Neuer Präsident der Deutschen Bundesbank - Kreditgeber der letzten Instanz

Joachim Nagel soll neuer Präsident der Deutschen Bundesbank werden. An Möglichkeiten, seine Unabhängigkeit zu beweisen, wird es ihm nicht mangeln. Doch Wunder sind auch von Nagel nicht zu erwarten. Denn seine gesicherte Minderheitenposition war der Faktor, der SPD, FDP und auch die Grünen gut mit dieser Personalie leben lässt.

Joachim Nagel soll neuer Präsident der Deutschen Bundesbank werden / dpa
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Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Unter den Personalentscheidungen der neuen Bundesregierung gehört die für Joachim Nagel zu den besseren. Wunder darf man freilich auch vom neuen Präsidenten der Deutschen Bundesbank nicht erwarten, der seinen Posten aller Voraussicht nach zum 1. Januar 2022 antreten wird. Dazu haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Rat der Europäischen Zentralbank längst viel zu sehr zuungunsten deutscher Vorstellungen entwickelt. Oder muss man sagen: Ehemals deutscher Vorstellungen?

Die Gleichgültigkeit, mit der in Berlin der endgültige Abschied von jenen Maastricht-Kriterien zur Kenntnis genommen und geduldet wird, die die Bevölkerung zu Helmut Kohls Zeiten mit dem Abschied von der weltweit respektierten D-Mark versöhnen sollten, gibt Anlass zu dieser Frage. Weder ein Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch ein Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind versessen darauf, sich ihre wunderbaren Klima-, Konjunktur- und Rentenrettungspläne von einer wieder strengeren EZB-Politik verderben zu lassen.

Gesicherte Minderheitenposition

Insofern könnte der Neue am Ginnheimer Diebsgrund das Schicksal jener Frauen teilen, die bisher alle paar Jahre als Kandidatinnen für das Amt des Bundespräsidenten nominiert wurden: Hätten sie tatsächlich eine Chance auf eine Mehrheit in der Bundesversammlung gehabt, wären sie nie auch nur in die engere Wahl gekommen.

In Nagels Fall bedeutet das: Hätte der Volkswirt tatsächlich eine Chance, die Schuldenorgien des Regimes Lagarde wirksam zu begrenzen, gar einen Kurswechsel im EZB-Tower durchzusetzen in Erinnerung an das täglich missachtete Verbot der Staatsfinanzierung, hätten Scholz und Lindner einen anderen gesucht und gefunden – oder eine andere, etwa EZB-Direktorin Isabel Schnabel. Nagels gesicherte Minderheitenposition war der Faktor, der SPD, FDP und auch die Grünen gut mit dieser Personalie leben lässt.

Keine Carte blanche

Es ist ja erst ein paar Wochen her, dass Rober Habeck (Grüne), damals bereits designierter Wirtschaftsminister, dem scheidenden Bundesbank-Chef Jens Weidmann hinterherrief, es sei gut, dass er gehe, weil er – sinngemäss – ohnehin aus der Zeit gefallen sei und einer „modernen“ Notenbankpolitik nur noch im Wege gestanden habe, worunter die Grünen, Hand in Hand mit den Regierungen in Paris, Rom und Madrid, einen unbegrenzten und vor allem unbefristeten Billionen-Dispo der Euro-Teilnehmerländer verstehen für politisch-ideologische Projekte aller Art, vor allem nun auch Weltklimarettung.

Aufatmen daher in der Redaktion der Zeit: Nagel sei „ein kompetenter und durch und durch pragmatischer Mensch“ und werde „im Rat der Europäischen Zentralbank sicher keine Fundamentalopposition betreiben“. Für die euphorischen Kollegen von Bild hat das Blatt folgerichtig nur ein müdes Lächeln übrig, wenn jene vom neuen Bundesbank-Chef verlangen, er müsse, anders als Weidmann, „die Hammer-Inflation“ entschieden bekämpfen und „die Spendierlaune der südeuropäischen Notenbanker stoppen“.

Immerhin ist die Entscheidung für den 55-jährigen Nagel aber zugleich ein Zeichen der neuen Mehrheit, dass ihr in Sachen Geldpolitik nicht bereits alles egal ist. Alternativen wie Schnabel oder Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wären in Frankreich und Rom als Carte blanche gedeutet worden. Dass es die nun nicht gibt, wurde wohl auch die innere Kündigung großer Teile der Bundesbank-Belegschaft abgewendet. Diese war ohnehin mit dem Beitritt der Bundesrepublik zur Europäischen Währungsunion zum 1. Januar 1999 fast zwangsläufig in eine Identitätskrise geraten.

Ob Weidmanns Nachfolger so weit denkt, ist nicht überliefert, zumal er vor Amtsantritt alle Interviewanfragen unbeantwortet ließ, aber ein Plan B für den Fall, dass der Euro scheitert, die Euro-Zone an ihren inneren Widersprüchen zerbricht, wäre ja am Tag X zumindest hilfreich, wenn es dann schon überall sonst drunter und drüber gehen wird.

Aufschwung aus Ruinen

Man stelle sich eine Entwicklung vor, nach der der Dauerkonflikt um den Leitzins – der für die Nordländer vom ersten Tag an zu niedrig war, weil er von der EZB weitgehend an den Interessen der Südländer ausgerichtet wurde  – eskaliert und nicht länger durch mehr oder weniger versteckte Wohlstandstransfers bemäntelt werden kann: Die Folge wäre mutmaßlich eine Rückabwicklung der monetären Integration, also eine Re-Nationalisierung der Währungen, weil die Alternative, die vollständige und endgültige Übertragung der Haushaltspolitik von den nationalen Parlamenten auf Brüssel, glücklicherweise in den EU-Ländern heute weniger mehrheitsfähig ist als jemals zuvor, auch und besonders in Deutschland. Allen gegenteiligen Behauptungen von interessierter Seite zum Trotz. Eine Volksbefragung zu dieser Frage würde jede Bundesregierung scheuen wie der Teufel das Weihwasser – und das sagt ja schon alles.

Um null Uhr am Tage einer solchen Währungs-Desintegration stünde die Bundesbank wieder dort, wo sie am 31. Dezember 1998 aufgehört hat: als alleinige und unabhängige Hüterin einer neuen D-Mark oder wie auch immer ein Post-Euro genannt würde. In dieser unsere Phantasie heute noch überfordernden Krise, erlitte die Bundesregierung, erlitte unsere parlamentarische Demokratie insgesamt eine schwere Delegitimation. Denn dann ist etwas schief gegangen, was nie und nimmer hätte schief gehen dürfen. In dieser Lage wenigstens noch eine Bundesbank zu besitzen, deren Vertrauen in den Augen des Souveräns nicht aufgebraucht ist, wäre eine feine Sache.

Wie es übrigens 1948 schon einmal der Fall war. Denn die Bank deutscher Länder, Vorläuferin der Bundesbank, ist älter als die Bundesrepublik und schuf die Grundlage für das, was später „Wirtschaftswunder“ genannt wurde, obwohl der Aufschwung aus Ruinen doch auf kalter, mathematischer Vernunft beruhte. Das Rezept bestand aus knappem Geld, für das es sich lohnte, hart zu arbeiten, weil man etwas dafür bekam. Der Umlauf blieb stets leicht hinter der Produktivität zurück – das glatte Gegenteil dessen, was die EZB praktiziert.

Eine Menge kaputtgegangen

Nolens volens ist jeder Präsident der Deutschen Bundesbank, ob ihm das nun bewusst ist oder nicht, damit ein Lender of last Resort, ein Kreditgeber der letzten Instanz, wenn das große Einigungsprojekt „Euro“ dank der unverändert wirksamen nationalen Egoismen, die im EZB-Rat wirken, gegen die Wand fahren sollte. Wobei „Kredit“ hier mit politischer Glaubwürdigkeit zu übersetzen ist. Geld ist Vertrauenssache, Buchgeld, Papiergeld ohnehin, Kryptogeld noch viel mehr, und leider deutet eine Menge darauf hin, dass uns diese Tatsache in unseren 20er-Jahren wieder einmal schmerzlich vor Augen geführt werden wird.

Es ist also nicht egal, wer die Bundesbank leitet, wie es auch nicht egal ist, wer die Bundesrepublik im EZB-Rat vertritt, mag die Minderheitenposition auch auf absehbare Zeit nicht behebbar sein. Vielleicht gelingt dem Sozialdemokraten Nagel ja sogar, zu reparieren, was Kanzlerin Merkel nach 2010 systematisch aufgegeben, gar durch ostentatives Desinteresse zertrümmert hat: Deutschland zurückzuführen in eine Allianz der stabilitätsbewussten Nordländer inklusive Österreich.

Mit einem solchen Plan geriete Joachim Nagel zwangsläufig in Konflikt mit Frankreich; er müsste sich also mit dem Bundeskanzler anlegen, der schon in seinen ersten Amtstagen klargestellt hat, dass er den Interessen Macrons stets den Vorrang geben wird gegenüber jenen etwa von Holland oder Österreich, obwohl diese viel näher dran sind an den deutschen. Reden dürfte Nagel darüber nicht. Allenfalls leise und behutsam machen. Da ist in der Ära Merkel auch auf diesem Feld im Verhältnis zu unseren direkten Nachbarn und Freunden eine Menge kaputtgegangen.

Die Realität erledigt den Rest

An Möglichkeiten, seine intellektuelle und praktische Unabhängigkeit zu beweisen, wird es dem neuen Präsidenten der Deutschen Bundesbank jedenfalls nicht mangeln. Den Rest könnte, wie so oft, die Realität erledigen: Im November zogen die Importpreise, gemessen am Vorjahresmonat, laut Statistischem Bundesamt um 24,7 Prozent an. Das ist die höchste Rate seit Oktober 1974 während der ersten Ölpreiskrise. Erdgas war zuletzt fast viermal so teuer wie ein Jahr zuvor, der Strompreis blieb nur knapp unter dieser Rate. Energieanbieter kündigen reihenweise Verträge, wenn sie nicht gleich Insolvenz anmelden müssen.

Eine Europäische Zentralbank, die sich nach ihrem monatelangen Gerede von 2,0-Prozent-Zielmarken nicht vollends unglaubwürdig machen will, wird auf die Spezialinteressen von Paris und Rom nicht ewig Rücksicht nehmen können, sondern handeln müssen. Ob es ihr passt oder nicht. Der Versuch von Präsidentin Lagarde, sich mit hilflosen Beschwörungen aus der Affäre zu ziehen, ist an sein Ende gekommen.

Es ist schlicht die normative Kraft des Faktischen. Auf das deutsche Votum im EZB-Rat kommt es dann 2022 gar nicht an. Es sieht ja ohnehin jeder, was vor sich geht. Joachim Nagel muss deshalb im neuen Amt nicht umgehend mit rhetorischen Heldentaten glänzen – es genügt einstweilen, nichts verkehrt zu machen; sich nicht auf die falsche Seite zu schlagen. Das darf man ihm zutrauen.

 

 

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