Inflation und Enteignung - EZB-Chefin Lagarde: Von allen guten Geistern verlassen

Trotz gefährlich steigender Inflation kauft die Europäische Zentralbank (EZB) noch mehr Staatsanleihen und dehnt die Geldmenge weiter aus. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat die Interessen der überschuldeten Euro-Staaten im Blick. Denn für die ist die Geldentwertung prima. Was die Sparer verlieren, gewinnt der Staat. Man nennt das eine Inflationssteuer. Eine Steuer, die ohne jede demokratische Legitimation die Bürger enteignet.

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Autoreninfo

Bernd Lucke war Mitbegründer und Vorsitzender der AfD, deren marktwirtschaftlichen und liberalen Flügel er bis zu seiner Abwahl im Juli 2015 vertrat. Nach seinem Austritt aus der AfD gründete der 58 Jahre alte Wirtschaftsprofessor die Partei Alfa heute Liberal-Konservative Reformer , für die er bis 2019 im EU-Parlament saß. Lucke lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg.

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Es ist knapp ein halbes Jahr her, da warnte ich an dieser Stelle vor der Inflation als einem Gespenst, das umgeht in Europa. Inzwischen hat sich dies Gespenst dramatisch materialisiert. Und die Europäische Zentralbank (EZB) ist – um in der damaligen Begriffswelt zu bleiben – offensichtlich von allen guten Geistern verlassen.

Vor einem halben Jahr lag die Inflationsrate in der Eurozone bei 3,4 Prozent – statt wie von der EZB vorhergesagt bei 1 Prozent. Kenner der Materie hatten schon seit Jahren darauf verwiesen, dass die von der EZB betriebene enorme Ausdehnung der Geldmenge über kurz oder lang zu Inflation führen müsse. Vor einem halben Jahr wurde es auch für Laien offensichtlich, dass die Zeiten der Preisstabilität vorbei sind – und dass der Trend steil nach oben zeigt. Aber die EZB verkannte die Situation. Sie murmelte etwas von Basiseffekten, Nachholeffekten, CO2-Steuereffekten – kurzum: Es sei alles nur temporär.

Keine Entschuldigung, keine Erklärung 

Das waren lauter Effekte, die die EZB bereits kannte, als sie 1 Prozent Inflation für 2021 prognostizierte. Also keine Entschuldigung, keine Erklärung dafür, dass die Inflation tatsächlich mehr als dreimal so hoch war. Eine Kurskorrektur, ein Stopp der Anleihekäufe, eine Zinserhöhung, keine weitere Geldvermehrung – das wären die nötigen Maßnahmen gewesen. Aber nichts davon. In ihrer Presseerklärung vom September 2021 schrieb die EZB, dass ihre „Expertinnen und Experten“ die Inflationsrate in der mittleren Frist „weiterhin deutlich unter unserem Zielwert von 2 Prozent“ sähen.

Schöne Experten scheint die EZB da zu haben. Inzwischen liegt die Inflation in der Eurozone bei 7,5 Prozent. Tendenz steigend. Und was tut die EZB? Nach wie vor dehnt sie die Geldmenge aus. Im zweiten Quartal 2022 (April bis Juni) wird sie für fast 100 Milliarden Euro Staatsanleihen kaufen – alles mit frisch gedrucktem Geld!

Dabei war es das ausdrückliche Ziel der Anleihekäufe, die Inflationsrate „wieder einem Niveau von 2 Prozent anzunähern“ – damals, als die Inflationsrate deutlich unter 2 Prozent lag. Dass die Anleihekäufe bei einer Inflationsrate von 7,5 Prozent immer noch fortgesetzt werden, ist mit dem EZB-Ziel „Preisstabilität“ nun wirklich völlig unvereinbar.

Sparer werden enteignet

Die Untätigkeit der EZB hat gravierende Konsequenzen. Die erste ist die Enteignung der Sparer: Bei Sparzinsen von knapp über null und der heutigen Inflation liegt die Realverzinsung bei einem historischen Rekord von minus sieben Prozent! Darunter leiden gerade die einfachen Leute, die normale Sparguthaben halten: Sie verlieren jährlich sieben Prozent ihres Vermögens. Sieben Prozent Vermögensverlust durch eine Zentralbank, die unfähig oder unwillig ist, das zu tun, wozu sie gesetzlich verpflichtet ist: Die Enteignung der Bürger durch Inflation zu verhindern.

Die etwas gewiefteren Anleger bringen ihr Kapital in Sicherheit. Kein Wunder, wenn man in der Eurozone eine Realverzinsung von minus sieben Prozent erhält. In den USA aber sind die Zinsen höher – und die Zentralbank erhöht sie, um die Inflation zu bekämpfen. Das führt zu massiver Kapitalflucht aus der Eurozone: Anleger verkaufen ihre Euros und kaufen Dollar. Deshalb wertet der Dollar derzeit auf und der Euro wertet ab. Dass der Dollar an Wert gewinnt, macht Anlagen in Dollar gleich noch einmal reizvoller. Anleger profitieren nicht nur von den höheren amerikanischen Zinsen, sondern auch vom Wertgewinn des US-Dollars.

Große Umbrüche zu finanzieren

Aber Kapitalflucht ist das letzte, was wir in Europa brauchen. Europäisches Kapital sollte in Europa investiert werden, gerade jetzt, wo wir im Energiesektor, beim Klimawandel und bei der Digitalisierung so große Umbrüche finanzieren wollen. Und à propos Energie: Weil der Euro abwertet, werden unsere Energieimporte noch teurer. Ebenso wie alle anderen Importe, die in Dollar fakturiert werden. Da die EZB sich weigert, die Zinsen anzuheben, wertet der Euro ab, und dementsprechend importieren wir Inflation.

Die Inflation führt zu realen Einkommensverlusten und damit zu weniger Konsum. Hofft EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die Inflation so wieder in den Griff zu kriegen? Weil die Nachfrage gedrosselt wird, weil die Konsumenten weniger konsumieren und die Investoren weniger investieren? Das wäre der direkte Weg in die Rezession, die die EZB doch angeblich verhindern will. Eine Rezession, das bedeutet: sinkende Einkommen und steigende Arbeitslosigkeit. Die Erfolge der zurückliegenden Jahre könnten so vernichtet werden.

Zumal sich die Arbeitnehmer die realen Einkommensverluste auch nicht einfach gefallen lassen werden: Wenn die Inflation ihre Realeinkommen zerfrisst, werden sie höhere Löhne und Gehälter verlangen. Das führt zu Kostensteigerungen bei den Unternehmen, die diese wiederum in Form höherer Preise weitergeben müssen. Also ein weiterer Inflationsschub. Oder die höheren Löhne führen zu Entlassungen. Kein ausschließendes „oder“, sondern beides: steigende Inflation und steigende Arbeitslosigkeit.

Frau Lagarde tritt auf’s Gas statt auf die Bremse

All das wissen die „Expertinnen und Experten“ der EZB. Es ist Basiswissen jedes Makroökonomen. Selbst Frau Lagarde (eine Juristin) dürfte das wissen. Aber Frau Lagarde tritt nicht auf die Bremse, sondern gibt weiter Gas: Sie kauft noch mehr Staatsanleihen und dehnt damit die Geldmenge weiter aus.

Ist sie von allen guten Geistern verlassen? Natürlich ist sie das. Stattdessen umflattern die bösen Geister der überschuldeten Eurozonenstaaten sie Tag und Nacht. Für die Schuldenstaaten wären steigende Zinsen natürlich fatal. Inflation hingegen ist prima, denn dadurch werden die Schulden real entwertet. Derzeit um die besagten sieben Prozent jährlich. Was die Sparer verlieren, gewinnt der Staat. Man nennt das eine Inflationssteuer. Eine Steuer, die am Parlament vorbei und ohne jede demokratische Legitimation die Bürger enteignet.

Tollhaus der europäischen Wirtschaftspolitik

Frau Lagardes Passivität gegenüber der Inflation ist nur durch die hohen Staatsschulden erklärbar. In Südeuropa waren sie schon vor zehn Jahren nicht mehr tragbar, inzwischen sind weitere Schulden aufgehäuft worden: durch Corona, durch den Ukraine-Krieg und dadurch, dass man in Italien seine Wohnung mit staatlichen Zuschüssen von 110 Prozent sanieren kann.

Sie lesen richtig: 110 Prozent! Der Staat zahlt Ihnen mehr, als die ganze Sache gekostet hat. Jeder Bauherr hat den Anreiz, den teuersten Anbieter zu beauftragen, weil dann sein 10-Prozent-Profit besonders groß ist. Da steht die Marktwirtschaft Kopf, während die Wettbewerbsaufsicht der EU einen Dornröschenschlaf schläft. Und natürlich treibt auch das die Inflation. Ministerpräsident in Italien ist übrigens Mario Draghi, der Vorgänger von EZB-Präsidentin Lagarde.

Willkommen im Tollhaus der europäischen Wirtschaftspolitik.

 

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