Bahnstreik - Die sechs Tage des Claus Weselsky

Alle Räder stehen still, weil die Lokführergewerkschaft GDL nicht auf die Angebote der Deutschen Bahn eingehen will. Bahn-Personalvorstand Martin Seiler „hat sie nicht mehr alle“, befindet Gewerkschaftsführer Weselsky. Warum die Politik an dem Streit nicht unschuldig ist.

GDL-Chef Weselsky kündigt den erneuten Streik an / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Jakob Ranke ist Volontär der Wochenzeitung Die Tagespost und lebt in Würzburg. Derzeit absolviert er eine Redaktions-Hospitanz bei Cicero.

So erreichen Sie Jakob Ranke:

Anzeige

So wird das mit der Verkehrswende aber nichts: Hatte der letzte, dreitägige Bahnstreik schon für ein Aufstöhnen der Bahnkunden gesorgt, so dürfte der Ausstand über sechs Tage, der gestern Nacht begonnen hat und diesmal auch die Wochenendpendler trifft, für biblisches Heulen und Zähneknirschen sorgen. Grund für das Ungemach ist der weiterhin ungelöste Tarifkonflikt zwischen der Führung der deutschen Bahn (DB) und der Lokführergewerkschaft GDL.

Die Lokführer unter der Leitung von Claus Weselsky wollen eine einmalige Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro sowie 555 Euro mehr Lohn bei gleichzeitiger Absenkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden. Die Bahn bietet in ihrem letzten Angebot vom vergangenen Freitag 2850 Euro als Einmalzahlung zum Inflationsausgleich sowie eine Gehaltserhöhung von insgesamt bis zu 13 Prozent in drei Schritten über die nächsten zweieinhalb Jahre. Alternativ zur dritten Erhöhung 2026 könnten die Lokführer, sofern dann genügend Personal vorhanden ist, auch individuell eine Verringerung der Arbeitszeit um eine Stunde auf 37 Wochenstunden wählen.  

Für Weselsky keine Verhandlungsgrundlage. Man werde sich wieder mit der Bahn zusammensetzen, wenn „klar ist, dass dieser Bahnvorstand mit uns in Verhandlungen eintritt über alle Elemente, die wir gefordert haben“. Insbesondere müsse sich die Bahn auf eine verpflichtende Arbeitszeitverkürzung einlassen. Denn mit dem aktuellen Angebot sei klar: Wenn die Bahn nicht mehr Personal einstelle, dann sei auch die in Aussicht gestellte Arbeitszeitverkürzung hinfällig. Immerhin, argumentiert die GDL, hätten schon zahlreiche kleinere und regionale Bahnunternehmen, zuletzt Abellio, diese Forderung erfüllt.  

Verkehrsminister Wissing: Die Verhandlungen haben „zunehmend destruktive Züge“

„Die Lokführergewerkschaft war bisher an echten und ernsthaften Verhandlungen überhaupt nicht interessiert“, befand demgegenüber Bahn-Personalvorstand Martin Seiler auf einer Pressekonferenz in Berlin. Das Beharren auf Maximalforderungen führe nirgendwo hin. Damit bleibt die Bahn bei ihrer Linie, nach der die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche aufgrund des Arbeitskräftemangels schlicht nicht realisierbar sei. Die Abschlüsse der GDL mit kleineren Konkurrenten nannte Seiler „PR-Gags“, da die entsprechenden Klauseln unter dem Vorbehalt stünden, dass sie in der Branche „maßgeblich“ seien, also auch bei der deutschen Bahn zur Geltung kämen.

Weselsky sieht es anders. Wer behaupte, dass Tarifabschlüsse für „zehntausende von Eisenbahnern“ ein PR-Gag seien, „der hat sie nicht mehr alle“. Aus der Äußerung spreche die „Arroganz der Macht“. Das DB-Management verheize „Hunderte Millionen Steuergelder“, nur um in vierte und fünfte Tarifrunden einzutreten. Am Ende stehe ja trotzdem ein Abschluss.  

 

Mehr zum Thema:

 

Während der öffentliche Schlagabtausch sicherlich auch den Persönlichkeiten der Beteiligten zuzurechnen ist, bleibt der Grundkonflikt schwer versöhnlich, basiert er doch auf konträren Annahmen: Während die Bahn fürchtet, durch eine geringere Wochenarbeitszeit die Züge nicht mehr bemannen zu können, sieht die Gewerkschaft genau darin den entscheidenden Faktor, um die Bahn als Arbeitgeber attraktiver zu machen und den Nachwuchs zu sichern. „Wir alle wissen, dass die jungen Menschen das Schichtsystem nicht unbedingt mögen.“ Also müsse man, so Weselsky, für eine erhöhte Attraktivität sorgen. 

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat seine Seite in der Auseinandersetzung derweil gewählt: Die Verhandlungen hätten „zunehmend destruktive Züge“. Er glaube nicht, dass Weselsky sich und seiner Gewerkschaft mit dem erneuten Streik einen Gefallen tue, statt in Verhandlungen auf einen Kompromiss hinzuarbeiten, sagte Wissing dem ZDF.  

Wenn Nichtstun durch Bürgergeld belohnt wird, müssen auch die Löhne steigen

Thomas Ehrmann, Professor für Strategisches Management an der Universität Münster, kennt die Bahn aus seiner Beratungstätigkeit für den Konzern und war auch im Bundeswirtschaftsministerium tätig. Wissings Einschätzung teilt er nicht. Wenn die kleineren Bahnunternehmen, die ihr Geld am Markt verdienen und auf jeden Cent schauen müssten, sich mit der GDL auf weniger Arbeitszeit einigen könnten, dann sollte dies für die Deutsche Bahn auch möglich sein, die von Zuschüssen und Subventionen profitiere. Dadurch, dass die Ampelkoalition den Wirtschaftlichkeitsdruck auf die Bahn jüngst verringert habe, gebe es für das Topmanagement derzeit keinen harten Anreiz, schnell mit der Gewerkschaft übereinzukommen und die Einnahmeausfälle zu vermeiden. 

Dabei nutze die Bahnführung auch den Konflikt zwischen der GDL und der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) aus, die unter den Lokführern allerdings nur eine Minderheit vertrete. Die agiere gegenüber der Bahn im Allgemeinen entgegenkommender und unterstütze tendenziell gegen ihre Gewerkschaftskonkurrenz die Arbeitgeberseite – unter anderem deshalb, weil Funktionäre der EVG gelegentlich in Positionen bei der Bahn wechseln würden. „Letzten Endes“, so Ehrmann über die langen Ausstände, „zahlen wir Steuerzahler das.“  

Für die Forderungen der GDL hat Ehrmann indes Verständnis. Das Bahnmanagement habe in den vergangenen Jahren nicht dafür gesorgt, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. In der Automobilindustrie zum Beispiel gebe es keinen derartigen Arbeitskräftemangel, und dort habe man Arbeitszeitverkürzungen und sonstige Arbeitsverbesserungen viel radikaler durchgezogen. Trotzdem gebe es bei Tarifkonflikten in der Industrie keinen moralischen Druck. „Warum sollten Menschen freiwillig zu schlechten Konditionen arbeiten? Wenn die Leute knapp sind, dann muss man ihnen was bieten. Wenn ich da anfange zu moralisieren, dann habe ich wirklich nicht verstanden, was Wirtschaft ist. Jungen Akademikern, die es schaffen, gute Konditionen für sich herauszuverhandeln, wird eher mit Bewunderung begegnet.“

Auch dass sich Regierungspolitiker negativ über die GDL-Strategie äußerten, offenbare ein interessantes Amtsverständnis. Gegen das Dilemma, das sich aus dem Arbeitskräftemangel ergebe, habe die Politik selbst viel zu wenig unternommen. So sei der momentane Mangel an Lokführern auch eine Folge der Rente mit 63. Und die Bürgergelderhöhung habe dazu beigetragen, dass das Arbeitsangebot tendenziell verringert werde: „In dem Moment, wo Nichtstun belohnt wird, werden die Löhne natürlich noch mal viel dramatischer steigen müssen. Wenn die Politik so etwas macht, hat das eben Konsequenzen.“  

Anzeige