Expansion - Neue Welt: Was der Axel-Springer-Konzern in Amerika vorhat

Kein anderer deutscher Verlag hat den Wandel zum digitalen Medienkonzern so konsequent vollzogen wie Axel Springer. Nun expandiert das Unternehmen in den USA – und steht auch deshalb unter Beschuss.

Der Springer-Neubau in Berlin-Mitte wurde 2020 eröffnet / Paul Langrock
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Der Sessel eines Chefredakteurs kann rasch zum Schleudersitz werden. Zwischen einem warmen Plätzchen in der Beletage und einem letzten Schritt mit gepackten Kartons aufs Trottoir liegt manchmal nur eine Meinungsverschiedenheit. Meist ist es Inhaltliches, was zur Trennung von Verlag und Chefredakteur führt. Die Titelgeschichten kommen am Kiosk nicht an. Die Klicks auf der Online-Seite bewegen sich unter der Zielvorgabe. Oder es herrscht Uneinigkeit über die publizistische Ausrichtung eines Blattes. Zu rechts, zu links, zu viel Zeitgeist, zu wenig.

Am 18.Oktober dieses Jahres schlugen auch der Axel-Springer-Verlag und Bild-Chef Julian Reichelt getrennte Wege ein. Der Grund für Reichelts Abschied war allerdings kein inhaltlicher Dissens, sondern offenbar ein moralischer. Reichelt soll Affären mit jungen Kolleginnen eingegangen sein. Er soll sie nach Gutdünken aufsteigen und wieder fallen gelassen haben. Von Machtmissbrauch war die Rede. Davon, dass Reichelt bei einem ersten Compliance-Verfahren im Frühjahr Besserung gelobte und „seinen Hosenstall trotzdem nicht zugelassen hat“, wie es einer aus Reichelts Umfeld formuliert.

Die Geschichte hinter der Geschichte

Was in all den aufgeregten Berichten und Kommentaren zur Causa Reichelt allerdings kaum diskutiert wurde, war das Motiv hinter jener Veröffentlichung, die zur finalen Eskalation führte. Unter der Überschrift „Allegations of Sex, Lies and a Secret Payment“ veröffentlichte die New York Times im Oktober einen Text, der Reichelt sein Amt kostete. Warum interessiert sich eine amerikanische Tageszeitung für Betriebsinterna einer deutschen Boulevardzeitung?

Dazu muss man wissen, dass die Axel Springer SE Großes vorhat: Der zum internationalen Medienkonzern gewachsene Verlag will, so hat es sein Chef Mathias Döpfner formuliert, nicht weniger als der Marktführer des digitalen Journalismus in der westlichen Welt werden. Das ruft freilich die Konkurrenz auf den Plan – und zu der gehört eben auch die New York Times. Wer weiß, wie die mediale Öffentlichkeit funktioniert, weiß auch, dass nicht nur der Inhalt einer Story zählt. Eine gute Story braucht ein gutes Timing. Das macht sie erst zum Scoop, wie Journalisten sagen.

Das richtige Timing

Und das richtige Timing hat Springer der New York Times geliefert: Ende August 2021 wurde bekannt, dass der deutsche Konzern die US-Medienmarke Politico übernehmen wird. Im Oktober sollte die Transaktion über die Bühne gehen. Kurz zuvor ist der Reichelt-Artikel in der New York Times erschienen – und damit ganze sechs Monate nach dem ersten Compliance-Verfahren gegen den Bild-Chefredakteur.

Hat die US-Zeitung gegen Reichelt geschossen, um Konkurrent Axel Springer zu treffen? Es spricht einiges dafür. Politico wurde 2007 gegründet und ist eine der spannendsten Medienmarken der jüngeren Geschichte. Einerseits ist Politico ein politisches Magazin, das auf lange, personalisierte Hintergrundgeschichten im Gedruckten setzt und online auf detaillierte Beiträge über den politischen Alltag in Washington. Andererseits ist Politico ein Informationsdienstleister, der unter anderem „Verticals“ anbietet, Tiefenanalysen zu politischen Themen für zahlungskräftige Kunden aus dem Business-Bereich, von Technologie bis Landwirtschaft. Zum Kundenstamm gehören Google und Amazon genauso wie die Johns-Hopkins-Universität und die US-Bank J.P.Morgan Chase & Co. Die lassen sich den Service bis zu 16.000 Dollar im Jahr kosten.

Die Mega-Übernahme

Mit gut 700 Mitarbeitern gilt Politico in Nordamerika heute als eines der einflussreichsten Medienangebote im Washingtoner Politikbetrieb. Seit sieben Jahren gibt es zudem einen Brüsseler Ableger mit rund 200  Angestellten: Politico Europe, bisher ein Joint Venture von Axel Springer und Politico. Mit dem jüngsten Deal haben die Berliner nun sowohl Politico als auch Politico Europe und die dazugehörige Tech-Seite Protocol in Gänze übernommen. Dafür soll Axel Springer rund eine Milliarde Dollar gezahlt haben. Zum Vergleich: Als Jeff Bezos vor acht Jahren die Washington Post kaufte, hat der Amazon-Gründer 250 Millionen Dollar überwiesen.

Für den Springer-Konzern ist der Politico-Deal die größte Transaktion in der Firmengeschichte. Gegründet wurde der Verlag 1946 von Axel Cäsar Springer mit einem Startkapital von 200.000 Reichsmark. Zu den ersten Publikationen gehörten Kalender und Auftragsmagazine für den Nordwestdeutschen Rundfunk. Der erste große Erfolg Springers war die Programmzeitschrift Hörzu. Der zweite große Erfolg die Boulevardzeitung Bild, die 1952 gegründet wurde. Ein Jahr später kaufte Springer unter anderem die Zeitungen Welt und Welt am Sonntag. Zahlreiche Übernahmen, Neugründungen und Beteiligungen folgten.

Prägend für das Image des Großverlags waren vor allem die sechziger und siebziger Jahre, als „Enteignet Springer“ zur beliebten Parole linksradikaler Studenten wurde, die Bild eine Mitschuld am Attentat auf ihren Anführer Rudi Dutschke gaben. Teil dieser Episode ist ein RAF-Anschlag auf das Springer-Verlagsgebäude in Hamburg. Am 19.Mai 1972 explodierten dort zwei von fünf Rohrbomben, 36 Menschen wurden verletzt. Im September 1985 verstarb Axel Cäsar Springer in Westberlin. Doch bis zur größten wirtschaftlichen Krise des Verlags dauerte es noch einige Jahre.

Döpfner krempelt um

Die erlebte der Konzern nach der Jahrtausendwende. Zu viele Mitarbeiter, zu wenig Umsatz im Ausland und zu wenig Einfluss im TV-Geschäft drückten die Bilanz. 2002 wurde Mathias Döpfner zum Vorstandsvorsitzenden ernannt. Er sollte den Verlag wieder in die Spur bringen. Auf den Umzug von Hamburg nach Berlin 2003 und einen erfolglosen Übernahmeversuch von ProSiebenSat.1 folgte bald ein Umdenken, das maßgeblich mit Döpfners Vorstellungen eines modernen Medienhauses zu tun hatte: „Online First“ wurde zum strategischen Leitmotiv.

Dass es der Springer-Verlag damit ernst meinte, ließ sich spätestens 2013 beobachten. Damals verkaufte der Konzern die Regionalzeitungen Berliner Morgenpost und Hamburger Abendblatt sowie seine Frauen- und Programmzeitschriften für 920 Millionen Euro an die Funke Mediengruppe. Darunter auch Axel Cäsar Springers erster großer Erfolg: die Hörzu.

Breit aufgestellt

Bis heute gilt Springer als der umstrittenste Verlag in der deutschen Medienlandschaft. Das liegt zuvorderst an Bild, die unter Reichelt wieder deutlich politischer wurde als unter seinem langjährigen Vorgänger Kai Diekmann. Kritik an den Corona-Maßnahmen und am woken Zeitgeist waren die liebsten Inhalte des einstigen Kriegsreporters Reichelt. Unter seiner Führung wurde Bild wieder lauter und aggressiver, positionierte sich als stammtischtaugliches Gegengewicht zur linksgrünen Konkurrenz – und feuerte regelmäßig gegen die Öffentlich-Rechtlichen.

Nach Reichelts Aus machten im Netz daher Mutmaßungen die Runde, er habe gehen müssen, weil er zu regierungskritisch gewesen sei, zu sehr Opposition. Gleichwohl ist Springer viel mehr als Bild und Welt. Über 16.000 Mitarbeiter hat das Unternehmen heute, darunter 9000 im Medienbereich. Zu den Inlandsmarken, zu denen neben den Flaggschiffen Bild und Welt etwa die Berliner Lokalzeitung B.Z. oder das Wirtschaftsmagazin Gründerszene zählen, kommen multinationale Medienmarken wie das Lifestyle-Portal Noizz und Business Insider. Mit seinen Medienmarken ist Axel Springer heute in über 40 Ländern aktiv.

Zweites großes Standbein des Springer-Konzerns ist das digitale Rubrikengeschäft: Anzeigenplattformen für Stellen, Autos oder Immobilien. Springer nennt diesen Geschäftsbereich „Classifieds Media“. Dazu zählen etwa das Unternehmen Stepstone mit Jobportalen in über 25 Ländern oder die Aviv-Gruppe mit Portalen wie Immowelt. Und dann wäre da noch der Geschäftsbereich „Marketing Media“. Darunter fasst Axel Springer die Affiliate-Marketing-Netzwerke Awin und Share a Sale zusammen. Deren Aufgabe besteht darin, Plattformen und Werbetreibende, also Marken und Unternehmen, für Werbung zusammenzubringen.

Das größte Stück vom Kuchen

Springers Geschäftsmodell, dieses Duett aus Journalismus und digitalem Rubrikengeschäft, das die weggebrochenen gedruckten Kleinanzeigen mehr als ersetzt, gibt es international kein zweites Mal. Man muss lange nach einem Verlag suchen, der aus dem klassischen Zeitungsgeschäft kommt und ähnlich viel Aufbruchstimmung versprüht. Verglichen mit Springer wirken etwa die Verlage der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fast ambitionslos. Während bei der Konkurrenz vor allem umgeschichtet wird, ein bisschen bereinigt hier, ein bisschen erweitert dort, will Springer deutlich mehr.

Aus dem angestaubten Printverlag ist innerhalb weniger Jahre ein moderner Digitalkonzern gewachsen. Dafür steht nicht zuletzt auch der futuristische Neubau, der gegenüber dem Springer-Hochhaus in Berlin entstanden ist. Beliebter hat das den Verlag nicht gemacht, schon gar nicht bei der Konkurrenz. Das hängt einerseits mit den Inhalten zusammen, die im Hause Springer entstehen. Denn nicht nur Bild bürstet ordentlich gegen den Zeitgeist, gegen Identitätspolitik und grünen Moralismus. Auch die Welt unter Chefredakteur Ulf Poschardt tut das, was in der überwiegend linken Medienlandschaft nicht gut ankommt.

Die Abneigung der Konkurrenz hat andererseits damit zu tun, dass der Wettbewerb untereinander deutlich zugenommen hat – und Springer nach wie vor das größte Stück vom Kuchen gehört. Mit einer verkauften Auflage von über einer Million gedruckten Exemplaren hat Bild zwar massiv an Auflage verloren. Vor zehn Jahren lag sie noch bei fast 3,5 Millionen. Trotzdem ist das Boulevardblatt immer noch die größte Tageszeitung Deutschlands. Auf Platz zwei und drei folgen erst mit weitem Abstand die Süddeutsche Zeitung mit zuletzt rund 260 000 und die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit rund 170.000 verkauften Exemplaren. Bei den Wochenzeitungen steht die Bild am Sonntag mit rund 625.000 verkauften Exemplaren ebenfalls an der Spitze, gefolgt von der Zeit (518.000) und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (175.000).

Die harten Zahlen

Mit fast 400 Millionen Inlands-Visits auf bild.de im Oktober 2021 und laut eigenen Angaben etwa 575.000 zahlenden Abonnenten im Digitalen ist bild.de zudem die größte Nachrichtenseite des Landes – und wird doppelt so oft gelesen wie das Online-Angebot des Spiegel (rund 200 Millionen Visits). Selbst die im Vergleich zu bild.de deutlich kleinere welt.de liegt mit rund 115 Millionen monatlichen Visits im Oktober deutlich vor Konkurrenzangeboten wie Zeit Online (72 Millionen), sueddeutsche.de (65 Millionen) und dem Online-Auftritt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (61 Millionen). Alle News-Angebote der Axel Springer SE, inklusive Bild und Welt, kommen seit Mai dieses Jahres auf über eine Million Digital-Abonnenten.

Derlei Erfolge schlagen sich freilich auch in der Unternehmensbilanz nieder. Da Springer allerdings entschieden hat, sich von der Börse zurückzuziehen – und seither keinen Geschäftsbericht mehr veröffentlicht –, hier ein Blick auf die Zahlen aus dem Geschäftsjahr 2019: Damals setzte Springer insgesamt rund 3,1 Milliarden Euro um, wovon 1,4 Milliarden Euro auf News Media, 1,2 Milliarden Euro auf Classifieds Media und 421 Millionen Euro auf Marketing Media entfielen.

Bemerkenswert: Bereits 73 Prozent des Gesamtumsatzes in 2019 erwirtschaftete Axel Springer im Internet. Im Jahr 2009 waren es noch 0,2 Prozent. Mittlerweile macht das Digitalgeschäft laut Insidern sogar fast 80 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Und das, obwohl das Rubrikengeschäft im Zuge der Corona-Pandemie erstmals rückläufig war. Während ein Virus sein Unwesen treibt, ist der Wunsch nach einem Jobwechsel oder Umzug eher gering. Daher dürfte auch der Gesamtumsatz für das Geschäftsjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr niedriger ausfallen. Eine Summe von 2,9 Milliarden Euro steht im Raum.

US-Finanzinvestor im Hintergrund

Ansonsten gilt bei Springer vor allem: Die Verluste im Printjournalismus sollen durch digitalen Journalismus überkompensiert werden. Das ist die Kompassnadel, die anzeigt, in welche Richtung das Unternehmen marschieren will. Was das in der Praxis bedeutet, lässt sich gut am neuen Fernsehsender Bild ablesen, der vor wenigen Monaten gestartet ist. Was wie eine Kampfansage an andere Privatsender wie RTL oder ProSieben anmutet, ist eigentlich Teil der Bild-Digitalstrategie. Denn die meisten Bewegtbildinhalte würde Bild auch ohne Sendeplatz produzieren und als Online-Videos anbieten. Allerdings lässt sich ein linearer TV-Sender besser bei Werbekunden vermarkten.

Im Grunde ist der TV-Sender Bild also eine Zweitverwertung, die zusätzliches Geld in die Kasse spülen soll. Da stört es die Verantwortlichen nicht weiter, dass der Sender derzeit bei einem Marktanteil von nur 0,1 Prozent liegt. Das habe man einkalkuliert, heißt es. Investitionen wie jene in den TV-Sender Bild oder die Politico-Übernahme haben ganz maßgeblich auch damit zu tun, dass sich die Besitzverhältnisse bei Axel Springer zuletzt drastisch verändert haben. Vor gut zwei Jahren ist der US-Finanzinvestor KKR eingestiegen. Dessen Geschäftsmodell ist so einfach wie lukrativ. KKR kauft sich ein, hilft, den Wert eines Unternehmens über gezielte Investitionen zu steigern – und steigt gewinnbringend wieder aus. Dazwischen liegen bei KKR in der Regel fünf bis sieben Jahre.

In der deutschen Medienlandschaft ist KKR kein Unbekannter. Die Amerikaner halten derzeit unter anderem Aktienanteile an ProSiebenSat.1 und haben 2019 gemeinsam mit dem Medienmanager Fred Kogel das Filmunternehmen Leonine gegründet. KKR kennt sich also aus im Medienbusiness. Springers Rückzug von der Börse war daher eine Grundvoraussetzung für die Beteiligung. So konnte sich KKR dagegen absichern, dass andere Investoren über Aktienanteile bei Axel Springer mitreden. KKR kennt das bereits von ProSiebenSat.1. Dort sorgt Anteilseigner Mediaset, das Medienunternehmen der Familie Berlusconi, regelmäßig für Ärger und schlechte Presse.

Die Besitzverhältnisse

Am Springer-Konzern hält KKR gemeinsam mit dem kanadischen Pensionsfonds CPPIB rund 48,5 Prozent. 44,5 Prozent entfallen zu fast gleichen Teilen auf Springer-CEO Mathias Döpfner und Friede Springer. Wobei die Witwe des Unternehmensgründers ihre Stimmrechte an Döpfner übertragen hat. Mit KKR ist vereinbart, dass wesentliche Entscheidungen nur im Einvernehmen beider Seiten getroffen werden können. Sprich: Döpfner und KKR haben jeweils ein Vetorecht.

Der Rest des Unternehmens gehört den Springer-Enkeln und der Friede-Springer-Stiftung. Erklärtes Ziel von KKR ist es, das digitale Wachstum voranzutreiben. Neben Investitionen in bestehende Medienmarken sind weitere Zukäufe Teil dieser Strategie. Doch zunächst will man bei Springer durchatmen und den Politico-Deal verdauen. In der Zwischenzeit lässt sich gut anderes anstoßen, etwa ein Börsengang des Jobvermittlers Stepstone. Dass dieser geplant sei, das hat jüngst die Financial Times berichtet. Eine offizielle Bestätigung von Springer gibt es hierzu noch nicht. Aber auch kein Dementi.

 

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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