Euro in der Corona-Klemme? - Totgesagte leben (etwas) länger

Wegen immer neuer Lockdowns könnte die Coronakrise zu einem Ende des Euro führen. Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich der Direktbank ING, sieht das anders. Denn ob die europäische Währung überlebt oder nicht, sei eine politische Frage und weniger eine wirtschaftliche.

Euro in der Klemme? Corona könnte auch eine Währungskrise hervorbringen / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Carsten Brzeski ist seit 2013 Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich der Direktbank ING. Er ist Experte für wirtschaftliche und politische Entwicklungen und Geldpolitik.

So erreichen Sie Carsten Brzeski:

Anzeige

Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke schrieb an dieser Stelle Killt Corona den Euro?. Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich der Direktbank ING, antwortet ihm.

Die europäische Währungsunion war schon weit vor ihrem Start und ist bis zum heutigen Tag noch immer Objekt der Begierde von Untergangspropheten. Was nicht zusammengehört, soll auch nicht zusammenwachsen. Und so wird jede Gelegenheit genutzt, das Ende des Euros herbeizuschreiben. Aktuelles Beispiel: die Corona-Krise. Die Untergangspropheten werden auch dieses Mal daneben liegen. Der Euro bekam seine Impfungen schon im Sommer, so dass er die zweite Lockdownwelle unbeschadet durchstehen sollte. Der Impfstoff des Sommers bietet allerdings keinen dauerhaften Schutz. Manch einer vergleicht ihn eher mit einer Bluttransfusion.

Im Frühjahr schrillten die Alarmglocken. Die unterschiedliche Heftigkeit, mit der das Coronavirus die verschiedenen Euro-Staaten traf, sowie die unterschiedlichen Möglichkeiten der Regierungen die Wirtschaft zu unterstützen, brachten an den Finanzmärkten Angst vor einer neuen Eurokrise zurück. Als EZB-Präsidentin Christine Lagarde zu allem Überfluss auch noch suggerierte, dass die EZB sich nicht mehr um die unterschiedlichen Finanzierungskosten für Regierungen kümmern wurde, wurde aus Angst Panik.

Der Euro bekam seine Corona-Impfung

Die EZB konnte die Geister, die sie rief, wieder beruhigen, indem sie eine Woche später ein neues großes Anleihenkaufprogramm zündete. Europa zog nach mit dem Anbieten von günstigen Krediten für notleidende Staaten. Das war aber noch nicht alles. Der große europäische Durchbruch mit einem Wiederaufbaufonds, bei dem teilweise direkte Transfers fließen werden und bei dem die europäischen Staaten gemeinsam Schulden aufnehmen werden, kam nach einem historischen Marathontreffen in Brüssel. EZB und europäische Solidarität. Der Euro bekam seine Corona-Impfung schon, weit bevor Biontech den Impfstoff für Menschen fand.

In diesem Zusammenhang ist es übrigens interessant, dass die befürchtete wirtschaftliche Divergenz gar nicht stattgefunden hat. Mit der großen Ausnahme von Spanien waren die größeren Volkswirtschaften der Eurozone im dritten Quartal alle wieder bei ungefähr 95% der Wirtschaftsleistung von Ende 2019. Also nix mit “Deutschland hängt den Rest der Eurozone ab”.

Ein großer Teil der Konjunkturhilfen wurde noch nicht abgerufen

Ein Grund dafür ist, dass übrigens die Tatsache, dass in Deutschland ein großer Teil der Konjunkturhilfen bisher noch gar nicht abgerufen wurde, wie der Sachverständigenrat diese Woche in seinem Jahresgutachten gezeigt hat. Mit dem geld- und fiskalpolitischen Impfstoff aus dem Sommer wird der Euro auch die zweite Lockdownwelle überleben. Ja, durch die neuen Lockdowns wird die Wirtschaft der gesamten Eurozone im vierten Quartal wohl schrumpfen, ebenso wie die deutsche. Allerdings nicht so heftig wie im Frühjahr.

Eine Rezession ist aber noch nicht existenzbedrohend für den Euro. Auseinanderdriftende Entwicklungen dahingegen schon. Die sollte es jetzt aber nicht geben. Jedenfalls nicht, solange die zweite Lockdownwelle nicht so heftig wird wie im Frühjahr und im nächsten Jahr Impfstoff und weiteres Social Distancing den Wiederaufschwung ermöglichen.

Langfristiger Schutz mehr als unsicher

Hier sind vier Gründe, warum der Euro auch im Jahr 2021 nicht scheitern wird: Erstens sind die Regeln des Stabilitätspaktes auch für 2021 ausgesetzt und sind – auch auf Pump finanzierte – Konjunkturpakete alternativlos. Zweitens schwebt wie zu Mario Draghis besten Zeiten über den Finanzmärkten die beruhigende Hand der EZB, die mit dem Ankauf von Staatsanleihen ein mögliches Auseinanderdriften von Finanzierungskosten der Staaten im Keim erstickt. Drittens gibt es die Möglichkeit für billige Kredite aus europäischen Töpfen. Und viertens, wird der Europäische Wiederaufbaufonds – wenn er denn kommt – im nächsten Jahr genau rechtzeitig kommen, um den Konjunkturaufschwung zu unterstützen

Wie beim richtigen Impfstoff bleibt der langfristige Schutz der geld- und fiskalpolitischen Impfung allerdings mehr als unsicher. Das fängt damit an, dass Regierungen durch die zweite Lockdownwelle durchaus noch gezwungen werden könnten, Schulden abzuschreiben bzw Schulden des Privatsektors in die eigene Bilanz zu nehmen. Oder wie aktuell schon im Falle von Frankreich und Deutschland die notleidenden Unternehmen und Selbstständigen mit Direkthilfen zu unterstützen.

Dadurch wird die Staatsverschuldung im nächsten Jahr noch weiter steigen und nimmt auch das Risiko auf davon galoppierende Schuldenberge wieder zu. Die Warnungen, schnell wieder zur Sparpolitik überzugehen werden lauter werden. Selbst wenn alle Eurostaaten im nächsten Jahr wieder zur soliden Haushaltspolitik der Jahre 2018 und 2019 zurückkehren sollten, würde die Schuldenschere in der Eurozone auseinandergehen. Zusammengehalten wird dann alles nur durch die EZB.

Schicksal des Euro wird politisch entschieden

Letztendlich wird sich das Schicksal des Euro aber nie in der Wirtschaft entscheiden, sondern immer in der Politik. Wirtschaftliche Entwicklungen sind nur Brandverstärker. In der Theorie wird die Währungsunion nur dann immun gegen alle zukünftigen Krisen, wenn auch eine politische Union folgt. Und das wird einfach nicht so schnell geschehen. Egal wie viele, noch so lobenswerte, Schritte zu mehr Integration und Solidarität schon eingeführt wurden und noch folgen werden, eine Währungsunion ohne politische Union bleibt suboptimal und immer anfällig sein für existentielle Krisen.

Jede noch so existentielle Krise kann gelöst werden. Aber nur wenn der politische Wille da ist. Wachsende wirtschaftliche Unterschiede verstärken den politischen Druck. Druck, der in zwei Richtungen gehen kann. In die positive Richtung, hin zu mehr Solidarität und Integration wie in den letzten Monaten gesehen. Aber auch in die negative Richtung, wenn südeuropäische Länder sich nicht mehr Regeln diktieren lassen wollen oder aber wenn nordeuropäische Länder genug haben von den vermeidlichen negativen Folgen von niedrigen Zinsen auf Sparer und Rentner.

Der Euro wird auch die 2. Lockdownwelle überstehen

Das ist die verkürzte Fassung. Über die wirtschaftlichen Wirkungskanäle, die den Euro sprengen könnten, wurde schon genug an anderer Stelle geschrieben. Dass es auch in diese Richtung gehen kann, haben Wahlen sowohl in süd- als auch in nordeuropäischen Ländern in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt.

Der Euro wird auch die zweite Lockdownwelle überstehen. Spekulationen über ein eventuelles Ende des Euros werden aber nicht verschwinden. So lange allerdings die schützende Hand der EZB über dem Euro schwebt, entscheidet über die Existenz und das Fortbestehen der Währungsunion der politische Willen der Mitgliedsstaaten. Wie lange der anhält, weiß in aller Ehrlichkeit niemand.

Anzeige