EU-Plan zur Unabhängigkeit von Russland - Deutschland muss seinen Energiewende-Nationalismus überwinden

Die EU-Kommission hat einen ehrgeizigen Plan vorgelegt, wie Europa unabhängig von Russlands fossilen Rohstoffen werden soll. Ursula von der Leyen will dafür 300 Milliarden Euro mobilisieren. Doch damit die sich weiter verschärfende Energiekrise wirklich gesamteuropäisch gelöst werden kann, muss vor allem Deutschland über seinen Schatten springen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will den Turbo für ihren „Green Deal“ zünden / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Auch wenn im Mai, der sich dieses Jahr von seiner wonnigsten Seite zeigt, kaum jemand daran erinnert werden will: Der nächste Winter wird kommen. So viel ist sicher. Alles andere als sicher ist hingegen, ob dann unsere Gasversorgung gewährleistet ist. Denn so schnell lässt sich die in Jahrzehnten gewachsene Abhängigkeit von Russland nicht überwinden. Auch wenn in Berlin, Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten derzeit fieberhaft daran gearbeitet wird.

In Deutschland ist die Herausforderung besonders groß, da weite Teile der Industrie auf billiges Erdgas angewiesen sind. Sie nutzen es nicht nur als Brennstoff, um Wärme und Strom für die Produktionsanlagen zu gewinnen, sondern in der chemischen Industrie auch als Rohstoff. Der Bedarf ist enorm.

Hinzu kommt das spezifische Problem der deutschen Energiewende: Die Ampelkoalition verfolgte noch bis zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs den Plan, dutzende neue Gaskraftwerke bauen zu lassen, die Atom- und Kohlemeiler ersetzen sollten. Denn allein mit Wind- und Sonnenstrom lässt sich keine stabile Versorgung aufrechthalten. Wladimir Putin, der sein Gazprom-Imperium strategisch ausgebaut hat, gilt als großer Fan der Energiewende.

Wer der Windkraft im Weg steht, muss weichen

Doch damit soll bald Schluss sein. Nicht mit der Energiewende. Im Gegenteil, die soll jetzt noch entschiedener und noch schneller vorangetrieben werden. Windenergie ist jetzt „Freiheitsenergie“ (Christian Lindner), und wer ihr im Wege steht, ob Rotmilan oder Einfamilienhausbesitzer, muss weichen. Wenn der Wind nicht weht, springen halt doch wieder die Kohlekraftwerke ein. Klimaschutz hin oder her. Wichtigstes Ziel ist es nun, Putins Gazprom-Imperium zu zerschlagen.

Das hat auch EU-Chefin Ursula von der Leyen erkannt und präsentierte am Mittwoch einen 300-Milliarden-Euro-Plan mit dem Titel „REPowerEU“. Das ist ein Wortspiel wie aus dem Wörterbuch der Polit-PR. Denn RE steht zum einen für Renewable Energy, also Erneuerbare Energie. Zum anderen soll Repower wohl so etwas bedeuten, wie der EU neue Kraft zu geben. Kommissionspräsidentin von der Leyen, die schon zu ihren Zeiten als deutsche Ministerin den schneidigen Auftritt auf großer Bühne liebte, hat sich vorgenommen, den kriselnden und vor zahlreichen Zerreißproben stehenden Staatenverbund angesichts einer äußeren Bedrohung von innen heraus kraftvoll zu erneuern.

Verbraucher sollen Energie sparen

„Wir müssen unsere Abhängigkeit von Russland im Energiebereich so schnell wie möglich verringern“, sagte von der Leyen bei der Vorstellung ihres „REPowerEU“-Plans. „Wir mobilisieren zu diesem Zweck bis zu 300 Milliarden Euro.“ Der Plan werde helfen, Energie zu sparen, den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu beschleunigen und Investitionen anzustoßen. „Dies wird für unseren europäischen ‚Green Deal‘ den Turbo zünden“, so von der Leyen. Ziel ist es, im Laufe des Jahrzehnts keine Energie mehr von Russland kaufen zu müssen.

Konkret schlägt sie vor, das Energiesparziel der EU für 2030 von 9 auf 13 Prozent und das Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien in der EU bis 2030 von 40 Prozent auf 45 Prozent zu erhöhen. Um das zu erreichen, will die Kommission unter anderem Genehmigungsverfahren für Erneuerbare-Energie-Projekte verkürzen, eine Solardachpflicht einführen und mehr klimafreundlichen Wasserstoff importieren. Außerdem soll in Infrastruktur investiert werden – in Stromnetze, aber auch in Gas- und Ölleitungen. Länder wie Ungarn, die besonders von russischem Öl abhängig sind, sollen insgesamt bis zu zwei Milliarden Euro erhalten, um davon loszukommen.

Erstmal nur Papier

Die rund 300 Milliarden Euro sollen zum Großteil aus Krediten sowie aus Zuschüssen bestehen. Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen müssen noch mit den EU-Ländern und dem Europaparlament verhandelt werden. Das bedeutet: Die hehren Ziele stehen erstmal nur auf dem Papier. Was beim üblichen Brüsseler Gefeilsche, das die unterschiedlichsten Einzelinteressen von Mitgliedstaaten und lobbystarken Wirtschaftsbranchen miteinander vereinbaren muss, am Ende dabei herauskommt, weiß noch niemand.

Grundsätzlich ist die Idee, die europäische Energiekrise gemeinsam anzugehen, vollkommen richtig. Denn diese Krise, die schon vor dem Ukraine-Krieg begonnen und sich durch diesen noch schneller zugespitzt hat, birgt die Gefahr einer noch tieferen Spaltung der EU. Daran hat Deutschland, das seine nun zu scheitern drohende Energiewende mit dem Tunnelblick des angeblichen Vorreiters als rein nationales Projekt betrieben hat, einen maßgeblichen Anteil.

Engstirniger Nationalismus

Die deutsch-russischen Pipelines Nord Stream 1 (fertig) und 2 (fast fertig) haben nicht nur mächtige SPD-Genossen, sondern auch etliche Wirtschaftsvertreter mit Unterstützung aus CDU und FDP bis zum bitteren Schluss verteidigt. Aus deutscher Sicht war die Idee, die Ukraine als Gastransitland zu umgehen, natürlich auch vorteilhaft. Rein energiepolitisch gedacht. Für angeblich befreundete Staaten in Ost- und Mitteleuropa war es fatal.

Ein anderes Beispiel für den engstirnigen Nationalismus der deutsche Energiewende-Prediger: Norwegen, das dank gewaltiger Wasserkraftressourcen und über klimafreundlichen und sehr günstigen Strom verfügt, wurde wie selbstverständlich als „Batterie Europas“ in die Planungen mit einbezogen. Ein neues Hochleistungskabel, Nordlink, das durch die Nordsee führt und die Stromnetze beider Länder verbindet, ist im vergangenen Jahr eingeweiht worden. Wenn in Norddeutschland zu viel Windstrom erzeugt wird, soll er nach Norwegen exportiert werden. Und umgekehrt kann norwegischer Wasserstrom durch das Nordlink-Kabel nach Deutschland fließen, wenn hier Flaute herrscht. Die unangenehme Folge für norwegische Stromverbraucher ist: Die Strompreise sind dort regelrecht explodiert. Sie haben sich dem deutschen Rekordniveau angepasst.

Tabuthema Kernkraft 

Wenn die nun eingetretene Versorgungskrise dazu führt, dass das lebenswichtige Feld der Energiepolitik wirklich gesamteuropäisch angegangen wird, wäre das ein Gewinn. Dazu muss aber auch Deutschland endlich über seinen Schatten springen und ein Tabu aufgeben, das nicht mehr in die Zeit passt: Weshalb die Bundesrepublik stoisch am 2011 beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie festhält, versteht in anderen Ländern kaum jemand mehr. Sechs deutsche Kernkraftwerke könnten noch gerettet werden, wenn sich die Bundesregierung endlich dazu durchringt.

mit dpa-Material

Hören Sie zum Thema Energieversorgung auch den Cicero-Podcast mit Anna Veronika Wendland: „Bei der Energiestrategie ist Stimmungspolitik Gift“ 

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