Energiekrise in Europa - „Wenn der Winter kalt wird, bekommen wir ein Problem“

Windflaute und Gasknappheit führen zu explodierenden Energiepreisen. Und ausgerechnet in der beginnenden Heizperiode will Deutschland drei seiner sechs Kernkraftwerke abschalten. Der Energieexperte Björn Peters hält das für einen verhängnisvollen Fehler.

Das Kernkraftwerk Grohnde in Niedersachsen soll Ende des Jahres vom Netz gehen / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Der Physiker und Experte für Kraftwerksfinanzierung Dr. Björn Peters ist wissenschaftlicher Direktor des Aktionskreises Energie & Naturschutz AKEN, Nachhaltigkeitsaktivist und Unternehmer.

Herr Peters, die Großhandelspreise für Strom sind derzeit so hoch wie nie, gleichzeitig wird das Gas knapp. Was ist da los?

Europa schlittert gerade in eine Energiekrise hinein, die zwei Hauptursachen hat. Zum einen zieht sich die Natur aus der Windstromerzeugung heraus. Sie liefert dieses Jahr sehr viel weniger Windenergie, als wir benötigen. Gleichzeitig ist es auch relativ dunkel, und es fehlt daher an Solarenergie. Zum anderen sollten um diese Jahreszeit die Gasspeicher eigentlich voll sein. Sie sind es aber nicht, weil vor allem Russland nicht genug Erdgas liefert.

Weil Präsident Putin uns unter Druck setzen will?

Man weiß nicht genau, ob Russland nicht liefern will oder nicht liefern kann. Aber wenn man etwas Erfahrung im Rohstoffgeschäft hat, weiß man, dass nach langen Jahren mit sehr niedrigen Preisen die Investitionstätigkeit der Produzenten deutlich nachlässt. Vielleicht hat einfach das Geld gefehlt, um in Produktionsanlagen zu investieren. Was jetzt dazu führt, dass die Gasproduktion nicht schnell nach oben gefahren werden kann.

Björn Peters / Stefan Gröpper

Steuern wir auf einen Winter zu, in dem Heizungen ausfallen oder der Strom ausbleibt?

Das ist genau die Befürchtung. Ich weiß von Großbritannien, dass dort viele ausländische Fachkräfte das Land den Winter über verlassen wollen. Dort ist die Lage noch angespannter als in Kontinentaleuropa, weil es eine Insel ist. Die Briten setzen ähnlich wie wir vor allem auf Windkraft. Das rächt sich nun, wenn das Wetter nicht mitspielt. Zusätzlich ist eine wichtige Verbindung zum französischen Stromnetz abgebrannt. Es wird Monate dauern, diese wieder in Betrieb zu nehmen.

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In Deutschland fordern die meisten Politiker fast aller Parteien, möglichst schnell noch mehr Windkraftanlagen zu bauen.

Das ist logisch nicht ganz nachzuvollziehen. Denn wir erleben ja gerade, was passiert, wenn die Windkraft schwächelt. Wir machen unsere Energieversorgung vom Wetter abhängig, ohne zu wissen, wie es sich über die Jahre verändert. Das macht mir größte Sorgen.

Aber es gibt doch reihenweise Studien, die vorrechnen, dass der Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare möglich ist.

Die meisten dieser Studien gehen von einem typischen Wetterjahr aus, zum Beispiel 2012. Doch das ist eine viel zu grobe Vereinfachung. Wir müssen von den Extremjahren ausgehen, um alle Risiken zu kennen. In anderen Bereichen, etwa beim Hochwasserschutz, ist das selbstverständlich. Aber bei der Energieversorgung, dem empfindlichsten Infrastruktursektor, werden diese elementaren Standards der Ingenieurswissenschaft missachtet. Einfach zu sagen, im Durchschnitt wird es schon passen, ist zu kurz gedacht. Auch wenn es anstrengend ist: Man muss sich mit der vollen Häufigkeitsverteilung von Witterungsereignissen auseinandersetzen, und erst seit wenigen Monaten sehe ich solche Studien in den Fachjournalen. Diese sind aber noch nicht in der Energiesystemmodellierung angekommen, und bis dahin ist die Energiewende ein Blindflug, bei dem wir nicht wissen, wo wir landen oder zerschellen werden.

Sie setzen sich für eine Renaissance der Kernkraft ein. Wäre das ein Ausweg?

Ich denke schon. Der in Deutschland beschlossene Atomausstieg sieht vor, dass bis Ende des Jahres drei von sechs Kernkraftwerken abgeschaltet werden, die restlichen drei bis Ende 2022. Angesichts der beginnenden Energiekrise in Europa ist dieser Schritt erst recht unverständlich. Denn wir verlieren dann mitten in der Heizperiode und mitten in der Saison mit dem höchsten Strombedarf mehrere Gigawatt an zuverlässiger Kraftwerksleistung. Wenn der Winter kalt wird, kann das ein ernsthaftes Problem werden.

Beschlossene Abschaltung der Atomkraftwerke in Deutschland / Grafik: Bundesministerium für Umwelt

Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat im Wahlkampf angedeutet, dass er den schnellen Atomausstieg für einen Fehler hält. Wie schätzen Sie die Chance ein, dass eine neue Bundesregierung Merkels Entscheidung von 2011 korrigiert?

Zum ersten Mal seit vielen Jahren halte ich es für realistisch, dass es gelingen kann, den Atomausstieg aufzuhalten. Denn zur Energiekrise kommt noch der Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hinzu. Das Gericht verlangt, dass der CO2-Ausstoß schneller gesenkt wird als geplant. Mit dem Atomausstieg würden Deutschlands CO2-Emissionen aber um 50 bis 70 Millionen Tonnen im Jahr steigen. Denn die 64 Terawattstunden Strom, die dann fehlen, würden hauptsächlich in Kohlekraftwerken erzeugt. Die laufen dann bis zum Anschlag.

Es gilt als wahrscheinlich, dass die Grünen an einer künftigen Koalitionsregierung beteiligt sind. Der Widerstand gegen die Atomenergie ist ihr Gründungsmythos.

Ja, aber es fällt auf, dass die Grünen dazu sehr still waren in letzter Zeit. Ich habe den Eindruck, dass sie das Thema bewusst aus dem Wahlkampf heraushalten wollen, damit es nicht zu einer weiteren Polarisierung kommt. Denn sie haben gemerkt, dass sie das falsche Schwein geschlachtet haben. Lieber Kohle verbrennen statt Uran spalten, das war noch in den 1990er-Jahren ihre Stoßrichtung. Inzwischen ist klar, dass das klimapolitisch ein großer Fehler war. Zudem findet nach der Wahl ein Generationswechsel statt. Die Generation der Grünen, die in den Schützengräben von Wyhl, Wackersdorf und Gorleben sozialisiert wurde, wird im nächsten Bundestag kaum noch vertreten sein.

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

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