Einbruch am Immobilienmarkt - „Der Staat subventioniert im Grunde die Reichen“

Nach Jahren des Immobilienbooms ist der Markt im ersten Quartal 2023 eingebrochen. Heizungsauflagen für Hausbesitzer und die geplante Sanierungspflicht der EU-Kommission könnten die Lage noch verschärfen. Im Cicero-Interview erklärt der Immobilienexperte Tomas Peeters, was das für die Bürger bedeutet.

Ein viel zu seltener Anblick in Deutschland, denn auf dem Neubaumarkt herrscht Flaute / dpa
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Lukas Koperek ist Journalist und lebt in Mannheim und Berlin.

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Tomas Peeters ist Vorstandsvorsitzender von Baufi24 und CEO der Bilthouse-Gruppe. Seine Unternehmen Baufi24, Hüttig & Rompf und Creditweb beraten Privatpersonen zur Immobilienfinanzierung und vermitteln jährlich rund fünf Milliarden Euro Kredite aus einem Netzwerk von 500 Banken, Bausparkassen und Versicherungen.

Herr Peeters, wie ist derzeit die Lage auf dem Immobilienmarkt?

Der Enthusiasmus, der bis Anfang 2022 herrschte, ist heute verflogen. Seit vergangenem Jahr haben sich die Zinsen vervierfacht. Die Marktlage kann man sehr gut an der Anzahl der Transaktionen ablesen, die im Immobilienwesen getätigt werden. 30 Jahre lang lagen wir in Deutschland bei einer Million Transaktionen pro Jahr. In diesem Jahr ist die Anzahl der Transaktionen um circa 35 Prozent eingebrochen. Auf Tagesbasis betrachtet sehen wir zwar, dass die Volumina derzeit wieder leicht steigen. Dass wir aber die Verluste aus dem ersten Quartal wieder wettmachen, halte ich für ausgeschlossen – vor allem da die Inflation hoch bleibt und daher auch die Zinsen weiter steigen werden.

Was bedeutet das konkret?

Wenn die Immobilienfinanzierung einbricht, heißt das im Grunde, dass sich weniger Menschen ein Eigenheim leisten können. Wir haben ja in Deutschland sowieso schon eine Quote von unter 50 Prozent Eigenheimbesitzern, was im europäischen Vergleich sehr niedrig ist. Bei der derzeitigen Marktlage können sich nur Menschen mit viel Eigenkapital noch ein Haus leisten. Die unteren 35 Prozent der Leute, die Vorjahreszeitraum noch ein Haus kaufen konnten, sind abgeschnitten worden. Ein durchschnittliches Einkommen und ein paar Rücklagen reichen heute nicht mehr, um sich ein Eigenheim zu finanzieren. Früher galt die Faustregel: Wenn man zehn Prozent des Kaufpreises durch Eigenkapital decken kann, ist es sicher zu finanzieren. Heute wird es schon schwierig, wenn man weniger als 20 Prozent Eigenkapital hat.

Der Verband deutscher Pfandbriefbanken, in dem die führenden Kapitalgeber für den Wohnungs- und Gewerbebau zusammengeschlossen sind, hat im ersten Quartal vergangenen Jahres Rekordergebnisse im Finanzierungsgeschäft verzeichnet. Wie kommt es, dass der Markt jetzt eingebrochen ist?

Kurz gesagt: durch die Inflation. Die Europäische Zentralbank verfolgt grundsätzlich das Ziel, die Inflationsrate in der Eurozone bei zwei Prozent zu halten. Solange dieses Ziel erreicht wurde, sind die Zinsen niedrig geblieben – bei null Prozent beziehungsweise unter null für die Banken. Die wiederum konnten deshalb Baukredite für 0,5 oder ein Prozent vergeben. Wenn man ein Haus kaufen wollte, konnte man also sehr günstige Kredite bekommen. Mit dem Krieg und der Energiekrise kam 2022 dann die Inflation. Auf einmal war die Inflationsrate nicht mehr bei zwei, sondern teilweise bei über zehn Prozent. Um dem zu begegnen, hat die EZB in noch nie dagewesener Geschwindigkeit die Zinsen erhöht. So sind wir in etwas mehr als einem Jahr von null bei über vier Prozent Zinsen gelandet.

Sind auch die Folgen der Pandemie noch spürbar?

Der Immobilienexperte Tomas Peeters / Foto: Bilthouse

Bei der Pandemie haben sich anfangs alle Sorgen gemacht, aber interessanterweise waren das die besten Jahre für den Immobilienmarkt. Ich vermute, es hat etwas damit zu tun, dass die Menschen mehr Zeit zu Hause verbracht haben. Mit dem Aufkommen des Homeoffice sind zum Beispiel Büroräume zu Hause relevanter geworden. Gleichzeitig hat die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten, auch bei vielen Leuten die Bereitschaft erhöht, aus den Städten wegzuziehen und auf dem Land zu wohnen – dort haben sie sich Häuser gekauft oder gebaut. Hinzu kam, dass es weniger Ausgabemöglichkeiten für Geld gab, die Leute also Eigenkapital gespart hatten. Kombiniert mit den niedrigen Zinsen hat das zu einem Immobilienboom während der Pandemiejahre geführt. Mit dem Preisanstieg durch die Inflation und der Erhöhung der Zinsen ist das jetzt aber ziemlich abgeflaut.

Erschwerend hinzu kommt, dass auch nicht genug gebaut wird. Laut Ifo-Institut haben im November 2022 16,7 Prozent der befragten Baufirmen Aufträge storniert. 

Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Baustoffe schwer oder nur teuer zu bekommen sind. Und mit der Inflation haben auch Handwerker ihre Preise erhöht. Deshalb mangelt es gerade entschieden an Neubauprojekten. Bauträger arbeiten vielleicht noch ihre angefangenen Projekte ab, fangen aber nichts Neues mehr an. Der Hauptgrund für die Stornierungen ist und bleibt die teure Finanzierung – auf einmal liegt sie nicht mehr bei einem Prozent sondern bei vier Prozent.

Und deshalb ist die Monatsbelastung durch die abzuzahlende Rate für viele Menschen nicht mehr tragbar.

Ja. Die Kosten der Finanzierungen haben sie vielleicht noch nicht auf dem Schirm gehabt, als sie die Kaufentscheidung getroffen haben. Daher kommen die Stornierungen. Führen wir uns mal vor Augen, was eine Vervierfachung der Zinsen bedeutet: Wenn man sich früher, mit einem Prozent Zinsen, 500.000 Euro geliehen hat, musste man jährlich 5000 Euro Zinsen zahlen. Hinzu kommen noch zwei Prozent Tilgung, also insgesamt 15.000 Euro im Jahr. Das sind 1250 Euro im Monat. Eine Familie konnte sich das noch leisten. Heute aber, mit vier Prozent Zinsen, müsste man jährlich schon 20.000 Euro Zinsen zahlen. Auf einmal würde man mit Tilgung auf insgesamt 2500 Euro monatlich kommen. Das kann man sich dann nicht mehr leisten.

Nun ist ja das Thema bezahlbarer Wohnraum in der Politik ein zumindest rhetorisch häufig beackertes Feld. Sehen Sie, dass sich etwas bewegt?

Nein. Ich habe den Eindruck, dass Wohneigentum in Deutschland generell einen zunehmend schlechten Ruf hat. Dabei müsste man den Anteil der Menschen mit Eigenheim meiner Meinung nach erhöhen. Einer von sechs Rentenempfängern bekommt heute schon staatliche Unterstützung bei seiner Miete. Da die Renten nicht steigen, die Mieten aber rasant, kann man davon ausgehen, dass irgendwann fast jeder Rentner finanziell unterstützt werden muss – und das Geld geht dann an die Vermieter. Das heißt, der Staat subventioniert im Grunde die Reichen. Schlauer fände ich es, den sogenannten kleinen Mann zu subventionieren und ihn dabei zu unterstützen, ein Eigenheim zu bekommen.

Wie genau stellen Sie sich das vor?

Zwei Vorschläge. Der erste: Man müsste Gleichstellung zwischen Eigenheimbesitzern und Vermietern schaffen. Die Gesetze stammen noch aus einer Zeit, in der wegen der Wohnungsknappheit Vorteile für große Investoren geschaffen wurden, damit sie Wohnungen bauen. Das hat auch funktioniert. Zum Beispiel kann ich als Vermieter eine neu eingebaute Wärmepumpe von der Steuer absetzen. Warum schaffen wir für Eigenheimbesitzer nicht die gleiche Regelung? Das würde schon viele Familien entlasten, wenn sie Renovierungen und Zinsen von der Steuer absetzen könnten.

 

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Und der zweite Vorschlag?

Eine Befreiung von der Grunderwerbssteuer für das erste Wohneigentum – jedenfalls für die Leute, die es nötig hätten. Ich rede nicht von denen, die sich eine riesige Villa am Starnberger See kaufen. Ich meine junge Familien mit Kindern, die schauen müssen, wie sie sich das erste Eigenheim leisten können. Die Grunderwerbssteuer liegt in Teilen Deutschlands bei 6,5 Prozent. Die muss man in voller Höhe beim Kauf einer Immobilie entrichten. Mein Vorschlag: Entweder man schafft sie komplett ab oder man streckt sie über die Laufzeit der Finanzierung. Auch hier haben Vermieter bislang einen Vorteil, weil sie die Grunderwerbssteuer absetzen können.

Zur Zeit ist die Neufassung des Gebäudeenergiegesetzes in aller Munde. Auch wenn der Streit innerhalb der Regierung beigelegt und ein Kompromiss gefunden scheint, bleiben die geplanten Heizungsauflagen für Hausbesitzer umstritten. Hat das Chaos rund um das GEG auch zur Lage des Immobilienmarktes beigetragen?

Teilweise. Grundsätzlich finde ich es richtig, dass der Staat die Umstellung auf klimafreundlicheres und energieeffizienteres Heizen einleitet. Aber die Geschwindigkeit, mit der die Umstellung auf Wärmepumpen eingebracht wurde, und der daraus folgende Stress der Menschen haben sich auch auf dem Immobilienmarkt bemerkbar gemacht. Daher ist es auch gut, dass jetzt ein Kompromiss gefunden wurde und mehr Klarheit herrscht. Die Unsicherheit hat vor allem den Bestandskauf betroffen, weil die Häuser in den unterschiedlichsten Sanierungszuständen sind. Das Neubaugeschäft ist in diesem Jahr kaum existent. Interessant dazu: Ich habe kürzlich mit einem Banker gesprochen, der mir sagte, es gebe zurzeit Risiken bei Zwischenfinanzierungen.

Können Sie das genauer erklären?

Angenommen, ich kann mein altes Haus erst verkaufen, wenn das neue Haus saniert und bezugsfertig ist. Eine Zwischenfinanzierung bedeutet, dass ich mir für die Überbrückung, in der ich noch auf den Erlös des Verkaufs warte, Geld leihe, um das neue Haus zu kaufen. Wenn da allerdings ein Jahr zwischen lag, habe ich jetzt ein Problem, weil die Preise für Bestandsgebäude in dem kurzen Zeitraum gesunken sind und jetzt ein zusätzlicher Kredit aufgenommen werden muss. Beim Bestandskauf gab es in den vergangenen Monaten eine große Unsicherheit bei den Menschen, da sie nicht einschätzen konnten, was sie in Zukunft noch investieren müssen. Muss ich die Gasheizung ausbauen? Muss eine Solaranlage aufs Dach? Beim Neukauf auf Energieeffizienz zu achten, ist Standard. Aber mit dem Gesetz wurden auf einmal auch effiziente Gasheizungen problematisiert. Grundsätzlich hätte man den Weg für die Vorgaben erst einmal ebnen und die Umstellung vorbereiten müssen, anstatt direkt mit dem Einbauverbot zu kommen.

Hinzu kommen die Pläne der EU-Kommission für eine Einteilung von Gebäuden in Effizienzklassen bis 2025. In der Folge wird es wohl auch zu einer Sanierungspflicht kommen, angefangen mit den Gebäuden mit der schlechtesten Energieeffizienz. Das würde Hauseigentümer zusätzlich finanziell belasten. Wirkt sich diese Aussicht auch schon auf den Markt aus?

Kürzlich habe ich gelesen: Wenn Sie in Deutschland ein Haus in der Klasse H haben – das ist die niedrigste Klasse –, verliert es 50 Prozent an Wert. Die Abschläge auf Kaufpreise sind gigantisch. Es ist gut, dass wir klimaneutral werden – allein schon wegen der steigenden Energiekosten wird eine Erhöhung der Energieeffizienz von Häusern notwendig. Aber man muss es geschickt anstellen und die Fristen so gestalten, dass Eigentümer möglichst wenig belastet werden.

Lassen Sie uns mit einem Ausblick enden: Wird sich die Lage in Zukunft Ihrer Ansicht nach entspannen oder noch weiter verschärfen?

Ich erwarte, dass die EZB den Leitzins in diesem Jahr noch einmal anziehen wird, da die Inflation hoch bleibt. Das hat Christine Lagarde kürzlich selbst angedeutet. Bis Ende 2024 wird die Inflationsrate deutlich über zwei Prozent liegen. Dadurch bleiben die Zinsen hoch. Das bedeutet, dass der Markt erst einmal nicht wieder auf das Niveau von vor zwei Jahren kommt. Durch die Gehaltssteigerungen, die wir nun nach und nach beobachten, entsteht aber wieder etwas mehr Kaufkraft auf dem Immobilienmarkt. Und bei stark steigenden Mieten wird das Thema Wohneigentum für viele Menschen immer relevanter. Wir werden also sehen, dass sich der Markt Schritt für Schritt erholt. Aus der Talsohle sind wir schon raus. Was aber wichtig bleibt: Der Staat muss Anreize setzen, um den gelähmten Neubaumarkt in Gang zu bringen. Denn von alleine wird sich bei der derzeitigen Zinslandschaft nichts ändern.

Das Gespräch führte Lukas Koperek.

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