„Generationenkapital“ soll Rente stützen - Homöopathischer Liberalismus

Was Finanz- und Arbeitsminister diese Woche als Rentenreform präsentiert haben, ist nur ein Formelkompromiss müder Koalitionspartner. Denn das schuldenfinanzierte „Generationenkapital“ basiert auf einem Trick, der schnell an seine Grenzen gerät.

Kein großer Wurf: Finanzminister Christian Lindner und Arbeitsminister Hubertus Heil stellen ihr Rentenreförmchen vor / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Angesichts der bisherigen Ampelperformance kann man sich eigentlich sicher sein: Erfolgt zwischen den Koalitionspartnern doch mal eine geräuschlose Einigung, kann deren Inhalt kein großer Wurf sein. Und genau so war es auch in dieser Woche, als Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das „Rentenpaket II“ vorstellten.

Die Herausforderungen sind groß. In diesem Jahrzehnt werden mit den „Boomern“ sehr viel mehr Menschen in die Rente eintreten, als ins Arbeitsleben nachstoßen. Das erzeugt ein doppeltes Problem: Deutlich mehr Anspruchsberechtigte stehen einer möglicherweise schrumpfenden wirtschaftlichen Basis gegenüber.

Die Folge: Kommt es nicht zu einer tiefgreifenden Rentenreform, werden die Kosten explodieren. Schon heute gibt der Bund mit einem Jahreszuschuss von etwas mehr als 100 Milliarden Euro rund ein Viertel des Bundeshaushaltes für die Rente aus. Der Anteil kann in den nächsten Jahrzehnten nach wissenschaftlichen Schätzungen auf mehr als 50 Prozent ansteigen.

Rentenbeiträge steigen

Um dieses Szenario zu verhindern, gäbe es zwei wirkungsvolle Hebel: die Anhebung des Renteneintrittsalters oder die Absenkung des staatlichen Rentenniveaus. Weder zum einen noch zum anderen Instrument hat die Ampel gegriffen. Stattdessen soll mehr Geld beschafft werden: Die Rentenbeiträge werden von heute 18,6 Prozent auf 22,3 Prozent ab dem Jahr 2035 steigen. Und den Rest des Geldes soll das sogenannte „Generationenkapital“ erwirtschaften, ein langfristig aufzubauender Kapitalfonds, der an der Börse tätig wird. Darin sind sich sozialdemokratischer Arbeitsminister und liberaler Finanzminister ganz einig.

Vor rund zwei Wochen schlug Christian Lindner noch ein „Moratorium für Sozialausgaben“ und Subventionen vor. Er meinte damit aber nicht das Einfrieren der Sozialausgaben auf heutigem Niveau, sondern dass irgendwann auch mal damit Schluss sein müsse, sich immer neue Sozialausgaben auszudenken. Zumindest für „drei Jahre“. Die nun erzielte Einigung dürfte Diskussionen über die Begrenzung von Sozialausgaben ohnehin obsolet machen. Sie sendet ein Signal in die genau entgegen gesetzte Richtung.

Renteneintrittsalter bleibt

Die Chefin von Deutschlands Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, machte sich prompt auf „X“ Luft. Was die Regierung da tue, laufe „diametral“ gegen alle Vorschläge des von ihr verantworteten Jahresgutachtens. Oder anders gesagt: Eigentlich könnte die Bundesregierung den Sachverständigenrat auch ganz abschaffen, wenn sie ohnehin nicht auf ihn hört. Die Wirtschaftsexperten hatten vor allem vorgeschlagen, das Renteneintrittsalter dynamisch an die Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung anzupassen. Aber daraus wird nun nichts.

Stattdessen soll es der Kapitalmarkt richten. Bis zum Jahr 2036 soll der geplante Fonds mit rund 200 Milliarden Euro ausgestattet werden und dann jährlich rund zehn Milliarden Euro zur Abpufferung der steigenden Rentenlasten beisteuern. Die jährlichen Kosten der Gesetzlichen Rentenversicherung betragen aber schon heute mehr als 300 Milliarden Euro – mit künftig stark dynamisch steigender Tendenz. Während Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Homöopathie aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung streichen will, führt Christian Lindner sie in der Rentenpolitik wieder ein.

Ein einfacher Trick

Und er setzt dazu ein regelrechtes perpetuum mobile in Bewegung. Die Einzahlungen in das „Generationenkapital“ werden zunächst und auf absehbare Zeit nicht aus Überschüssen, sondern aus zusätzlichen Krediten erfolgen. Weil mit diesen Krediten Vermögenspositionen aufgebaut werden, fallen sie nicht unter die Schuldengrenze. Der Staat erhöht also seine Schuldenlast zusätzlich, um dieses Geld anschließend an der Börse zu platzieren. Das Bundesfinanzministerium beabsichtigt auch ausdrücklich nicht, diese Schulden jemals wieder zurückzuzahlen. Das sei nämlich gar nicht nötig.

Es geht bei der Operation um das Ausnutzen eines ganz einfachen Tricks. Die ganze Konstruktion „basiert auf der theoretisch begründeten und historisch beobachteten positiven Renditedifferenz zwischen risikobehafteten Wertpapieren und sicheren Staatsanleihen“. Auf Deutsch: Der Staat zahlt als vertrauenswürdiger Kreditnehmer vergleichsweise geringe Zinsen. Außerdem lässt sich zeigen, dass die Zuwachsraten des an den Börsen platzierten Vermögens in der Vergangenheit über den Zinssätzen lagen, die der Staat für Kredite zahlt. Et voilà: Die Gewinne des Staates fallen um so höher aus, je mehr Schulden er macht und damit an die Börsen zieht. Dabei eine Netto-Rendite von fünf Prozent anzunehmen, wie die Bundesregierung dies tut, ist zwar nicht außerhalb des Möglichen, aber auch alles andere als gesichert.

Funktioniert nur homöopathisch

Dann stellt sich allerdings die Frage: Warum steigt der deutsche Staat nicht in das ganz große Geschäft ein, nimmt Billionen von Schulden auf, um das Geld an den Börsen für die steigenden Rentenlasten arbeiten zu lassen? Ganz einfach: Weil das Spiel nur dann mit überschaubarem Risiko funktioniert, wenn es homöopathisch bleibt.


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Würde der Staat Kredite in Billionenhöhe nachfragen, würde sich nicht nur dessen Bonität verschlechtern, sondern auch durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage der zu zahlende Zinssatz in die Höhe schießen. Gleichzeitig würden die Aktienkurse anziehen und hierdurch die Renditeaussichten geschmälert. Oder anders gesagt: Die Renditedifferenz zwischen „risikobehafteten Wertpapieren und sicheren Staatsanleihen“ würde so zusammenschnurren, dass es nicht mehr gerechtfertigt wäre, dafür Risiken an Börsen einzugehen.

Ein Formelkompromiss

Überzeugender wäre es, wenn die Zuführungen in das „Generationenkapital“ nicht aus zusätzlichen Schulden stammen würden, sondern schrittweise aus Eigenmitteln des Staates. Dazu aber bräuchte man nicht nur einen langen Atem, sondern vor allem: Haushaltsdisziplin. Allerdings liefe man dann auf das Problem hinaus, dass sich die Sozialausgaben des Bundeshaushaltes weiter erhöhen würden. Und das wiederum wäre das glatte Gegenteil eines „Moratoriums für Sozialausgaben“.

Was Finanz- und Arbeitsminister der staunenden Öffentlichkeit diese Woche präsentiert haben, ist also das, wozu diese Ampel allein noch in der Lage scheint: ein Formelkompromiss. Während sich die Liberalen damit begnügen, eine homöopathische und zudem schuldenfinanzierte Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung als Durchbruch des Liberalismus und Ausweis ökonomischer Rationalität zu feiern, ist Hubertus Heil ganz damit zufrieden, dass sich aus Sicht der Betroffenen im Grunde nichts ändert: nichts am Rentenniveau und nichts am Renteneintrittsalter.

Tiefgreifendere Reformen notwendig

Allerdings wird sich schon bald einiges ändern, nämlich die Wirklichkeit. Und dann werden weitere Reformen viel tiefgreifender ausfallen, als sie hätten schon heute ausfallen sollen. Wenn man denn nicht über Jahrzehnte die Zukunft immer und immer wieder auf die lange Bank geschoben hätte!

So jedenfalls scheint es auch Deutschlands Chefökonomin Monika Schnitzer zu sehen: „Der Reformentwurf der Regierung geht zu Lasten der jungen Generation und ist damit leider kein Beitrag zur Generationengerechtigkeit.“ Man wird sich daher bald wiedersehen.

 

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