Corona und die Sparkassen - „Das nimmt uns zunehmend die Luft zum Atmen“

In der Pandemie horten Menschen so viel Geld wie nie auf ihren Girokonten. Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis erläutert, warum das in der Welt der Niedrig-, Null- und Negativzinsen für beide Seiten zum Problem wird und welche alternativen Anlegeformen er Kunden stattdessen empfiehlt.

Während der Coronapandemie haben die Deutschen fleißig gespart / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Helmut Schleweis ist seit 2018 der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) und Vizepräsident des Weltinstituts der Sparkassen (WSBI). Der gebürtige Heidelberger ist außerdem Mitglied des Verwaltungsrats der Bankengruppe der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der weltweit größten nationalen Förderbank.

Herr Schleweis, im März haben Sie die Jahresbilanz der Sparkassen vorgelegt. Wie läuft es nach einem Jahr mit Corona

Helmut Schleweis: Eine Pandemie, die uns alle mittlerweile seit über einem Jahr beschäftigt, hatte wohl kaum jemand so in seinen Planungen für das Geschäftsjahr 2020. Für uns war früh klar: Jetzt geht es darum, was das mit unseren Kunden macht – mit den gewerblichen wie mit den privaten, wie können wir helfen? Alles andere musste zurückstehen.

Die Sichteinlagen sind massiv gestiegen. Haben Sie jemals erlebt, dass Ihre Kunden so viel Geld auf Girokonten gehortet haben? 

Nein, das ist ein Rekordwert, den wir historisch in dieser Größenordnung noch nie gesehen haben. Unsere Kundinnen und Kunden haben uns neue Einlagen in Höhe von 79,1 Milliarden Euro zur Verwahrung anvertraut, 7,9 Prozent mehr als 2019. Das liegt in hohem Maße daran, dass sie wegen des Lockdowns viele Ausgaben, wie Urlaub, schlicht nicht tätigen konnten. Wir freuen uns über dieses Vertrauen, ich habe es als eine „liebevolle Umarmung“ bezeichnet. Aber in einer Welt der Niedrig-, Null- und Negativzinsen ist das für beide Seiten ein Problem.

Wie sieht diese Lose-lose-Situation aus? 

Die Kunden haben reale Wertverluste über den Kaufkraftverlust durch Inflation, die derzeit ja wieder steigt. Wir Sparkassen haben natürlich unsere grundsätzlichen Kosten. Hinzu kommt, dass wir auf jeden Euro, der frisch reinkommt, draufzahlen – für die Absicherung, mit der Bankenabgabe und nicht zuletzt bei negativen Zinsen am Markt oder bei der EZB. Darum nehmen uns die steigenden Einlagen zunehmend die Luft zum Atmen. Es ist für uns immer mehr eine echte Herausforderung, mit diesen Einlagen betriebswirtschaftlich sinnvoll und stabilisierend für alle umzugehen.

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Und was rät der Sparkassen-Präsident seinen Kunden, mit dem Geld auf den Girokonten zu machen, statt es weiter zu horten? 

Wenn mich jemand fragt, wie soll ich das Geld anlegen, dann sage ich: Sprich mit deiner Beraterin oder deinem Berater. Wir empfehlen nicht pauschal Produkte, sondern versuchen, aus der Situation jedes einzelnen Kunden heraus die richtige Antwort zu finden. Aber bei negativen Marktzinsen gibt es eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten, am Wertzuwachs zu partizipieren: entweder mit einer Immobilie oder durchs Sparen in Wertpapieren. Eine gewisse Liquidität für Notfälle gehört natürlich auch dazu. Es ist wichtig, nicht alle Eier in einen Korb zu legen. Die Sparkassen bieten über die Deka schon ab 25 Euro pro Monat an, Geld in Wertpapieren anzulegen.

Eine Sparkassen-Trading-App bieten Sie aber nicht an? 

Mehr als elf Millionen Kunden nutzen die Sparkassen-App. Wertpapierkäufe und -verkäufe sind dort inzwischen integriert. Tatsächlich sollte es aber nicht um kurzfristiges Trading, sondern um langfristige Anlagen gehen. Wir beobachten bei manchen Trading-Apps, dass sie gut aussehen, jung und hip sind. Aber nicht nur der Fall Gamestop zeigt, dass Risiken nicht unterschätzt werden sollten. Wenn Geldanlage durch Gamification zum Spiel wird, kann der Kater danach schnell ziemlich stark werden. Dann ist das Geld weg, weil man es verzockt hat.

Trauen sich Ihre Kunden aber mehr als früher? 

Anders als etwa in den USA war man in Deutschland lange sehr zurückhaltend bei Wertpapiergeschäften. Wir haben aber 2020 erstaunliche Zuwächse erlebt. Bei den Sparkassen und ihrem Wertpapierhaus, der Deka, wurden netto rund 240 000 neue Depots eröffnet. Per Saldo, also Käufe abzüglich Verkäufe, haben unsere Kunden 2020 für 19,1 Milliarden Euro Fonds, Aktien und festverzinsliche Wertpapiere gekauft. Wir stellen auch fest, dass die Kunden in volatilen Phasen weniger Panikverkäufe tätigen als früher. Die Kunden sind reifer geworden, auch weil wir sie dahingehend beraten.

Helmut Schleweis / privat

Ist die Situation nicht schizophren? Die Niedrigzinsen zwingen uns an die Börse. Sobald die Notenbanken ein wenig den Leitzins anheben, um einer Inflation zu begegnen, droht ein überhitzter Markt zusammenzubrechen, und unser Vermögen ist auch futsch. 

Wir dürfen nicht nur kurze Zeiträume betrachten. Langfristig gibt es einen Wertzuwachs an der Börse. Kurzfristig können Börsen durchaus volatil sein. Deswegen sind Langzeitbetrachtung und eine breite Streuung so wichtig – natürlich gehört auch die Entwicklung der Zinsen dazu. Wenn der Zins wieder moderat ansteigt, ist das ein Zeichen der Stärke unserer Wirtschaft. Darum fordern wir von der EZB auch nach wie vor, dass sie die Strafzinsen möglichst schnell wieder abschafft und mit ihrer Geldpolitik den Weg zurück in eine normale Zinswelt einschlägt. Das wird aber wohl eher Ende der 2020er oder Anfang der 2030er Jahre wieder der Fall sein.

Glauben Sie an das Szenario eines globalen, konzertierten Schuldenschnitts?

Nach allem, was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, habe ich mich daran gewöhnt, gar nichts mehr auszuschließen. Der Umgang mit der Staatsverschuldung ist eine Debatte wert. Allerdings müssen Staatsschulden ja nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt in Gänze zurückgezahlt sein, denn Staaten sind ja nicht auf Endlichkeit angelegt. Für sie geht es in der Regel immer irgendwie weiter. Entscheidend ist, wofür Staaten Schulden machen: Die Schleusen weit zu öffnen für reine Konsumausgaben, das wäre sicherlich nicht förderlich. Aber Investitionen in unsere digitale Infrastruktur und in Bildung, die sind zweifellos notwendig. Nachhaltigkeit bedeutet für mich auch, dass wir nicht heute konsumieren und unseren Kindern die Schulden hinterlassen.

Sind Ihre Kunden jetzt digitaler als noch 2019?

Ich nenne mal eine Zahl: 2,6 Milliarden Mal haben die Sparkassenkunden 2020 mit der Girocard digital bezahlt – 500 Millionen Mal mehr als 2019. Zwei Drittel dieser Zahlungen erfolgen heute kontaktlos, viele aus dem Smartphone heraus. Deutschland hat einen ziemlichen Sprung gemacht. Wenn mir jemand 2019 erzählt hätte, dass ich morgens beim Bäcker hier in Berlin drei Brötchen holen und mit der Smartwatch bezahlen kann, hätte ich das nicht geglaubt. Inzwischen habe ich mich schon öfter dabei ertappt, ohne Bargeld aus dem Haus zu gehen und trotzdem nicht beunruhigt zu sein.

Wie steht es um die Kredithilfen in der Krise?

Wir haben 2020 Unternehmen und Selbstständigen neue Kredite in Höhe von 106,4 Milliarden Euro zugesagt, das sind 14,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Das ist ebenfalls ein Rekord. Wir haben unsere Kundschaft in der Krise zunächst aus eigenen Kreditmitteln sehr stark unterstützt. Es ging hier vor allem um Schnelligkeit. Das war wichtig, weil die unterschiedlichen Staatshilfen nicht schnell genug ankommen und gar nicht den ganzen Bedarf abdecken konnten. Da sind wir und die anderen Kreditinstitute in Vorleistung gegangen. Anders hätte das so schnell gar nicht funktioniert.

Sie haben gesagt, die Hilfen in Deutschland seien weltweit zwar einzigartig, aber die Bürokratie sei es auch. 

Was den Umfang der Hilfsprogramme angeht, war vieles gut. Wenn man aber sieht, was tatsächlich wann bei unseren Kunden ankommt, kommt man schon ins Nachdenken. Es braucht hier – und auch an anderer Stelle – deutlich mehr Tempo in den staatlichen Systemen! Die Systeme sind zu komplex und nicht digital genug. Vernetzung per Faxgerät ist schon lange nicht mehr zeitgemäß.

Woher diese systemische Schwerfälligkeit? 

Unser Land ist sehr stark reguliert, sehr bürokratisch und in hohem Maße von Absicherungsmechanismen geprägt. Das ist gut in normalen Zeiten, aber nicht in Krisen. Wenn’s brennt, können wir nicht die Feuerwehrverordnung diskutieren. Da muss man den Brand löschen. Da muss gehandelt und manchmal auch eine behindernde Vorschrift außer Acht gelassen, eine staatliche Ebene einfach zum Mitmachen verpflichtet werden. Diskutieren können wir dann hinterher wieder. Schnelligkeit und 150-prozentige Genauigkeit – das gelingt nur sehr selten im Leben.

Waren die roten Sparkassen in dieser Krise also so etwas wie die freiwillige Finanzfeuerwehr? 

Ich will fair sein, es geht mir an dieser Stelle nicht um Wettbewerb. Die Sparkassen haben einen super Job gemacht, so wie die anderen Kreditinstitute auch. Ohne das schnelle Handeln aller Akteure hätte Deutschland heute deutlich mehr wirtschaftliche Probleme. Bund und Länder, die Kreditanstalt für Wiederaufbau und alle Kreditinstitute in Deutschland haben gut zusammengewirkt. Das ist durchaus ein Unterschied zur Finanzkrise 2008/2009, als manch eine Bank Teil des Problems war. In der Corona-Zeit ist die Kreditwirtschaft ganz klar Teil der Lösung. 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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