Wie Parteien hausen

Auf der Suche nach den Zentralen der großen Parteienhaben wir vier Kreuze gemacht – auf Berlins Stadtplan.Eine kleine Bautypologie der deutschen Wahlvereine

Azur, Indigo, Kobalt – ästhetisch üben sich unsere Politiker in der ganz großen Koalition. Egal welche Couleur sie vorgeben, fast immer, wenn sie vor die Kamera treten, sind die Kulissen ihrer Deklamationen blau. Dabei haben sich die Parteien in Berlin Bühnen gebaut, die viel mehr verraten. Geopolitisch – das heißt beim Blick auf den Stadtplan – ließen sie sich weit voneinander entfernt nieder: Jede Partei besetzt in einer anderen Himmelsrichtung den Rand des Berliner Regierungsviertels. Und auch architektonisch gehen die Parteien mit ihren Bundesgeschäftsstellen getrennte Wege. Mal reihten sie sich bescheiden in die Straßen­zeile, mal besetzten sie ein machtvolles Eckhaus. Stilistisch bedienten sie sich der ganzen Bandbreite: von Westfälischer Renaissance bis Avantgarde. Baut sich am Ende ein neues politisches Kräfte­spiel auf? Thomas-Dehler-Haus Kreuz am Giebel Am wenigsten festgelegt hat sich die Partei mit der meisten Machterfahrung. Die FDP residiert zentraler als all ihre Konkurrenten: am direkten Weg zur Dienstwagenzufahrt des Kanzleramts. In der Reinhardtstraße ist ihre Geschäftsstelle freilich nur ein Haus unter vielen. Ob seiner roten Backstein-Fassade im Stil der Neo-Renaissance stände es westfälischen Rathäusern gut zu Gesicht – wäre da nicht das Muschelkalk-Kreuz am höchsten Giebel. Tatsächlich wurde die Anlage zwischen 1910 und 1912 durch Caspar Clemens Pickel als „St. Maria-Viktoria-Stift“ errichtet. Das Dominikaner-Krankenhaus entstand seinerzeit durch finanzielle Unterstützung von Fürst Carl Löwenstein-Wertheim-Rosenberg. Geistige Grundlage des Gebäudes ist weniger das liberale Laisser-faire als die christliche Sozialethik, auf die sich heute noch der Lieblingskoalitionspartner CDU beruft. Damals erwies sich das Fundament allerdings als nicht tragfähig. In den dreißiger Jahren war die Einsturzgefahr so stark, dass der Pflegebetrieb eingestellt und die Krankenhauskapelle abgerissen werden musste. Die FDP erwarb den Komplex schließlich aus dem Nachlass des „Bauernverlags“, der ihren DDR-Pendants LDPD und NDPD nahe stand. Infolge des Denkmalschutzes blieb außer der originalgetreuen Restauration nur die Neubebauung der drei Höfe. Im mittleren Hof, dessen Torbogen an das Entree einer Burschenschaft gemahnt, entstand mit viel Glas, aber wenig Gestaltungswillen eine Cafeteria, in der sich wie an einer Elite-Uni speisen lässt. In den beiden äußeren Höfen stapelten die weithin unbekannten Kieler Architekten Hoffmann + Krug aluminiumverkleidete Allerweltsbüros zur Fremdvermietung, sodass rund 80 Prozent des Komplexes dazu dienen, Geld zu machen, nicht Politik. Damit durchzieht das Thomas-Dehler-Haus genau die Verherrlichung der Marktverhältnisse, die stets FDP-Programm gewesen ist. Auf der Schauseite verfängt freilich nichts, woran sich ablesen ließe, wofür diese Partei steht. Bundesgeschäftsstelle der Grünen Solarzellen und Teeküche Noch radikaler stellen sich diesem Problem die Grünen. Ihre Geschäftsstelle am Platz vor dem Neuen Tor liegt zwar genau am nördlichen Ende der einstigen Machtmeile Wilhelmstraße. Doch als Parteizentrale gibt sie sich gar nicht zu erkennen: Das vor rund 20 Jahren gegen etablierte Autoritäten angetretene Projekt bewohnt ein ganz normales Mietshaus der Gründerzeit. Abgenabelt vom Chaos jener Hausbesetzer-Tage zeigt sich, wie Grün wirkt: Radstellplätze auf der Fahrbahn, lösungsmittelfrei (natürlich grün-) gestrichene Fensterrahmen, Solarzellen auf dem Dach oder Rankpflanzen im Hof sind allesamt Details, die die Bewegung inzwischen als Standards behutsamer Stadterneuerung durchsetzen konnte. Noch immer aber fehlt dem Haus, worauf professionelles Politmarketing nicht verzichten mag: ein Name genauso wie ein Broschürenstand oder Veranstaltungsräume, die für eine breitere Öffentlichkeit nutzbar sind. Auch die Vorstands­etagen fallen ungleich bescheidener aus als die der Konkurrenz. Größeres Augenmerk galt der Teeküche, in die alle Neuankömmlinge gleichermaßen fallen: Es scheint, als sei deren unbehandeltes Holz von der italophilen Toskana-Fraktion eigenhändig zusammengetragen worden. Dass sie demnächst den europäischen Außenminister stellen will und strategische Bündnisse mit den Konservativen anstrebt, gibt diese Polit-WG jedenfalls in baulicher Form nicht preis. Willy-Brandt-Haus Die Anti-Baracke Weit mehr der Zukunft zugewandt ist der Gestaltungsanspruch der großen Parteien, die beide neu bauten. Kräftig vor legte die SPD, als sie bereits 1996 die mit Abstand größte Parteizentrale einweihte. Das Gebäude füllt das spitze Eckgrundstück am Südende der Wilhelmstraße voll aus, fast ist man geneigt zu sagen, es erscheint wie ein riesiges, postmodernes Kuchenstück. Die dunkelblauen, streng horizontal geteilten Fenster in der hellen Steinverkleidung weisen es eindeutig als Kind der expressiven Moderne aus, die in den zwanziger Jahren vor allem Gewerkschaftshäuser zierte. Tatsächlich findet sich in der Ecke Lindenstraße / Alte Jakobstraße (einige Kilometer ostwärts) immer noch das 1931 von Erich Mendelsohn errichtete „Haus des Deutschen Metallarbeiterverbandes“, dessen dynamische Details SPD-Architekt Helge Bofinger platterdings nachahmte. Abgesehen von der Außenform erinnert freilich nichts an die Ahnenschaft der Arbeiterbewegung. Exquisite Läden bieten große Weine für Besserverdienende statt Politik für die kleinen Leute. Das auf das dreieckige Grundstück gezwängte Atrium gleicht durch seine Edelhölzer, gläsernen Aufzüge und Absperrungen der Hauptstadtrepräsentanz einer Großbank. Der oberste Parteisoldat thront in der Spitze des Gebäudes, zu seinen Füßen tagt – in einem unerträglichen ausladenden Glaskasten – der Parteivorstand. Lamellen und getönte Scheiben verwehren jeden Einblick. Diese hochherrschaftliche Attitüde war noch der Bonner SPD-Zentrale völlig fremd. In den Jahren des „Mehr-Demokratie-Wagens“ glich die „Baracke“ einer offenen Debattenlandschaft, in der Pressekonferenzen und Vorstandssitzungen beinahe auf der Straße stattfanden. In Berlin sind die Wähler und die einfachen Mitglieder der SPD nur mehr Publikum. Auf opulenten Veranstaltungsflächen werden vielfältige Vernissagen und zeitgeschichtliche Symposien geboten – genau das Programm, von dem wohl jeder Volkshochschulleiter träumt. Insgesamt gäbe das Gebäude eine perfekte Regierungszentrale ab. Um dem Willy-Brandt-Haus in der Gesellschaft Omnipräsenz zu verleihen, leistet es sich als einzige Berliner Parteizentrale eine eigene Internetseite. In diesem Gebäude manifestiert sich der Anspruch auf Macht beinahe so selbstbewusst – und abgehoben –, dass es fast ein bisschen schwer fällt daran zu denken, dass Glas, Stein und Stahl länger bestehen als Wahlergebnisse. Konrad-Adenauer-Haus Die Arche Kohl Diese Gefahr besteht für die CDU nicht. Als letzte Partei bezog sie erst im Jahr 2000 ihren frei stehenden Komplex an der Westflanke des Diplomatenviertels am südlichen Tiergarten – und die Partei bemüht sich, jedenfalls baulich, um Transparenz. Die Interna sind hier nebensächlich. Weiße Wände, strapazierfähige Bodenbeläge und Stahltreppenläufe könnten einer Berufsschule dienen. Die Konferenzsäle werden fast ausschließlich für Presseverlautbarungen genutzt. Die eigentliche Attraktion ist die Außenansicht, welche folgerichtig vom Fernsehen viel häufiger gezeigt wird als alle anderen Parteizentralen: Über scharfkantigem Sockel erhebt sich ein riesiger, baumbewachsener Wintergarten. In den haushohen Glaskörper sind die Arbeitsflächen in Form eines umgedrehten Schiffsbugs eingestellt, lediglich die beiden Führungsetagen ragen heraus. Die leicht verdrehte Symmetrie irritiert das Auge: Ganz so, als habe sich hier jemand verbaut, strahlt sie eine gewisse Instabilität aus, aber auch eine klare Botschaft: Das Schnellboot CDU strebt Richtung Kanzleramt – jedenfalls ist das die Blickrichtung der oberen Führungsetage. Die Spitze des Winter­gartens zielt dagegen irgendwo in den Süden von Berlin, was wohl nicht mehr ist als eine List. Es bleibt die Frage, warum sich ausgerechnet die Konservativen so kühn zur Schau stellen. Das Architektenbüro Petzinka, Pink & Partner erwarb sein Renommee als Hofbaumeister von Nordrhein-Westfalen. Für das traditionell sozialdemokratische Bundesland errichtete es die Neue Staatskanzlei in Düsseldorf und die NRW-Vertretung in Berlin. Doch dann wurden die Architekten vom damaligen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl höchstselbst ausgewählt. Und dieser ist erklärter­maßen Fan der Pariser Louvre-Pyramide, die eine ganz ähnliche Aura ausstrahlt. Ihrem Schöpfer Ieoh Ming Pei hat der Einheitskanzler einst mit dem Erweitungsbau für das Deutsche Historische Museum einen stattlichen Direktauftrag zugeschanzt. Auch ist nicht erst seit den Planungen des Kanzleramts bekannt, dass Helmut Kohl ganz genau weiß, wie ein starkes Image im Medienzeitalter wahre Sachverhalte überstrahlen kann. Daran gemessen dürfte der CDU die absolute Mehrheit kaum mehr zu nehmen sein. Der Autor ist Architekturkritiker und Co-Autor des Buchs „Berlin – Der Architekturführer“ (Quadriga-Verlag)

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