Deutschland in der Rezession - Top-Ökonomen zerreißen Habecks Wirtschaftspolitik

OECD-Zahlen bestätigen erneut, was alle schon wissen: Deutschland ist wieder der „kranke Mann“ Europas. Die Lösungsvorschläge, die das grüne Wirtschaftsministerium ventiliert, halten Fachgrößen für grundfalsch.

Batteriefabriken herbeisubventionieren ist Geldverschwendung: Robert Habeck (r.) mit dem CEO von Northvolt, Peter Carlsson / dpa
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Jakob Ranke ist Volontär der Wochenzeitung Die Tagespost und lebt in Würzburg. Derzeit absolviert er eine Redaktions-Hospitanz bei Cicero.

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Zugegeben, eine große Überraschung war die Nachricht nicht: Die OECD hat die Wachstumsprognose der deutschen Wirtschaft für das laufende Jahr halbiert. Nur noch 0,3 Prozent Wachstum erwartet die Organisation, der viele Industriestaaten angehören – in der Herbstprognose waren es noch 0,6 Prozent gewesen. Schlechter als Deutschland steht damit nur Argentinien da, das sich in einer schweren Wirtschaftskrise befindet. Die EU soll immerhin um 0,6 Prozent wachsen, die Weltwirtschaft um 2,9 Prozent. Für die OECD war die Veröffentlichung am gestrigen Montag gleichwohl Grund genug, im Anschluss zu einer deutschsprachigen Expertendiskussion einzuladen. Zu Gast waren auch zwei der profiliertesten deutschen Ökonomen: Ifo-Präsident Clemens Fuest und Stefan Kooths, Konjunkturforscher vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Titel: „Konjunkturschwäche überwinden, Wachstumskräfte stärken – aber wie?“

Um es vorwegzunehmen: Mit den Rezepten, mit denen die Ampelkoalition bisher hantierte, wird es wohl eher schwierig. Schon die OECD-Volkswirtin Isabel Koske deutete es in ihrem Impulsreferat vorsichtig an: „Wenn Regierungen ihre Volkswirtschaften für die Zukunft rüsten wollen, müssen sie gründlich über ihre Prioritäten nachdenken und ihren generationsübergreifenden Ausgabenansatz vielleicht revidieren.“ Der demographische Wandel verändert die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens grundlegend – dieser Hinweis ziert derzeit so ziemlich jedes wirtschaftspolitische Gutachten. Vor allem reduziert er das Potentialwachstum und damit den zu verteilenden gesamtwirtschaftlichen (und sozialstaatlichen) Kuchen. Wenn aber die Verteilungsspielräume perspektivisch schrumpfen, sollte darüber nachgedacht werden, wie das Geld am sinnvollsten investiert wird; für die Ampelkoalition eine schmerzhafte Übung, basierte doch des Kanzlers Idee vom Zusammenregieren der ungleichen Partner auf der Ermöglichung aller Wünsche durch verfassungswidrige „Sondervermögen“

Batteriefabriken sind „wirklich Geldverschwendung“

„Wir haben jetzt eine Situation, in der, auch in Folge des Verfassungsgerichtsurteils, der Staat Geld sparen muss. Und wir sehen, dass der Staat Konsum priorisiert“, stellte Fuest fest. Zwar werde immer über Investitionen geredet, es gebe aber „quasi keinerlei Einschränkung von konsumtiven Staatsausgaben“. Angesichts der Unfähigkeit der Koalition, anderweitig finanzielle Spielräume zu schaffen, kann sich der Ifo-Chef, der in seiner Zunft sicher nicht zu den keynesianischen Schuldenfreunden gehört, notfalls ein neues Sondervermögen grundsätzlich vorstellen. Gewisse Investitionen dürften jetzt keinesfalls „hinten runterfallen“ – etwa in die Digitalisierung. 

Was damit aber nicht gemeint war: Habeck’sche Industriepolitik nach Gutsherrenart. Batteriefabriken herbeizusubventionieren etwa sei – anders als Investition in Batterieforschung – „wirklich Geldverschwendung“. Dass die Vereinigten Staaten ebenfalls hohe Subventionen für derartige Projekte ausgeben, sei irrelevant: Da es auch in Amerika keinen echten Standortvorteil gebe, werde diese Industrie wieder abwandern. Überhaupt sei die (von Habeck routinemäßig als Begründung herangezogene) amerikanische Subventionspolitik im Zuge des „Inflation Reduction Act“ maßgeblich innenpolitisch motiviert. Biden wolle kurz vor der Wahl zeigen, dass er Industrie ansiedeln könne. Fiskalisch seien die USA damit auf Crashkurs – im Vergleich mit deren aktuellem Budgetdefizit trotz Vollbeschäftigung und steigenden Zinsen sei „Griechenland ja hochsolide“ gewesen. 

„Wohlstand entsteht durch Unternehmen, die Steuern zahlen“

Den schon aus Gründen der Alterung unausweichlichen Strukturwandel, sekundierte Kooths, werde man nicht mit Subventionen aufhalten können, insbesondere wenn man versuche, „neuerdings wieder energieintensive Industrien hier an den Standort zu holen“ – egal ob Batterie-, Stahl oder Chipproduktion. Das viele Geld, das momentan dafür ausgegeben werde (erinnert sei etwa an die 10 Milliarden Euro Subvention für eine einzige Fabrik des Chipherstellers Intel), sei angesichts etwa der „eklatanten Schwächen im Bildungsbereich“ eine sehr fragwürdige Investition. „Wohlstand“, so Kooths, „entsteht durch Unternehmen, die Steuern zahlen“ – und nicht durch solche, die Steuermittel in Empfang nehmen.

 

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Doch nicht nur die Art, auch das Ausmaß der öffentlichen Mittelverwendung war den Ökonomen nicht geheuer. Die Sorge: durch überzogene öffentliche Investition könnte private Investition durch ein sogenanntes „crowding out“ verdrängt werden. Schließlich leide die Wirtschaft nicht so sehr an einer eklatanten Unterauslastung der Kapazitäten, bei der der Staat einspringen müsste. Vielmehr sei schon jetzt das Wachstumspotential grundsätzlich niedrig. Fuest wies auch darauf hin, dass in einer Situation des Arbeitskräftemangels gerade im technischen Bereich die Produktionskapazitäten gar nicht so einfach wachsen könnten. Arbeiten die Ingenieure für die staatlich finanzierte Batteriefabrik, so die Logik, dann fehlen sie an privat projektierten Arbeitsstellen – eine übertriebene öffentliche Aktivität führt dann nur dazu, dass die inländische private Investition zurückgeht. Statt also eine Industriepolitik zu betreiben, die versucht, förderungswürdige Branchen politisch zu bestimmen, schwebt den Ökonomen eine Wirtschaftspolitik vor, die die Standortfaktoren insgesamt stärkt. Man wisse nicht, welche Industrien in den nächsten Dekaden gebraucht würden. Die Entwicklung laufe aber gewöhnlich vielversprechend, wenn die Rahmenbedingungen nur stimmten. 

Auch falsch: Steuervergünstigungen per Sondervermögen

Dass mit „günstigen Rahmenbedingungen“ die von Robert Habeck letzte Woche im Bundestag ventilierten schuldenfinanzierten Steuervergünstigungen und Abschreibungsmöglichkeiten („das ist das, was ich höre aus der Wirtschaft“) freilich auch nicht gemeint sein können, machte erneut Kooths deutlich. Er sehe „überhaupt keinen Sinn darin“, „etwa die Unternehmenssteuern zu senken und das etwa durch einen neuen Sonderschuldentopf zu finanzieren“, so der Kieler Ökonom. Damit würde man ja nur die „offenbar in der aktuellen Situation bestehenden Verteilungskonflikte“ in die Zukunft weiterreichen. In dieser aber seien aufgrund der Alterung der Gesellschaft nur noch stärkere Verteilungskonflikte zu erwarten. Eine Schuldenbremse verhindere ja „bei rationaler Finanzplanung“ nicht die wichtigen Staatsausgaben, sondern die unwichtigen, die man eben bleiben ließe, wenn man die wichtigsten Dinge alle aus dem Steueraufkommen finanziert habe. Allein: „Es besteht kein Konsens über die Prioritäten.“

Ein Ärgernis auch für Fuest: „Die erlebte Politikunsicherheit ist so hoch wie in Großbritannien zu Zeiten des Brexits, das muss man erstmal schaffen“, echauffierte sich der Ökonom. Dass es schon während der letzten 16 Jahre keine Strategie gegeben habe, sei weniger schlimm gewesen als jetzt.  Denn, so Fuest, „auf den Kapitän kommt es an, wenn das Schiff im Sturm ist, und nicht wenn man durch ruhige Gewässer fährt“. Die „extreme Verunsicherung“ sei ein „Risiko für kurzfristige und langfristige Konjunktur“. 

Was also tun? Für die Ökonomen ist die Antwort nicht schwer: Kooths forderte, das Bildungssystem durch mehr Wettbewerb der Schulen untereinander zu stärken, also Mühe und Geld in die Entwicklung des Humankapital zu investieren. Die Lösung liege „nicht in einer Geheimwissenschaft“. Außerdem, so ließe sich zusammenfassen: Sozialausgaben kürzen, die Lebensarbeitszeit verlängern, maßvoll investieren, sinnvoll priorisieren, und nicht zu viel intervenieren. Und dabei am besten nicht streiten, sondern langfristige Linien zeichnen. Fragt sich nur noch, mit welcher Regierung das gelingen soll.

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