Bankenpleiten - Die Krise hat System

Bankenkrisen sind keine Ausnahme, sondern der Normalfall. Der Fehler liegt im Finanzsystem. Wir müssen es grundlegend ändern und mit der Macht der Banker brechen.

Geld wird aus dem Nichts geschöpft: Bankenviertel in Frankfurt am Main / dpa
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Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Benjamin Franklin meinte, dass im Leben nichts sicher sei, außer dem Tod und den Steuern. Wäre er heute hier, wäre er versucht, der Liste einen weiteren Punkt hinzuzufügen: Bankenrettungen.“ Damit leiten die beiden Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson und Moritz Schularick einen am 21. März im Wall Street Journal erschienenen Artikel ein. Sie verweisen auf eine im Februar veröffentlichte Forschungsarbeit, die zeigt, dass die Häufigkeit von Finanzkrisen im Verlauf der zurückliegenden fünf Jahrzehnte dramatisch zugenommen hat. „Wir leben jetzt in einem Zeitalter latenter finanzieller Fragilität“, urteilen Ferguson und Schularick.

Vermutlich braucht es Wirtschaftshistoriker, dies zu erkennen. Denn die breite Masse der akademischen Ökonomen und Zentralbanker ist zu sehr ihren wirklichkeitsfremden Modellen verhaftet, in der Banken und Finanzmärkte nur eine untergeordnete Rolle spielen. Es ist aber eine Sache, „latente finanzielle Fragilität“ zu diagnostizieren, und eine andere, die Gründe und Lösungen dafür zu finden. Beginnen wir mit den Gründen.

Es werde Geld

In unserem System des „Fiat-Kreditgelds“ schaffen die Banken Geld über Kreditvergabe. Anders als meist angenommen, vergeben Banken nicht Kredite aus Einlagen, sondern sie schaffen diese Einlagen durch Kreditvergabe „aus dem Nichts“. Wie Gott in der Schöpfungsgeschichte sprach: „Es werde Licht“ („fiat lux“), so haben in unserem Geldsystem die Banker die Macht zu sagen: „Es werde Geld“ – und schon kommt es in die Welt.

Die Zentralbank versucht mehr schlecht als recht die Geldproduktion der Banken zu steuern, indem sie den Zins im Geldmarkt der Banken manipuliert. Oft macht sie dabei aber gravierende Fehler. Hält sie den Geldmarktsatz zu niedrig, boomen Verschuldung und Geldproduktion. Es kommt zu Vermögenspreisinflation und mit Verzögerung zu Konsumentenpreisinflation. Hebt die Zentralbank dann den Zins an, um die Inflation zu bekämpfen, gehen Schuldner pleite. Entweder reißen bankrotte Schuldner Banken mit sich, oder die Banken selbst haben sich verspekuliert und gehen bankrott, wie jüngst die Silicon Valley Bank. 

Ist der Geist mal aus der Flasche, fürchten die Gläubiger anderer Banken – und dann oft aller Banken – um ihre Ein- und Anlagen. So jüngst geschehen bei der Credit Suisse und der durch ihre Zwangshochzeit mit der UBS ausgelösten Spekulation gegen die Deutsche Bank. Auch wenn die Zentralbanker und Regulierer die Solidität der Bankbilanzen betonen, gehen die Gläubiger lieber auf Nummer sicher. Die kleinen Leute fliehen in Zentralbankgeld (indem sie Bargeld horten), das große Geld wird in sicheren Staatsanleihen angelegt. 

Der Beginn des Papiergeldes

Die ihrer Einlagen beraubten Banker drängen die Regierungen, mit tatkräftiger Unterstützung der Regulierungsbehörden, alle Bankanlagen zu garantieren – wie US-Präsident Joe Biden kürzlich, Bundeskanzlerin Angela Merkel vor 15 und US-Präsident Franklin D. Roosevelt vor 90 Jahren. Nach der haarsträubenden Krisenerfahrung schwören die Politiker, die Banken nun ein für allemal sicher zu machen. Die Regulierungswerke wachsen auf Tausende von Seiten, aber es ist alles umsonst. Denn die nächste Krise kommt so sicher wie der Steuerbescheid oder der Tod.

Banken- und Finanzkrisen suchen uns allerdings nicht erst seit fünf Jahrzehnten heim. Spekulationsblasen auf Finanzmärken sind so alt wie diese Märkte selbst, und Bankenkrisen gibt es seit der Einführung von Papiergeld im kaiserlichen China zur Zeit der ersten Jahrtausendwende. Doch während Spekulationsblasen mit der menschlichen Neigung zu übertriebenem Optimismus zu tun haben, sind Bankenkrisen im Geldsystem angelegt. 

 

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Ursprünglich war Papiergeld ein Verwahrschein für hinterlegtes Metallgeld. Doch seine enorme Popularität erlaubte es den Emittenten, neu gedruckte Scheine ohne Deckung zu verleihen – im Vertrauen darauf, dass schon nicht alle Papiergeldbesitzer ihre Scheine zur gleichen Zeit gegen Münzen eintauschen wollten. Immer wieder erwies sich dieses Vertrauen als falsch. Den Emittenten wurde mehr Papiergeld präsentiert, als sie Metallgeld eingelagert hatten, und sie gingen bankrott. Mit „banca rotta“ bezeichneten die Italiener um 1500 die von seinen Kunden aus Ärger über gebrochene Zahlungsversprechen zerschlagene Bank eines Geldwechslers.

Die unbegrenzte Vermehrung

Solange das Papiergeld zumindest teilweise durch Metallgeld gedeckt wurde, war die papierne Geldvermehrung begrenzt. Sie ergab sich aus der Notwendigkeit, eine bestimmte Menge Metallgeld für mögliche Einlösungen der Papierscheine vorzuhalten, um den „Bankrott“ zu vermeiden. Zeigte zum Beispiel die Erfahrung, dass jeder zehnte umlaufende Papierschein zur Einlösung vorgelegt wurde, gebot es die Vorsicht, das Verhältnis der Papiergeldmenge zur Metallgeldmenge auf 10:1 zu begrenzen. Erst wenn das Einlösversprechen ganz aufgehoben wurde, konnte Papiergeld unbegrenzt vermehrt werden.

Eine unbegrenzte Papiergeldvermehrung gab es im Verlauf der Geschichte immer wieder, wenn sich der Staat des Geldes bemächtigte und zur Kriegsfinanzierung die Einlösung gegen Metallgeld aufhob – wie zum Beispiel im Ersten Weltkrieg, als aus der Goldmark die Papiermark wurde. Gut ein halbes Jahrhundert später geschah dies wieder, als US-Präsident Richard Nixon am 15. August 1971 die Anbindung des US-Dollar an Gold auflöste. Um den Vietnamkrieg und heimische staatliche Ausgabenprogramme zu finanzieren, hatte die Federal Reserve zu viele US-Dollar in den internationalen Umlauf gebracht. Als ausländische Regierungen die angehäuften Dollar zur Einlösung gegen Gold zum Preis von 35 Dollar pro Unze präsentierten – und die französische Regierung auch noch so frech war, das Gold mit einem Kriegsschiff in New York abholen zu lassen –, platzte Nixon der Kragen. 

Möglicherweise ohne sich dessen bewusst zu sein, zerstörte er mit seinem Schritt auch das bis dahin gültige Bretton-Woods-Währungssystem, in dem der Dollar an Gold und andere Währungen an den Dollar gebunden waren. Ohne den Gold­anker hatte die Geldvermehrung über Kreditvergabe nun freien Lauf. Und mit dem Siegeszug elektronischer Zahlungssysteme über den händischen Papiergeldtausch wurde der Lauf immer schneller und die Bankenkrisen immer häufiger. Die Zeit der „latenten finanziellen Fragilität“ war da.

Der neue Goldstandard?

Die Kritik am „Fiat-Kreditgeldsystem“ ist so alt wie dieses System selbst. Nach einer von der Einführung des Papiergelds ausgelösten Zeit der Hyperinflation verfügte der Kaiser von China gegen Mitte des zweiten Jahrtausends die Rückkehr zum Gold als Geld. Der britische Philosoph David Hume pries die 100-prozentige Reservehaltung der Bank von Amsterdam im 18. Jahrhundert, bevor die Bank zur Finanzierung von Kriegen und ausländischer Eroberungen ungedeckte Kredite vergab und daran pleiteging.

Im Jahr 1933 haben eminente Ökonomen an der Universität Chicago vorgeschlagen, den Reservesatz der Banken auf Sichteinlagen ihrer Kunden auf 100 Prozent anzuheben und ihnen damit die Fähigkeit zur Geldschöpfung zu nehmen. Heute würde die anstehende Digitalisierung des Euro eine gute Gelegenheit bieten, den Chicago-Plan umzusetzen. Und das kann nach folgendem Szenario funktionieren.

Im ersten Schritt wird eine Euro-Bankeinlage eingeführt, die vollständig mit Zentralbankgeld unterlegt ist. Die Europäische Zentralbank (EZB) schafft das dazu erforderliche Geld durch den Kauf von Staatsanleihen. Auf diese Weise entsteht ohne jede staatliche Unterstützung eine Einlage, die so sicher ist wie Banknoten.

Gekoppelt an die Wirtschaftsleistung

In einem zweiten Schritt wird diese sichere Euroeinlage auf der Bilanz der EZB konsolidiert und als digitales Zentralbankgeld aufgestellt. Mittels Blockchain-Technologie kann es direkt von Nutzer zu Nutzer übertragen werden. So wird der Euro zu einem Asset-Token, einem digitalen Anspruch auf einen realen Vermögenswert, der ausschließlich durch Staatsanleihen gedeckt ist. In das Token wird eine Art Wasserzeichen einprogrammiert, das die Art seiner Deckung und Regeln für die Schaffung neuer Token festlegt.

Das Wichtigste ist: Nur die Europäische Zentralbank, und nicht mehr die Geschäftsbanken wie im bisherigen Kreditgeldsystem, sind für die Ausgabe des neuen Geldes verantwortlich. Und nur ein mit elektronischem Wasserzeichen versehener Euro ist ein echter Euro. Für Benutzer, die an Papiergeld gewöhnt sind, kann die EZB digitale Euro allerdings noch in Banknoten umtauschen.
Der Anstieg der Geldmenge erfolgt dann, indem die Zentralbank zusätzliche Staatsanleihen kauft. Wobei der EZB-Rat über diese Käufe unabhängig von politischem Einfluss und langfristig entscheiden muss.

Denkbar ist etwa, dass der Rat das Wachstum der digitalen Euro-Geldmenge an die Wachstumsrate der Wirtschaft des Euroraums angleicht. Um Geldschöpfung für fiskalpolitische Zwecke zu vermeiden, werden die Regierungen verpflichtet, das Geld, das sie aus den Anleiheverkäufen erhalten, als „Gelddividende“ direkt an ihre Bürger zu verteilen. Jede Regierung, die gegen diese Verpflichtung verstößt, macht sich der Geldfälschung schuldig. Sie wird automatisch nicht mehr für Anleiheverkäufe an die EZB infrage kommen und somit kein neues Geld zur Verteilung an ihre Bürger erhalten.

Warum nichts draus wird

Die Geschäftsbanken vermitteln nun die Spar­einlagen ihrer Kunden an die Anleger, und die Zinsen werden durch die Nachfrage nach Investitionsmitteln und das Angebot an Geldersparnissen auf dem Kreditmarkt bestimmt. Banken ähneln einem Investmentfonds, dessen Vermögen durch einen Eigenkapitalpuffer vor einem ersten Verlust geschützt ist. Sparer können die Bank, die zu ihnen passt, nach ihren Präferenzen für Rendite und Schutz auswählen. Die Zentralbank wird die Zinssätze nicht mehr manipulieren, um die Kreditgelderzeugung der Banken zu kontrollieren. Zwar können Geschäftsbanken weiterhin privates Schuldgeld durch Kreditvergabe schaffen, aber es gibt keine staatliche Garantie für den Umtausch in digitale Euro.

Da die Staatsverschuldung zur Deckung des Geldes verwendet werden soll, bietet die Digitalisierung des Euro die Möglichkeit, die Verschuldung der Eurostaaten zu reduzieren. Gegen Ende 2022 belief sich der öffentliche Schuldenstand im Euroraum auf zwölf Billionen Euro, das sind 91 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die um die Aufblähung durch die Anleihekaufprogramme korrigierten Sichteinlagen beliefen sich auf 6,4 Billionen Euro. Um Sichteinlagen mit Reservegeldern zu unterlegen, kann die EZB somit insgesamt 6,4 Billionen Euro Staatsanleihen auf ihrer Bilanz einfrieren. Da der Bestand an Anleihen zur Deckung der Geldmenge ständig nötig ist, wird die Rückzahlung ausgesetzt. Und da die Erträge aus den Anleihen ohnehin an die Regierungen zurückgegeben werden, können die Zinsen dieser Wertpapiere auf null gesetzt werden. Mit einem Nullzins und unendlicher Laufzeit gelten die Anleihen nicht mehr als Staatsschulden. So wird die ausstehende Marktschuld der Regierungen des Euroraums auf 5,6 Billionen Euro oder 40 Prozent des BIP sinken. 

Mit den in den digitalen Euro elektronisch fest eingebetteten Regeln wird es für die Staaten unmöglich, die EZB zu zwingen, zukünftige Schulden zu monetarisieren. Staaten in Zahlungsschwierigkeiten können zwar ihr eigenes Fiskalgeld ausgeben, wie von den Regierungen Griechenlands und Italiens zu verschiedenen Zeitpunkten überlegt. Aber Geld, das unter Verletzung des digitalen Wasserzeichens ausgegeben und als Euro bezeichnet wird, wäre Falschgeld.
Dass dieses Szenario Realität wird und der digitale Euro so kommen wird, ist leider unwahrscheinlich. Denn durch den Systemwechsel würden viele Zentralbanker ihre hoch dotierten Jobs, die Banker ihr lukratives Geschäftsmodell der Kreditgeldschöpfung und die Politiker ihren „Esel-streck-dich“ verlieren, der für sie auf Kommando neues Geld ausspuckt.

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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