Krise in der Automobilindustrie - „Dann wird die Wertschöpfung nicht mehr in Deutschland stattfinden“

Die Krise der Automobilindustrie wird greifbar. Mehr als 100.000 Arbeitsplätze könnten verloren gehen. Der IG-Metall-Chef von Baden-Württemberg warnt, es könnte noch dramatischer werden. Denn immer mehr Firmen verlagern die Produktion der Elektromobilität ins Ausland

Der IG-Metall-Chef von Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, sorgt sich um den Industriestandort Deutschland / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Roman Zitzelsberger ist Chef der IG Metall in Baden-Württemberg.

Herr Zitzelsberger, laut einer Studie des Center for Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen könnten in den kommenden zehn Jahren durch den Wandel in der Automobilindustrie hin zu batteriebetriebenen Fahrzeugen mehr als 100.000 Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen. Für Sie kommt das nicht überraschend, richtig?
Die Studie von Herrn Dudenhöffer hat uns in der Tat nicht überrascht. Da sind zwar etwas andere Zahlen drin als in der zweiten ELAB-Studie zur Elektromobilität und Beschäftigung, die wir mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) gemacht haben, aber die CAR-Studie bestätigt eine Tendenz.

Wie kann eine derartig heftige Tendenz zu Arbeitsplatzverlusten vorausgesagt werden?
Man muss wissen, dass es gewissermaßen eine Wette ist, abzuschätzen, wie viel reine Elektromobilität wirklich auf die Straße kommen wird und wie viel Hybrid-Antriebe. Das ist der große Unsicherheitsfaktor. Denn mehr Hybrid-Antriebe heißt auch mehr Arbeitsplätze. Mehr reine Elektromobilität heißt weniger Arbeitsplätze.

Warum ist das so?
Ein reiner Elektroantrieb hat deutlich weniger Teile als ein Verbrenner und ist damit weniger beschäftigungsintensiv, ein Hybrid hat deutlich mehr Teile. Noch viel wichtiger ist allerdings die Frage, wo der technologische Wandel nun stattfinden wird, egal welcher Antrieb sich nun vermehrt durchsetzt. Für die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland ist es entscheidend, wie viele Bereiche der gesamten Wertschöpfungskette der künftig produzierten Autos hier verbleiben und wie viele ins Ausland verlagert werden. Wenn weite Teile der Wertschöpfungskette abwandern, dann sehen die Zahlen nochmal ganz anders aus.

Sie meinen, die Zahlen wären dann noch dramatischer?
Ja, dann wäre es klipp und klar dramatisch. Die ohnehin schon heftigen Ergebnisse treffen nur unter der Annahme zu, dass sich die Transformation innerhalb der hierzulande bestehenden Wertschöpfungsketten vollzieht.

Roman Zitzelsberger,
IG Metall Bezirksleiter
Baden-Württemberg

Und was ist ihr Eindruck?
Wir stellen fest, dass ein erheblicher Teil der Zulieferer plant, neue Komponenten für Elektromobilität tendenziell eher in Low-Cost-Countries zu verlagern oder, um den neuen Sprech zu bemühen: in Best-Cost-Countries.

In Baden-Württemberg, aber auch in Niedersachsen, Bayern und anderen Bundesländern hängen besonders viele Jobs an der Automobilindustrie. Wie geht man die Probleme bei Ihnen in Stuttgart an?
Prognosen darf man nicht nur staunend betrachten, man muss auch was tun. Es gibt einen sogenannten Strategiedialog Automobilwirtschaft, den der Ministerpräsident Winfried Kretschmann ins Leben gerufen hat. Teil dieses Dialogs ist der von uns vorab initiierte Transformationsrat des Wirtschaftsministeriums, der sich mit Forschung, Entwicklung, Produktion, Zulieferern und Vertrieb beschäftigt. Im Strategiedialog geht es aber um noch mehr: Woher kommt künftig die Energie? Was hilft uns bei der Digitalisierung? Wie bekommen wir neue Mobilitätslösungen hin? Wie bekommen wir den Wandel in der Gesellschaft so hin, dass Arbeit und Umwelt zusammengedacht werden?

Das klingt gut, aber bringt das auch was?
Der Strategiedialog hilft, die öffentlichen Debatten und das Problembewusstsein zu fördern. Konkrete Prozesse wurden auch schon angestoßen. Es wurde beispielsweise erarbeitet, inwiefern wir etwa genügend Rohstoffe für Batterien haben werden. Die Frage ist nun, insbesondere von der Forschung beantwortet. Es wird keine Rohstoffknappheiten geben. Weil immer geringere Mengen von Kobalt in Batteriezellen oder Platin in der Brennstoffzelle verwendet werden müssen und weil bis in zehn Jahren ein Recyclingkreislauf in Gang gekommen sein wird, der signifikant und ökonomisch auch spannend ist.

Brauchen wir so einen Dialog nicht dringend auch auf Bundesebene?
Teilweise werden diese und viele andere Themen bereits in der sogenannten Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität behandelt. Man muss auf Bundesebene das Rad nicht neu erfinden, sondern man könnte sich an den zahlreichen Themen in Baden-Württemberg orientieren und sie mit aufnehmen und alle Stakeholder mitnehmen.

Welche Gesprächspartner sitzen denn bei Ihnen an einem Tisch?
Das sind alle Unternehmen der Wertschöpfungskette, also die Originalausrüstungshersteller, die Zulieferer, die Maschinenbauer. Dabei ist die Arbeitnehmerseite, also Betriebsräte und wir als Gewerkschaft, die Verbände, der VDA, der VDMA. Außerdem Wissenschaftler und Wissenschaftsvermittler wie das Fraunhofer IAO. Umgarnt ist das Ganze dann politisch von den jeweiligen Ressorts und von gesellschaftlich relevanten Gruppen wie etwa dem BUND als Umweltverband.

Aber reicht es aus, zusammenzusitzen und sich auszutauschen?
Tatsächlich geht es jetzt um die Gretchenfrage, die sich sowohl in Baden-Württemberg als auch auf Bundesebene stellt: Was für Maßnahmen wird es jetzt geben? Erkenntnisgewinn und Austausch sind schön. Aber es muss auch konkret was daraus folgen. Stattdessen wird die ganze Debatte um die Zukunft der Arbeitsplätze in der Automobilindustrie derzeit insbesondere von den Unternehmen konterkariert.

Warum genau?
Wir stellen fest, dass einige der Akteure, die mit am Tisch sitzen, munter ihre Unternehmensstrategien nach dem Motto umstellen: „Das alte Zeug machen wir noch hier, Neue Produkte gehen nach Osteuropa.“ Wir erleben dies etwa bei Zulieferern wie Mahle oder Conti, die bereits Standortschließungen und Personalabbau angekündigt haben. Wir haben eine ganze Liste von Unternehmen, bei denen noch nicht geklärt ist, wohin sie in Sachen Arbeitsplätze genau wollen – dazu gehören etwa Bosch oder ZF. Leider gibt es ebenso eine ganze Latte von Unternehmen, die schon ganz bewusst entschieden haben, Zukunftstechnologien in Sachen Mobilität ins Ausland verlagern zu wollen.

Darauf wollen Sie nun aufmerksam machen?
Ja, wenn so gehandelt wird, kann man noch 25 solcher Dialogformate organisieren, die werden dann aber nichts bringen. Der wesentliche Faktor, die wirtschaftliche Stärke und die Wertschöpfung, werden dann nicht mehr in Deutschland stattfinden. Das geht dann massiv auf die Arbeitsplätze, und das ist der Punkt, an dem wir als IG Metall unfreundlich werden.

Unternehmen entscheiden nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, wohin sie ihre Produktion verlagern. Warum soll die Politik sich da einmischen?
Nur um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Es geht uns keinesfalls um Protektionismus. Wir leben in einem globalen Produktionsnetzwerk, bei dem es die Internationalität braucht. Aber was wir erkennen, ist, dass neue Technologien kaum mehr bis gar nicht mehr hierzulande stattfinden sollen. Das macht uns große Sorgen. Darum fordern wir von Ministerpräsident Winfried Kretschmann ebenso wie von der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie zu den Unternehmen sagen: Leute, wir wollen von euch ein memorandum of understanding, das klipp und klar aussagt: Wir setzen darauf, die neuen Technologien und die damit verbundene Beschäftigung auch hier im Land zu behalten.

Aber solche Absichtserklärungen werden da doch kaum reichen?
Die Regierung kann sehr wohl Unterstützungen auch davon abhängig machen, wie sich die Unternehmen dazu verhalten. Gibt es Forschungsförderungen? Gibt es Unterstützung dabei, Beschäftigungslücken zu überbrücken? Gibt es finanzielle Hilfen, wenn ein Unternehmen Fehler gemacht hat? Es gäbe genügend Steuerungsmöglichkeiten, um da eingreifen zu können. Die Bundesregierung muss außerdem endlich die Voraussetzungen schaffen, damit die Mobilitätswende gelingt: Infrastruktur wie Ladesäulen, Wasserstofftankstellen, 5G-Netze, und vieles mehr.

Aber führt ungeachtet dessen die Klimapolitik nicht ohnehin unweigerlich zu Arbeitsplatzverlusten?
Nein, nicht unweigerlich. Die Lösung liegt in Technologien. Es mag sinnvoll sein, ein Schnitzel weniger zu essen, aber das wird unsere CO2-Bilanz nicht wesentlich verbessern. Es geht ja auch nicht nur um die Frage der künftigen Antriebstechnologie. Neue Jobs werden auch in allen anderen mit Mobilität verbundenen Bereichen entstehen: bei allen Arten von Fortbewegungsmitteln, bei Mobilitätskonzepten, bei neuen Energieträgern und vielem mehr. Wir sind mitten in der Energiewende, und der Windradhersteller Vestas entlässt Leute, weil sie wegen der überbordenenden Regulierung keine Windräder mehr aufstellen können. Bayern bremst seit Jahren den Bau einer Stromtrasse für die regenerativen Energien vom Norden in den Süden. Da steckt überall Arbeit drin. Wer da bremst, gefährdet Arbeitsplätze.

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