Geldmengenausweitung ist entscheidend - Die EZB liefert keinen Grund zur Inflationsentwarnung

Die Inflationsrate hat sich etwas abgeschwächt. Für eine Entwarnung an der Inflationsfront gibt es jedoch keinen Grund. Das liegt vor allem an der EZB, die ihre Anleihebestände stark reduzieren müsste, um die aufgeblähte Zentralbankbilanz zu verkürzen.

Symbolbild / picture alliance
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Roland Wöller ist Abgeordneter (CDU) im sächsischen Landtag und Professor für Volkswirtschaftslehre. Von 2017 bis 2022 war er Staatsminister des Innern in Sachsen.

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Die Inflationsrate in Deutschland schwächt sich leicht ab, vermeldete jüngst das Statistische Bundesamt. Mit 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat lag die Teuerung im Juli leicht unter den 6,4 Prozent vom Juni. Im Oktober 2022 hatte die Inflationsrate mit 8,9 Prozent einen Höchststand erreicht. Spät, aber dann in kurzer Zeit, hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins innerhalb nur eines Jahres von 0 auf 4,25 Prozent erhöht. Das ist der stärkste Leitzinsanstieg seit Bestehen des Euro. Haben die Währungshüter um Notenbankchefin Christine Lagarde damit ihre Mission erfüllt? Wohl kaum.

Für eine Entwarnung an der Inflationsfront ist es deutlich zu früh. Das spüren auch die deutschen Verbraucher, die für Lebensmittel (+11 Prozent) besonders für Gemüse (+15,7 Prozent), Brot und Getreide (+16,6 Prozent) und Süßwaren (+18,9 Prozent) im Supermarkt zur Kasse gebeten werden. Viele einkommensschwache Haushalte fragen sich daher, warum am Ende des Geldes noch soviel Monat übrig ist. Es lohnt deshalb ein genauer Blick auf die Geldpolitik der EZB. Die Kerninflation (ohne Preise für Energie und Lebensmittel) liegt mit 5,5 Prozent auf sehr hohem Niveau. Im Durchschnitt 2022 lag diese bei 3,9 Prozent.

Die eigentlichen Inflationstreiber sind nicht die meist genannten

Die reflexhaften Hinweise auf Corona und Krieg in der Ukraine als die Inflationsursachen gehen daher ins Leere. Was sind also die eigentlichen Inflationstreiber? Die starken Leitzinssteigerungen sagen noch nichts über die Höhe des Zinsniveaus aus. Bei der Inflationsbekämpfung kommt es nämlich nicht auf den Nominalzins an, sondern auf den Realzins, also abzüglich der Inflationsrate. Zieht man vereinfacht vom Leitzins 4,25 Prozent die Inflationsrate (6,2 Prozent) ab, erhält man einen negativen Realzins von 2 Prozent. Das heißt, die 100 Euro Erspartes sind nächstes Jahr real nur noch 98 Euro wert. Laut Bundesbank verliert der deutsche Sparer jährlich sogar 3-5 Prozent seines Kapitals.

Damit die Geldpolitik wirkt, müssten die Leitzinsen eigentlich über der Inflationsrate liegen, also über 6 Prozent. Es ist daher noch Luft nach oben. Zudem verdeckt die Diskussion über die Leitzinserhöhung die Tatsache, dass die EZB nicht nur über die Zinsschraube in ihrem geldpolitischen Instrumentenkoffer verfügt. Ebenso wichtig ist die Steuerung der Geldmenge. Die hat langfristig Auswirkungen auf das Preisniveau.

Jede Geldmengenausweitung hat bislang zu Inflation geführt. Und die EZB hat die Notenpresse in den vergangenen Jahren kräftig rotieren lassen. So hat sich die Geldbasis (Notenumlauf und Einlagen der Banken bei der EZB) seit 2013 von 5,3 Billionen Euro auf 2023 10,9 Billionen Euro mehr als verdoppelt. Die Geldmenge M3 (Geldbasis; Wertpapiere und Kredite bis zu 2 Jahren Laufzeit) um 60 Prozent.

 

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Um die Inflation wirksam einzudämmen, müsste die EZB ihre Anleihebestände stark reduzieren, um die aufgeblähte Zentralbankbilanz zu verkürzen und damit die Geldmenge zu senken. Dies geschieht aber nur schleppend. Von derzeit über 3.200 Mrd Euro Anleihebestand will sie monatlich nur 15 Mrd auslaufen lassen. Ein Tropfen auf den heißen Stein einer weiter köchelnden Inflation. Die EZB will lieber günstige Verschuldungsmöglichkeiten für Italien, Spanien, Griechenland und Portugal als Preisniveaustabilität für die Sparer und Verbraucher der Eurozone. Das ist aber ihr Auftrag. Gemessen an der aktuellen Inflation hat sie diesen bei weitem nicht erfüllt.

Aber nicht nur geldpolitisch drohen Inflationsgefahren. Die Eurostaaten, darunter auch Deutschland, fahren ihre Verschuldung weiter hoch und heizen so, über eine gestiegene Nachfrage, die Inflation an. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Verbraucher stellen sich darauf ein. Ist die Inflation erst mal in Gang gekommen, drohen Verstärkungseffekte. Konsumentscheidungen – in Erwartung noch höherer Preise – werden vorgezogen und verstärken so die Inflation. Ähnlich können hohe Lohnforderungen der Gewerkschaften in künftigen Tarifrunden wirken, die weitere Preis- und Kostensteigerungen nach sich ziehen. Wer will es ihnen verdenken, wenn der Reallohn von der Inflation aufgefressen wird und letztes Jahr um 2,3 Prozent gesunken ist.

Unter dem Strich wird sich das Inflationsgespenst durch Wunschdenken nicht verflüchtigen. Zu den Maßnahmen der EZB kann man nur sagen: zu spät und zu wenig. Und die Deutschen glauben selbst auch nicht an ein Verschwinden der Inflation. In den Inflationserwartungen, die die Bundesbank regelmäßig abfragt, wird mit einer Inflationsrate von durchschnittlich 5 Prozent in den kommenden fünf Jahren gerechnet. Trotz aller Stabilitätsrhetorik werden wir also noch eine ganze Zeit mit hohen Inflationsraten zu leben haben. Zum Nachteil von Sparern und Verbrauchern.

 

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