Frauen am Arbeitsmarkt - „Dadurch entsteht für verheiratete Frauen eine Teilzeit-Falle“

Katharina Wrohlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt im Interview, wie erwerbstätige Mütter stärker in den Arbeitsmarkt eingebunden werden können und welche Rolle Männer dabei spielen.

Frau vor einem Brunnen / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

So erreichen Sie Ilgin Seren Evisen:

Anzeige

Katharina Wrohlich ist Professorin für Öffentliche Finanzen, Gender- und Familienökonomie an der Universität Potsdam. Zudem leitet sie die Forschungsgruppe Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Gemeinsam mit ihrem Team untersucht sie die ökonomischen sowie gesellschaftlichen Auswirkungen geschlechtsspezifischer ökonomischer Ungleichheiten.

Frau Wrohlich, was sind die Schwerpunkte Ihrer Forschung?

Neben Ungleichheiten in der Bezahlung – Stichwort Gender Pay Gap –, untersuchen wir Ungleichheiten im Volumen der Erwerbsarbeit, bei der Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit – Stichwort Gender Care Gap-, und die ungleiche Verteilung von Männern und Frauen in hohen Führungspositionen. Außerdem untersuchen wir die Auswirkungen von Familien- und Steuerpolitik auf diese Gender Gaps.

Wie kommen die Lohnunterschiede zwischen erwerbstätigen Männern und erwerbstätigen Frauen zustande? Wie hoch sind diese?

Der Gender Pay Gap – also die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Brutto-Stundenlohn der Männer und dem der Frauen – beträgt in Deutschland derzeit 18 Prozent. Einer der Gründe für den Gender Pay Gap ist, dass Frauen und Männer in unterschiedlichen Berufen arbeiten: weiblich dominierte Berufe sind typischerweise schlechter bezahlt als männlich dominierte Berufe. Weitere Gründe sind Faktoren wie Unterschiede in der wöchentlichen Arbeitszeit, in der Berufserfahrung und auch in der beruflichen Position. 

Sie haben die unbezahlte „Care Arbeit“ zur Zeit der Pandemie untersucht. Welche Entwicklungen haben Sie in Deutschland festgestellt? Was bedeuten diese Entwicklungen für das Rollenverständnis von Frauen und haben diese langfristigen Auswirkungen auf die berufliche Gleichstellung von Männern und Frauen?

Schon vor der Corona-Pandemie war die unbezahlte Sorgearbeit sehr ungleich zwischen Frauen und Männern aufgeteilt. Als in den Lockdowns dann Kitas und Schulen geschlossen waren, hat das die Sorgearbeit in vielen Familien massiv erhöht. Zu Beginn der Pandemie befürchteten viele einen Backlash, dass nun also Frauen die Kinderbetreuung und Haushaltstätigkeiten komplett übernehmen würden. Andere sahen die Chance, dass sich die Männer aufgrund von Homeoffice mehr an der Sorgearbeit beteiligen würden. 

Und?

Wir haben hierzu Daten aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 und dem zweiten Lockdown im Januar und Februar 2021 untersucht. Diese Daten bestätigen weder die eine noch die andere Hypothese. Zwar haben wir im ersten Lockdown eine stärkere Ungleichheit in der Aufteilung der Kinderbetreuung und Haushaltsarbeit gesehen, aber im zweiten Lockdown, also im Winter 2020/2021, war die Aufteilung wieder in etwa so wie vor der Pandemie. Trotz der enormen Belastung und des Schocks hat sich also an der Aufgabenteilung bei Paaren nichts verändert. Das zeigt, wie tief geschlechtsspezifische Rollenbilder verwurzelt sind. 

Der Begriff „Motherhood Penalty“ bezeichnet eine Vielzahl an negativen Konsequenzen, die erwerbstätigen Frauen nach der Entbindung ihres ersten Kindes drohen. Welche Folgen auf dem Arbeitsmarkt umfasst dieser Begriff?

Unter dem Begriff Motherhood Penalty werden verschiedene Dimensionen der ökonomischen Ungleichheit subsumiert, die sich für Frauen nach der Geburt eines Kindes verstärken. Insbesondere das Erwerbseinkommen von Frauen sinkt typischerweise nach der Geburt eines Kindes – während das der Männer steigt. Dies liegt zum einen daran, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes ihre Arbeitszeit reduzieren. Andererseits liegt es aber auch daran, dass ihr Stundenlohn danach sinkt beziehungsweise nicht mehr so stark ansteigt wie der von Männern. Es gibt empirische Evidenz dazu, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes größere Schwierigkeiten haben, einen neuen Job zu finden als Männer. Auch das fällt unter den Begriff der Motherhood Penalty.
 

Das könnte Sie auch interessieren:


Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an. Wie das? Wie groß sind die Verdienstlücken zwischen den Geschlechtern? Was begünstigt diese Entwicklungen und wie können Frauen es schaffen, aus dieser Konstellation auszubrechen?

Die zu Beginn genannten 18 Prozent Gender Pay Gap sind der Durchschnitt über alle Beschäftigten in Deutschland. Der Pay Gap ist aber nicht für alle Gruppen gleich groß. Insbesondere für jüngere Beschäftigte im Alter von unter 30 Jahren ist der Gender Pay Gap viel geringer. Ab 30 aber steigt der durchschnittliche Brutto-Stundenlohn von Frauen nicht mehr weiter an. Er bleibt konstant bis zum Ende des Erwerbslebens. 

Bei Männern hingegen steigt der durchschnittliche Brutto-Stundenlohn auch jenseits des Alters von 30 Jahren kontinuierlich an, bis er bei etwa 47 Jahren sein Maximum erreicht. Dass das Alter von 30 Jahren der Zeitpunkt ist, an dem die Löhne von Frauen und Männern stark auseinandergehen, ist kein Zufall: Das ist bei Frauen in etwa das durchschnittliche Alter bei der Geburt des ersten Kindes. Und mit der Familiengründung geht auch eine deutlich ungleichere Aufteilung der Care Arbeit, also der Kinderbetreuung sowie der Haushaltstätigkeiten einher.

Wie bewerten Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?

Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat verschiedene Dimensionen. Im Bereich der Kinderbetreuung beispielsweise hat sich die Situation in Deutschland in den letzten 15 bis 20 Jahren stark verbessert. Anfang der 2000er Jahre gab es in Westdeutschland beispielsweise nur etwa für drei Prozent der Kinder unter drei Jahren Kita-Plätze. Das hat sich seither stark verändert. Auch die Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 hat die Situation verbessert: Seither ist der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen, von unter drei Prozent auf etwa 40 Prozent gestiegen. Allerdings: die meisten Väter, die Elternzeit nehmen, tun dies für zwei Monate, während Mütter meist 12 Monate oder länger in Elternzeit bleiben. Von einer gleichmäßigen Aufteilung der Sorgearbeit kann also nach wie vor keine Rede sein.

Viele erwerbstätige Frauen entscheiden sich nach der Geburt ihrer Kinder für eine Teilzeittätigkeit. Nicht wenigen drohen im Alter Altersarmut und lebenslange Lohnlücken. Entscheiden sich Frauen freiwillig für die „Teilzeitfalle“? Welche Ansätze wären notwendig, um erwerbstätigen Müttern eine Vollzeitbeschäftigung zu ermöglichen? 

Das Modell „Vater arbeitet Vollzeit, Mutter arbeitet Teilzeit“ ist in Deutschland das häufigste Modell der innerfamiliären Arbeitsteilung, zumindest bei Paaren mit Kindern unter 12 Jahren. Einerseits entspricht dieses Modell der sozialen Norm in Deutschland: Erwerbstätigkeit von Müttern ist mittlerweile sozial akzeptiert, auch wenn die Kinder klein sind, aber explizit nur in Form von Teilzeit-Erwerbstätigkeit. 

Andererseits wird dieses Modell auch staatlicherseits finanziell gefördert, insbesondere durch das Zusammenspiel von Ehegattensplitting, beitragsfreier Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenversicherung und der steuerlichen Behandlung von Einkünften aus Minijobs. Diese drei Elemente machen das Modell „Vater arbeitet Vollzeit, Mutter arbeitet im Minijob“ finanziell sehr attraktiv – und dadurch entsteht für verheiratete Frauen eine Teilzeit-Falle. Würde man beispielsweise die Minijobs abschaffen und das Ehegattensplitting reformieren, so wäre es für Frauen finanziell deutlich attraktiver, die wöchentliche Arbeitszeit auszudehnen. 

Wie ließe sich die aktuelle Arbeitsmarktpolitik geschlechtergerechter gestalten, damit der bestehende Fachkräftemangel mit der Einbeziehung qualifizierter Mütter verringert werden kann?

Die Kinderbetreuung für Kinder aller Altersgruppen muss weiter ausgebaut werden, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Das ist nicht nur aus arbeitsmarktpolitischer und gleichstellungspolitischer Sicht wichtig, sondern vor allem auch aus bildungs- und sozialpolitischer Sicht. Des Weiteren sollten in der Familienpolitik weitere Weichen gestellt werden, damit die Sorgearbeit, insbesondere die Kinderbetreuung und die Haushaltsarbeit, gleichmäßiger zwischen Frauen und Männern verteilt wird. 

Das Elterngeld mit den zwei Partnermonaten war 2007 ein guter Anfang – nun sollten diese Partnermonate aber ausgeweitet werden, sodass eine gleichmäßigere Aufteilung der Elternzeit finanziell attraktiver wird. Das Ehegattensplitting sollte dringend reformiert werden, zum Beispiel in Form eines Realsplittings mit übertragbarem Grundfreibetrag. Und die Minijobs sollten abgeschafft werden – wobei es Ausnahmen für Schülerinnen und Schüler, Studierende, sowie Rentnerinnen und Rentner geben kann.

Die Fragen stellte Ilgin Seren Evisen. 
 

Anzeige