Hingegen konnte die Zulässigkeit von schuldenfinanzierten öffentlichen Investitionen, wie dies von der Finanzreform 1969 bis zur Einführung der Schuldenbremse 2009 galt, den Rückgang öffentlicher Investitionen nicht verhindern. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Schuldenbremse an sich Investitionen verhindert. Letztlich müssen die Finanzpolitiker entscheiden, für was sie das Geld ausgeben wollen. Die Politik muss ihre Prioritäten setzen.

Aber jetzt sind wir in der Corona-Krise. Mit all den Finanzhilfen, dem Kurzarbeitergeld und anderen Sozialausgaben hat der Staat doch faktisch weniger Spielraum für Investitionen, wenn er die Schuldenbremse so ernst nimmt, wie Sie es fordern.
Schauen Sie sich das Konjunkturpaket II an, das im Juni 2020 beschlossen worden ist. Da findet sich die sogenannte Zukunftssäule des Konjunkturpakets. Und die ist voll mit Investitionen. Natürlich werden diese Mittel nicht so schnell abgerufen, denn Investitionsprojekte in Deutschland zu realisieren, kostet Zeit. Aber dass die Mittel nicht zur Verfügung stehen, kann man nicht behaupten.

Aber auch nur, weil wir die Schuldenbremse ausgesetzt haben. Und die Frage ist: Sollen wir immer aufs Neue Sondersituation beschließen oder die Schuldenbremse grundsätzlich anders strukturieren?
Zunächst muss man anerkennen, dass in guten Zeiten das Geld lockerer sitzt. Das führt dann zu solchen Dingen wie der Mütterrente, der Rente mit 63 für langjährig Versicherte oder dem Baukindergeld, wobei letzteres sogar als Investition verbucht ist. Eine Lockerung der Schuldenbremse würde vor allem dazu führen, dass wieder mehr Wahlgeschenke verteilt werden, nur letztlich mit Schulden finanziert. Dass wir während der Corona-Krise so umfassend finanzpolitisch handeln, zeigt ja eben, dass uns die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form in Krisenlagen nicht beeinträchtigt. Die Schuldenbremse ist meiner Ansicht nach also keineswegs zu restriktiv.

Aber Sie würden schneller zur Konsolidierung zurückkehren wollen, als andere.
Die Ausnahmeregel der Schuldenbremse wurde absichtlich für solch schwierige Phasen, für Krisen eingeführt. Im Jahr 2009 bei der Verabschiedung der Schuldenbremse kam Deutschland gerade aus einer schweren Krise, und es war allen Entscheidungsträgern bewusst, was in einer Krise finanzpolitisch passieren kann. Übers Jahr gerechnet hat die Finanzkrise von damals einen kräftigeren Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verursacht als die Corona-Krise im vergangenen Jahr. Es geht jetzt sozusagen um die dritte Phase der Schuldenbremse, nämlich die Rückkehr zur Regelgrenze im Aufschwung. Und ich bin ich im Moment nicht darauf festgelegt, bereits für 2022 wieder die Rückkehr zur Regelgrenze vorzuschlagen. Es ist viel zu früh, heute schon festlegen zu wollen, wie die künftige Konsolidierung aussehen soll. Ich würde dies auch für die Haushaltsberatungen ab Ende März empfehlen. Erst wenn man Ende des Jahres absehen kann, mit welchen finanziellen Belastungen wir es überhaupt zu tun haben, ist es sinnvoll, über den Beginn der Konsolidierung zu sprechen.

Woher rührt dann der Wunsch, das jetzt schon zu diskutieren?
Menschen hassen Unsicherheit. Sie wollen wissen, was auf sie zukommt. Außerdem ist Wahlkampf und die Bürger fragen die Parteien zurecht, wie es finanzpolitisch weitergehen soll. Einige in der Politik wollen nicht wieder auf den Weg solider Finanzpolitik zurückkehren. Es gibt Politiker, die höhere Staatsausgaben wollen, ohne die Steuern erhöhen zu müssen, und Leute, die davon profitieren würden. Hinzu kommen diejenigen, die aus ideologischen Gründen immer schon gegen die Schuldenbremse waren.

Auch der Kanzleramtsminister Helge Braun testete neulich, inwieweit er die Unionsfraktion im Bundestag für mehr Schulden erwärmen könnte.
Ja, aber es ging ihm ja nicht darum, die Schuldenbremse abzuschaffen. Er lehnt die Schuldenbremse nicht ab. Auf Twitter sagte er ja sogar, er liebe sie. Meinem Eindruck nach ging es ihm um die Glaubwürdigkeit der Schuldenbremse. Mehrmals nacheinander die Ausnahmeklausel zu ziehen, kann die Glaubwürdigkeit beschädigen.

Sie sagten, Corona werde nicht so einschlagen wie die Finanzkrise von 2008. Mit welcher konjunkturellen Erholung rechnen Sie?
Wir haben es derzeit mit einer konjunkturellen Delle zu tun. Ein Wachstum von drei Prozent im Jahr 2021 ist durchaus noch drin. Dabei entspricht die Wirtschaftsentwicklung weiterhin am ehesten einem V-förmigen Verlauf. Erst ging es steil runter, dann steil hoch, wobei sich der Anstieg zuletzt abgeflacht hat. Zu Beginn der Corona-Krise zeigten Schätzungen der Staatsschuldenquote für das Jahr 2020 einen Wert von 75 Prozent an. Nach jüngsten Schätzungen könnte die Schuldenquote 2020 sogar nur bei etwa 69 Prozent gelegen haben. In beiden Fällen blieben wir aber deutlich von den knapp 83 Prozent aus der Finanzkrise entfernt.

Wovon hängt es schlussendlich ab, wie stark wir uns wegen Corona verschulden müssen?
Es kommt darauf an, wie stark die staatlichen Kredite, Bürgschaften und Garantien wirklich in Anspruch genommen werden und wieviel von den vielen Staatshilfen für die Unternehmen abfließt. Bei höherem Wachstum des BIP sind zudem die Steuereinnahmen höher. Für die Konsolidierung der nächsten Jahre stellt ist die Frage, was an finanziellen Reserven vorhanden ist. Der Bund hat bislang etwa die Reserven aus der Flüchtlingsrücklage noch gar nicht angetastet. Und es gibt weitere Puffer. Die Frage wird sein, wie groß diese sind.

Je kleiner der Puffer, desto größer die Frage der Gegenfinanzierung. Die Antwort der SPD ist nun beispielsweise, dass Jahreseinkommen von mehr als 250.000 Euro, beziehungsweise bei Ehepaaren von mehr als 500.000 Euro mit 3 Prozentpunkten höher besteuert werden sollen.
Das wichtigste Ziel muss sein, über ein höheres Wirtschaftswachstum und die dadurch höheren Einnahmen die Konsolidierung zu erreichen. Auf diese Weise konnten wir in den vergangenen Jahren erhebliche Erfolge in der Konsolidierungspolitik erzielen. Die niedrigen Zinsen spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle; aber die Einnahmen stiegen rasant, ohne jegliche Steuererhöhung. Wenn man jetzt frühzeitig mit Ideen für Steuererhöhungen kommt, wie das die SPD jetzt vorschlägt, ist das wachstumsschädlich.

Gerade mal 0,4 Prozent der Jahreseinkommen in Deutschland liegen bei mehr als 250.000 Euro. Wäre das wirklich so dramatisch?
Man muss immer bedenken, dass damit die mittelständische Wirtschaft erfasst wird. Natürlich zählen viele Familienunternehmer zu den Wohlhabenden. Sie erzielen mit ihrem Unternehmen entsprechend hohe Gewinne, und es geht Ihnen sicherlich auch nicht schlecht in ihrem privaten Umfeld. Aber der Punkt ist, dass das auch diejenigen sind, die investieren und Arbeitsplätze schaffen sollen. Sie nutzen ihre Gewinne, um zu reinvestieren. Wenn sie weniger investieren, verursacht das Folgeschäden für die ganze Volkswirtschaft.

Traut die SPD Unternehmern vielleicht zu wenig zu, richtig zu investieren, weshalb das besser der Staat übernimmt?
Das mag sein, aber ich halte das für den völlig falschen Weg. Wenn behauptet wird, der Staat sei der bessere Investor und ohne den Staat ginge es nicht, dann ist das schlicht falsch. Nehmen Sie das Beispiel des Impfstoffherstellers Biontech. Klar hat der Staat hier einen Anteil. Aber er beteiligte sich richtigerweise am Anfang in der Grundlagenforschung für diese Technologie. Als es aber um die Ausgründung eines Unternehmens und die Übernahme von Risiken ging, hat Biotech selbst das Geld zusammengesucht. Da gab es kein staatliches Geld, sondern hohe Summen, die von den Gebrüdern Strüngmann bereitgestellt worden sind. Wagniskapitalgeber haben also dafür gesorgt, dass Biontech in Deutschland geblieben ist. Das hat nichts mit staatlichen Investitionen oder staatlicher Industriepolitik zu tun. Dass die Europäische Investitionsbank noch Kredite für den Ausbau der Produktion bewilligt hat, ist ja schön. Aber das nötige Eigenkapital für das Unternehmen kommt aus der Privatwirtschaft.

Aber beim Impfstoffhersteller Curevac ist der Bund eingestiegen.
Ja, ich bin ja auch froh, wenn der Staat gutes Geld in gute produktive Dinge investiert und nicht in schlechte. Letzteres macht er ja oft genug. Aber das heißt trotzdem nicht, dass die Firma nur deshalb gut läuft. Es war der Investor Dietmar Hopp, der die Firma am Leben erhalten hat. Wie schlecht der Staat funktioniert, sehen wir derzeit etwa in der Verwaltung der Impfstrategie. Die Länder schaffen es nicht, den Impfstoff auszurollen. Dabei spielt sicher die Priorisierung eine Rolle. Die erste Priorisierungsgruppe ergibt ja viel Sinn, aber ab der zweiten Gruppe wird es so kompliziert, dass die digital rückständige öffentliche Verwaltung damit nicht zurechtkommt. Daher müsste man jetzt in der Breite öffnen und allen Willigen den vorhandenen Impfstoff bereitstellen. Auch wenn man sieht, wie viele Infrastrukturprojekte in den vergangenen Jahren in den Sand gesetzt wurden, kann man kaum erwarten, dass der Staat ausgerechnet bei den Investitionen irgendetwas besser hinbekommt als private Unternehmen. Wenn wir hierfür nach dem Staat rufen und am Ende nur solche Fälle wie der Berliner Flughafen herauskommen, dann gute Nacht Deutschland.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass der Spitzensteuersatz auf 48 Prozent angehoben wird?
Wir können nicht ignorieren, dass der Staat in den nächsten Jahren auf der Ausgabenseite immer stärker unter Druck gerät, weil die Demografie zuschlagen wird. Man wird also größte Mühe haben, die Sozialausgaben unter Kontrolle zu halten. Auf der Einnahmeseite besteht das Risiko, dass der Soli in seiner jetzigen Form verfassungswidrig ist. Wenn die Karlsruher Richter sagen, dass das so nicht geht, würde ich erwarten, dass das Ziel der SPD, den Spitzensteuersatz auf 48 Prozent zu heben, am Ende auch von der Union geteilt wird. Denn dann werden der Bund und die Länder sagen: Wir haben eine so hohe Belastung, wir finanzieren das aus der Einkommensteuer. Die Belastungen werden nicht abnehmen. Klar sein muss meiner Ansicht nach dann, dass es Ideen wie eine Vermögensteuer oder eine Verschärfung der Erbschaftsteuer gegenwärtig nicht braucht.

Sie sagten eingangs, dass staatliche Investitionsgelder zu langsam abgerufen werden. Bräuchte es dazu mehr Personal, was aber wieder höhere Ausgaben bedeutet?
Vermutlich würde mehr Personal im öffentlichen Dienst für Bewilligungen oder Planungsprozesse von Infrastrukturinvestitionen kaum helfen. Was Probleme schafft, sind die vielen Hemmnisse und Hindernisse, die jedes Mal zu überwinden sind. Daher braucht man für solche Projekte hochqualifizierte Projektmanager, deren Gehaltsvorstellungen im Lohn- und Gehaltsgefüge des öffentlichen Dienstes nicht abbildbar sind. Nicht die Bewilligung selbst ist in der Regel das Problem, sondern die Planung eines Projektes, gerade im Infrastrukturbereich. Wir haben ja nicht nur das komplizierte Baurecht, sondern auch ein sehr kompliziertes Umweltschutz- oder Vergaberecht. Gegner von Projekten können sich immer wieder aufs Neue durch alle unterschiedlichen Rechtsbereiche klagen, bis sie jeweils in die oberste Instanz gelangen. Das hemmt staatliche wie private Investitionsprojekte und ist wachstumsschädlich.

Ist der schnelle Bau von Teslas Gigafabrik in Brandenburg nur eine prominente Ausnahme?
Wenn ein Investor wie Elon Musk mit Tesla kommt, dann trägt er einfach das Risiko, solange keine Bewilligung vorliegt. Angesichts seiner kräftigen Kapitalgeber kann er sich das leisten. Aber andere, kleinere und mittelständische Unternehmen können sich das nicht leisten. Hier müsste man eigentlich ansetzen, wenn man Investitionen und damit Wachstum beschleunigen will.

Das Interview führte Bastian Brauns, Ressortleiter Kapital

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