BVerfG weist Antrag der Unionsfraktionen zurück - Ein schwarzer Tag für solide Staatsfinanzen

Die Union wirft der Ampel eine verfassungswidrige Umgehung der Schuldenbremse vor und ist deshalb mit einem Eilantrag vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Dieses hat das Ansinnen nun mit einer bemerkenswerten Begründung abgelehnt.

Außenaufnahme des Bundesverfassungsgerichts / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Das dürfte ein bitterer Tag sein für den Oppositionsführer Friedrich Merz, seine Unionsfraktionen und für solide Staatsfinanzen. Insgesamt 197 Abgeordnete des Deutschen Bundestages hatten sich an das höchste deutsche Gericht mit einem „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung“ gewandt. Das Bundesverfassungsgericht lehnte diesen Antrag heute ab – mit einer überaus bemerkenswerten Begründung.

Konkret ging es in dem Antrag um den zweiten Nachtragshaushalt des Jahres 2021 vom 18. Februar 2022. Die Ampelkoalition war gerade erst gegründet worden und es musste Kohle her für die „Fortschrittskoalition“ (Olaf Scholz). Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Denn die öffentlichen Kassen waren durch die Corona-Pandemie ziemlich leer.

Es war noch Suppe da

Da schien es wie ein Wink des Schicksals, dass noch Suppe da war – und zwar im „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ (WSF). Mit insgesamt 240 Milliarden Euro war der während der Corona-Pandemie mit öffentlichen Krediten ausgestattet worden. Diese Überschreitung der Schuldenbremse war dabei nur möglich, weil der Bundestag mit der Corona-Pandemie zuvor eine Notlage festgestellt hatte.

Davon blieben im WSF am Ende satte 60 Milliarden Euro übrig. Übrigens kein echtes Geld, sondern bloße Kreditermächtigungen. Die Ampelkoalition übertrug diese Kreditermächtigung daher einfach nachträglich und rückwirkend in das „Sondervermögen Energie- und Klimafonds“ (EKF). Für die Ampel schien diese Operation kaum an Charme zu überbieten zu sein: Trotz angespannter Haushaltslage konnte man den Grünen so einen politischen Wunsch erfüllen, ohne auf dem Papier die Kreditaufnahme des Bundes weiter zu erhöhen. 

Und das freute den neuen Finanzminister Christian Lindner (FDP) natürlich. Der konnte sich als jener Mann in Szene setzen, der den deutschen Bundeshaushalt nach schweren Zeiten wieder unter das Regime der Schuldenbremse zwingt – und sich zugleich wichtigen Klimainvestitionen nicht verweigert. Aber natürlich würden auch unter seiner Führung die effektiven Schulden letztlich um 60 Milliarden Euro höher ausfallen als geplant. Freigegeben hat Lindner ja nur Kreditermächtigungen, kein Geld. Um daraus echtes Geld zu machen, muss man zusätzliche Kredite aufnehmen.

Verstoß gegen die Schuldenbremse

Das Problem war nur: Die verschobenen Kreditermächtigungen stammen aus Corona-Zeiten und sind sachlich an die Bewältigung der Corona-Pandemie gebunden – und nicht an das „Sondervermögen Energie- und Klimafonds“. Es handelt sich also, aus Sicht von Friedrich Merz und Co., um eine verfassungswidrige Zweckentfremdung öffentlicher Mittel und außerdem um einen Verstoß gegen die Schuldenbremse durch die Hintertür.

Die Antragsteller begehrten daher, mittels einstweiliger Anordnung die Artikel 1 und 2 des umstrittenen Gesetzes bis zu einer endgültigen Entscheidung außer Kraft zu setzen. Und sie unterbreiteten, damit kein Chaos entsteht, sogar ein Kompromissangebot: Das Bundesverfassungsgericht könne doch alternativ festlegen, dass das Sondervermögen des EKF vorerst bloß auf Beschluss des Bundestages in Anspruch genommen werden dürfe. Mit anderen Worten: Es hätte trotzdem weiter Geld fließen können.

Keine Entscheidung in der Sache

Aber mit diesem Ansinnen sind CDU und CSU komplett gescheitert – vorerst jedenfalls. Denn das Verfassungsgericht hat heute gar nicht in der Sache entschieden. Tatsächlich hält es den Antrag weder für „vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet“. Kann schon sein, soll das heißen, dass das alles verfassungswidrig ist. Aber darüber werde man erst im Hauptsacheverfahren entscheiden.
 

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Beim Eilantrag ginge es hingegen nur um eine Frage, nämlich um die Abwägung, was eigentlich schlimmer sei: dem Eilantrag stattzugeben und die entsprechenden Folgen hinzunehmen, obwohl das Gesetz vielleicht doch nicht verfassungswidrig ist. Oder dem Eilantrag nicht stattzugeben und ebenfalls die Folgen hinzunehmen, obwohl das Gesetz sich als verfassungswidrig erweisen wird. Und die zweite Option bedeutet ganz konkret: Lieber nimmt man es hin, dass dutzende Milliarden an Schulden aufgenommen und unters Volk gebracht werden, auch wenn dies gegen das Grundgesetz verstößt.

Verfassungsbruch für E-Autos

Und genau hierfür hat sich das Bundesverfassungsgericht entschieden, weil es zur „Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist“, den Eilantrag der Unionsfraktion abzulehnen. „Schwere Nachteile“ und „drohende Gewalt“: Es klingt so, als müsste man auch als höchstes deutsches Gericht mal Kompromisse machen können, wenn ansonsten Volksaufstände drohen und die demokratische Ordnung unter die Räder gerät.

Aber das Verfassungsgericht meint ganz anderes. Würde der möglicherweise rechtswidrig bestückte Klimafonds nämlich seine Arbeit einschränken müssen, dürfte das Bundesprogramm für effiziente Gebäude reduziert und der Umweltbonus für E-Autos vielleicht nicht mehr ausgezahlt werden. Auch sei denkbar, dass das Programm zur „Dekarbonisierung der Industrie“ Schaden erleide und sich daraus ein „Wettbewerbsnachteil der Industrie“ ergebe.

Und überhaupt werde aus dem Fonds auch die Abschaffung der EEG-Umlage bezahlt. Ohne die erforderlichen Mittel könnte es zu einer „Strompreiserhöhung“ kommen. Das alles und nicht ein Zusammenbruch der demokratischen Ordnung sind für das oberste deutsche Gericht also Umstände, die den Vollzug eines möglicherweise verfassungswidrigen Gesetzes dennoch rechtfertigen.

Eine humoristische Volte

Und das aus einem ganz bestimmten Grund: Eigentlich nämlich hätte das Bundesverfassungsgericht dem Vorschlag der Antragsteller folgen können, dass das Gesetz in Artikel 1 und 2 zwar außer Kraft gesetzt wird, der Klimafonds aber mit Beschluss des Bundestages seine Arbeit dennoch fortsetzen könne. Das Problem ist nur: In genau diesen beiden Artikeln wird die Ausstattung des Fonds um 60 Milliarden Euro angehoben. Werden sie außer Kraft gesetzt, ist auch das Geld futsch.

Dann müsste durch Beschluss des Bundestages auf anderem Wege Geld aufgebracht werden. Die Prognose des Verfassungsgerichtes ist klar: Der Bundestag müsste dafür seinerseits zusätzliche Schulden im laufenden Haushalt aufnehmen, obwohl die zulässige Verschuldung vollends ausgereizt ist. Das wäre wahrscheinlich wiederum „verfassungswidrig“, weil die rechtlichen „Grenzen zulässiger Neuverschuldung“ überschritten würden, die Schuldenbremse eben. 

Das alles hat daher fast eine humoristische Pointe: Der Eilantrag richtet sich ja genau gegen eine mögliche Aushebelung der Schuldenbremse durch die Ampel. Und da, so die Logik des Gerichts, der Gegenvorschlag auf dasselbe hinaus läuft, kann man vorerst auch gleich bei der ohnehin bestehenden, möglicherweise verfassungswidrigen Aushebelung der Schuldenbremse bleiben. Allerdings hätte es natürlich noch einen anderen Weg gegeben: Mittelumschichtung durch Prioritätensetzung – ohne neue Schulden. „Politik“ nennt man das. In der Welt des Verfassungsgerichtes kommt diese Option indes nicht recht vor.

Verheerende Signale an die Politik

Die Botschaft an die Politik jedenfalls ist damit klar: Falls sie auch in Zukunft die Lust verspüren sollte, das Haushalts- und Verfassungsrecht bis auf das Äußerste zu dehnen oder gar zu überschreiten, ist das kein Problem. Sie muss sich dann nur Ausgabenzwecke ausdenken, die dem Verfassungsgericht genehm sein dürften – und sie muss das Geld so schnell wie möglich unter die Leute bringen.

Falls das Verfassungsgericht die ganze Angelegenheit dann irgendwann möglicherweise als verfassungswidrig einstufen sollte, ist die Kohle bereits weg und das politische Ziel trotzdem erreicht. Selbst verfassungswidrige Mittel können also offenbar durch erstaunliche Zwecke geheiligt werden. Ein schwarzer Tag für solide Staatsfinanzen.
 

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