Europäische Zentralbank - Inflationsbekämpfung ist ein Marathon 

Die Zeit der äußerst großen Zinsschritte geht langsam zu Ende. Das bedeutet aber nicht, dass die Gefahr der Inflation gebannt ist. Tatsächlich wird die Inflationsbekämpfung im laufenden Jahr 2023 nicht einfacher – sie wird sogar noch viel komplexer.

Die dunklen Wolken lichten sich, doch die Gefahr der Inflation ist noch nicht gebannt: EZB in Frankfurt am Main / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Heike Lehner ist Wirtschaftswissen- schaftlerin aus Wien und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Geldpolitik und Umweltökonomie. Sie ist in der Finanzbranche tätig.

So erreichen Sie Heike Lehner:

Anzeige

Das vergangene Jahr war geprägt von steigenden Inflationsraten, die letzten Endes sogar zweistellig ausfielen. Noch nie zuvor hatte die Währungsunion mit derartigen Preiserhöhungen zu kämpfen. Energiekrise, Lieferengpässe oder die zu hohe Nachfrage nach der Pandemie waren die Hauptgründe. Leider zögerte die EZB zu lange, bis sie den Ernst der Lage endlich verstanden hatte und die Zinsen erhöhte. Erst im Sommer begann sie mit den ersten Steigerungen. 

Dabei ist das Mandat der EZB klar: Sie verfolgt ein Inflationsziel von zwei Prozent. Abweichungen nach oben sollen laut ihr genauso stark bekämpft werden wie zu niedrige Teuerungsraten. Mittlerweile ist die Zentralbank aber zum Glück vollends in der Realität angekommen. Doch kaum haben sich die Zahlen nun endlich etwas reduziert und liegen „nur“ mehr bei 9,2 Prozent, werden Stimmen laut, dass es nun mit der restriktiven Geldpolitik genug sei. 

Manchen Umfragen zufolge erwarten Analysten sogar eine Zinssenkung im Sommer. Das scheint in der aktuellen Lage undenkbar. Es scheint auch, als ob sich viele dieser Experten bereits an die exorbitant hohen Zahlen gewöhnt haben. Dabei sind diese noch immer mehr als vier Mal so hoch, wie sie eigentlich sein sollten. 

Das Ziel von zwei Prozent

Auf die geldpolitischen Entscheidungen haben die sinkenden Raten nichtsdestotrotz Auswirkungen. Sie zeigen, dass die Zeit der äußerst großen Zinsschritte von einem dreiviertel Prozentpunkt langsam, aber zurecht zu Ende geht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Gefahr der Inflation gebannt ist. Zu niedrige oder zu wenige weitere Erhöhungen könnten das Problem der Teuerung weiter verstärken und verlängern. 

Nach dem langen Zögern der EZB im Jahr 2022 und bereits im Jahr davor kann sie es sich nicht leisten, diesen Fehler noch einmal zu begehen. Auch, wenn der Wunsch verständlich ist: Aber mit ein paar EZB-Sitzungen mit wenigen Zinserhöhungen ist es nicht getan. Denn die Inflationsbekämpfung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Bis das Ziel von zwei Prozent erreicht ist, dauert es.  

Inflation ist nicht gleich Inflation

Die Nachricht der etwas geringeren Inflation ist erstmal eine grundsätzlich gute Nachricht. Endlich scheinen sich die Preissteigerungen zumindest nicht Monat für Monat weiter zu erhöhen. Dennoch lohnt es sich, genauer hinzusehen: Denn die Kerninflation, das ist die Inflation ohne besonders volatile Komponenten wie etwa Energie und Lebensmittel, befindet sich weiter im Steigen. Lag sie im November noch bei 5 Prozent, ist sie nun bei 5,2 Prozent.
 

Mehr zum Thema:


Ohne die stark schwankenden Güter lässt sich der tatsächliche Preisdruck besser einschätzen. Die Messzahl gibt unter anderem ein Bild darüber, wie stark Unternehmen die gestiegenen Kosten tatsächlich an ihre Kunden weitergeben. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Weitergabe bereits vollständig in den vergangenen Monaten passiert ist. Hier geht es nicht nur um die Energiepreise. Der massive Personalmangel kommt hinzu, mit dem viele Unternehmen zu kämpfen haben. Dieser erhöht die Lohn- und Gehaltsforderungen weiter und somit die Kosten der Firmen. Der Druck und die dadurch steigenden Preise können für Konsumenten weiterhin Kopfzerbrechen bedeuten.

Die EZB sollte daher, insbesondere solange diese Rate im Steigen begriffen ist, entschieden gegen sie vorgehen. Denn durch diese Messzahl werden oftmals wichtige darunterliegende Dynamiken aufgezeigt, die in der jetzigen schwierigen Lage ganz besonders wichtig sind. Deshalb lohnt es sich, nicht nur die geläufige Variante zu beobachten. 

Notwendige Signalwirkung für Staaten

Doch nicht nur Zinserhöhungen wurden von der EZB als Werkzeug eingesetzt: Nachdem die Zentralbank seit über zehn Jahren insbesondere Staatsanleihen angekauft und so deren Zinsen künstlich niedrig gehalten hat, ist nun seit letztem Jahr endlich Schluss damit. Zumindest wurde die Bilanz durch Staatsanleihekäufe nicht noch weiter verlängert. Gekauft hat die EZB weiterhin, Gelder auslaufender Anleihen wurden reinvestiert. Für dieses Jahr haben die Währungshüter allerdings weiteres angekündigt: Eben diese Reinvestitionen werden teilweise gestoppt. Das bedeutet, dass sich die aufgeblähte Bilanzsumme dadurch verringert.

Noch viel wichtiger ist aber die Signalwirkung für die Staatshaushalte: Die EZB wird die Staatsfinanzen nicht mehr in dem Ausmaß stützen, wie sie das in den vergangenen Jahren gemacht hat. Diese Zeichen sind essentiell, besonders für Problemkinder wie Italien. Auch sie müssen endlich lernen, auf eigenen Beinen zu stehen und ihre Verschuldung selbst zu stemmen.

Für die Glaubwürdigkeit der EZB ist dieser Schritt ebenso wichtig. Denn sie wird kaum glaubwürdig in der aktuellen Situation handeln können, wenn sie gleichzeitig weiterhin die Schulden ihrer Mitgliedsstaaten aufkauft. Es bleibt zu hoffen, dass sie den Weg auch in diesem Jahr weiter geht und nicht auf andere Instrumente zurückgreift, die ihr weitere Staatsanleihekäufe erlauben würden. Damit Schritt für Schritt die Problemkinder aus der Abhängigkeit der EZB herauskommen. 

Wann ist Schluss?

Es lohnt sich also, dieses Jahr einen genaueren Blick auf die Zentralbankpolitik zu werfen. Denn die Inflationsbekämpfung wird nicht einfacher – sie wird noch viel komplexer. Während im vergangenen Jahr der Fokus auf starken Zinserhöhungen lag, um gegen die steigende Inflation vorzugehen, stellen sich jetzt andere Fragen: Wie groß sollen die nächsten Zinsschritte sein? Wann ist Schluss? Wie lange soll die EZB dann auf diesem restriktiven Zinsniveau verharren? Die Antworten hierauf zu finden und das alles auch noch verständlich zu kommunizieren wird eine Mammutaufgabe für die EZB in diesem Jahr. Aber eine, der sie sich stellen muss.

Es sind gute Nachrichten, wenn die Inflationsraten nicht mehr ganz so stark ansteigen wie in den vergangenen Monaten. Nach zweistelligen Zahlen ist es eine Wohltat, nun endlich in vielen Eurostaaten unter den zehn Prozent angekommen zu sein. Trotzdem wird dieses Jahr nicht einfacher für die EZB. Es wird noch herausfordernder als das vergangene. Die erste Etappe hat die Zentralbank nach einigen Startschwierigkeiten dann doch gut gemeistert. Ein ehrliches Durchschnaufen gibt es aber erst, wenn die Inflation wieder beim Ziel von zwei Prozent angekommen ist.  
 

Anzeige