Warum zu viel Zeitenwende der Exportnation Deutschland schadet - Handel mit menschenrechtlich bedenklichen Staaten? Mehr davon!

Das Konzept „Wandel durch Handel“ sei gescheitert, schreiben jetzt viele Akteure beinahe reflexhaft mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Dabei ist das Gegenteil richtig: Ohne internationalen Handel wäre die Welt gefährlicher. Und in Zukunft brauchen wir mehr Handelsbeziehungen - nicht weniger, schreibt Cicero-Gastautor Stefan Liebing.

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Autoreninfo

Stefan Liebing ist Geschäftsführender Gesellschafter der Investment- und Projektentwicklungsfirma Conjuncta mit Sitz in Hamburg und seit 2012 ehrenamtlicher Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. Er unterrichtet als Honorarprofessor für Außenwirtschaft an der Hochschule Flensburg.

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Spätestens seit dem illegalen Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine wird in Berlin die These vertreten, der Ansatz „Wandel durch Handel“ habe nicht funktioniert, die deutsche Politik sei damit über Jahrzehnte einem Irrtum aufgesessen, der nun dringend korrigiert werden müsse.

Vorgeschlagen wird häufig, wirtschaftliche Beziehungen mit Ländern abzubrechen, deren Menschenrechtslage oder politisches System nicht unseren Wertvorstellungen entspricht. Und wo ein Abbruch der Beziehungen nicht möglich ist, sollen deutsche Unternehmen nun die Verantwortung übernehmen und im Rahmen eines „Lieferkettengesetzes“ selbst prüfen, ob bei ihren Vor- und Vorvorlieferanten alles in Ordnung ist. Wenn dann prominente Mitglieder der Bundesregierung mehr Regulierung beim Produktdesign und beim Recycling vorschlagen, um die Rohstoffabhängigkeit von „Autokratien“ zu verringern, dann zeigt all das, dass wir genau auf dem falschen Weg sind. Deutschland braucht aus vielerlei Gründen nicht weniger Welthandel, sondern mehr.

Deglobalisierung kann keine Antwort sein 

Zunächst einmal ist es nicht zutreffend, dass „Wandel durch Handel“ gescheitert ist. Richtig ist allerdings, dass der Aufbau von Handelsbeziehungen und Auslandsinvestitionen nicht vollständig das Risiko eliminieren, dass eine Regierung Menschenrechtsverletzungen begeht oder Völkerrecht bricht. Je mehr Verschränkungen und gegenseitige Abhängigkeiten in den Wirtschaftsbeziehungen bestehen, desto höher jedoch ist der Preis für diese Staaten, solche für sie gewinnbringenden Wirtschaftsbeziehungen zu riskieren. Wäre ohne Handel mit Russland und China die Menschenrechtslage vor Ort möglicherweise nicht noch viel schlimmer?

China weiß, dass das Land sich nicht leisten kann, die großen Abnehmer seiner Produkte in Nordamerika und Europa zu verlieren. Europa weiß, dass die Automobilindustrie einen Wegfall der chinesischen Märkte kaum überstehen könnte. Gäbe es diese Abhängigkeiten nicht, wäre es für China viel einfacher, etwa in Taiwan einzumarschieren oder angedrohte Sanktionen zu ignorieren. Eine Entflechtung von Wirtschaftsbeziehungen durch „Deglobalisierung“, durch das Zurückholen von Produktionsprozessen in das Hochlohnland Deutschland, würde Produkte nicht nur für die Konsumenten teurer machen und Inflation anheizen. Deglobalisierung würde auch den Menschenrechten in anderen Ländern schaden.

Handel hilft in erster Linie den Menschen

Zudem dient ein Großteil von Auslandsinvestitionen ja nicht primär den ausländischen Regierungen, sondern der Bevölkerung. Wenn also etwa die deutsche Gesundheitswirtschaft aufhören würde, in schwierigen Ländern Dialysezentren zu betreiben, so würden nicht vor allem Regierungsvertreter unter Druck geraten, sondern die Menschen vor Ort unter schlechterer Gesundheitsversorgung leiden. Ähnliches gilt für Investitionen in Solar- und Windparks, die es ermöglichen, private Haushalte, Schulen und Krankenhäuser mit Strom zu versorgen und die die Voraussetzung sind für die Entwicklung von Arbeitsplätzen und bescheidenem Wohlstand auch in Entwicklungsländern.

Und tendenziell werden besser ausgebildete und versorgte Menschen auch eher die Möglichkeit haben, Schritt für Schritt für bessere Menschenrechte zu kämpfen und Demokratie einzufordern. Das funktioniert nicht überall, zumindest nicht auf direktem Weg. Aber deshalb wäre es falsch, den Versuch zu unterlassen, durch wirtschaftliche Entwicklung auch zu demokratischer Entwicklung beizutragen.

Der deutschen Wirtschaft mehr Fesseln anzulegen, mehr Vorgaben, Vorschriften und Verbote durchzusetzen, ist noch keine außenpolitische „Zeitenwende“ – im Gegenteil. Ein solcher Ansatz versucht, mit untauglichen Instrumenten ein komplexes Problem zu lösen.

Alternative Bezugsquellen schaffen, Ausfallrisiken absichern

Eine wirkliche Zeitenwende muss drei Säulen in den Blick nehmen:

Erstens: Abhängigkeiten von anderen Volkswirtschaften lassen sich nicht sinnvoll reduzieren durch Beschränkung des Außenhandels, sondern durch Diversifizierung von Wertschöpfungsketten und Lieferquellen.

Diese Diversifizierung haben Unternehmen in der Vergangenheit zu wenig verfolgt. Dafür gibt es gute Gründe: Das Ausfallrisiko war bis zur Coronakrise gering bewertet und es gab eindeutige günstigste Lieferanten. Wenn also der Wettbewerb Gas nur in Russland beschafft, weil es dort günstiger verfügbar ist als in Form von LNG, dann ist es für andere Energieversorger notwendig, das auch zu tun, wenn sie am Markt überleben wollen. Diversifizierung, die Produktionsprozesse oder Vorprodukte teurer macht, muss also mit einem Anreiz versehen sein. Diesen Anreiz können Kunden setzen, die etwa höhere Strafen im Fall von Lieferausfällen vereinbaren.

Oder aber die Regierung sorgt für Anreize, indem sie etwa Ausfallrisiken absichert, aber nur dann, wenn das Unternehmen selbst hinreichende Diversifizierung und entsprechend mehrere Bezugsquellen nachweist. Auch denkbar wäre für bestimmte Rohstoffe eine Vergütung der Kosten für die Vorhaltung von Lagerbeständen oder für die Vereinbarung alternativer Lieferoptionen. Beides könnte ähnlich wie bei der Erdölreserve über eine Umlage ausgeglichen werden. All diese Mechanismen verzichten weitgehend auf zusätzliche regulatorische Vorgaben, sondern sie setzen marktkonforme Anreize für das gewünschte Verhalten der Unternehmen.

Standards vor Ort etablieren

Zweitens scheint es sinnvoll, die wirtschaftliche Verschränkung gerade mit solchen Staaten zu erhöhen, die aus der Wertegemeinschaft auszuscheren drohen. Damit wäre der Preis eines solchen Verhaltens für diese Volkswirtschaften höher als bislang. Und eine solche Verschränkung hat zudem das Potential, durch den Vorbildcharakter deutscher Investitionen auch Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen zu erreichen.

Wenn es also politisch wünschenswert ist, nicht auf die Lieferung seltener Erden aus China allein zu vertrauen, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als auch im Kongo zu investieren. Wenn Deutschland nicht allein im Kongo die Rohstoffe von lokalen Bergbaubetrieben kauft, die im Ruf stehen, Kinderarbeit zu tolerieren, sondern wenn deutsche Unternehmen vor Ort in die Förderung investieren und ihre Standards mitbringen, dann kann das zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage vor Ort führen und zugleich die strategische Diversifizierung begünstigen.

Ganz offensichtlich sind Investitionen in Bergbauvorhaben im Kongo derzeit aber für deutsche Unternehmen vor allem wegen der Risiken und der mangelnden Finanzierbarkeit nicht von Interesse. Es ist also notwendig, dass wir geeignete Instrumente der Außenhandelsfinanzierung schaffen, die für strategisch wichtige Vorhaben einen Teil der Risiken den Unternehmen abnehmen und so diese Investitionsvorhaben erst überhaupt ermöglichen. Das ist immer noch besser als die staatlichen Subventionen, die wir derzeit beispielsweise beim Bau von LNG-Terminals einsetzen, denn Investitionsgarantien für deutsche Vorhaben im Ausland unterstützen immer nur die unternehmerische Entscheidung, sie ersetzen sie nicht. Garantien sind damit marktnäher als die derzeit diskutierten Subventions- oder Regulierungsideen.

Den Druck erhöhen

Und schließlich muss die außenwirtschaftliche Zeitenwende unterstützt werden durch eine außenpolitische Zeitenwende: Die Bundesregierung muss unsere Interessen in der Außenpolitik in den Mittelpunkt stellen und den Preis für ein Ausscheren aus der internationalen Gemeinschaft so stark erhöhen, dass es zumindest für einen großen Teil der Partnerstaaten, mit denen wir zusammenarbeiten, unattraktiv wird, sich unkooperativ zu verhalten. Diese Botschaft wird gerade von autokratischen Regimen besser verstanden werden als der erhobene Zeigefinger einer „wertebasierten“ Außenpolitik.

All das bietet keine hundertprozentige Sicherheit, dass einzelne Machthaber wie Putin nicht irrational handeln und dennoch Verbrechen begehen. So etwas lässt sich auch durch außenpolitische Maßnahmen nie vollständig ausschließen. Die Wahrscheinlichkeit minimieren können wir aber schon. Durch eine Zeitenwende in Außenhandel und Außenpolitik, die diesen Namen auch verdient.

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