Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz - „Wir haben bisher die Freiheit der Menschen stark eingeschränkt“ 

Eine kleine Revolution bahnt sich an. In Kloster Vierzehnheiligen bei Bamberg diskutieren in diesen Tagen die 69 deutschen Bischöfe und Weihbischöfe unter anderem über eine grundlegende Reform des kirchlichen Arbeitsrechts und Veränderungen der Sexualmoral. Die Kirche dürfe nicht länger die Freiheit der Menschen einschränken wollen, sagt der stellvertretende Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode. 

Eröffnungsgottesdienst der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in der Basilika von Vierzehnheiligen / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Anzeige

Herr Bischof Bode, die katholische Kirche kann Mitarbeitern wegen ihrer Lebensführung kündigen. Das gilt etwa auch für verheiratete Lesben und Schwule. Das soll sich nun ändern. Warum? 

Wer für die Kirche arbeiten will, muss auch hinter den Zielen der Kirche stehen, sich mit der Kirche identifizieren. Deswegen geht es mehr um ein Lebenszeugnis und nicht so sehr um die konkrete Lebensführung. Vor allem war der Automatismus falsch, dass bestimmte Umstände direkt zur Kündigung führen konnten. Bei der großen Mehrheit der Mitarbeiter wurde dies auch schon nicht mehr angewandt. Nun wollen wir die Öffnung aber für möglichst alle. Es gab auch bei manchen eine unterschwellige Angst, wenn sie sich offenbarten. Das wollen wir beenden.  

Wie kam es zu dem Sinneswandel? 

Tatsächlich denken wir schon länger über die Änderung der arbeitsrechtlichen Grundordnung nach. Die Aktion „Out in Church“, bei der sich Menschen aus der Kirche geoutet haben, hat das aber offensichtlich beschleunigt. Und die Umsetzung wird sicher innerhalb in der Bischofskonferenz auch noch für Diskussionen sorgen. Es muss möglichst in ganz Deutschland gleich gehandhabt werden, sonst wird insgesamt die Regelung vor dem Gesetz keinen Bestand haben können. 

Dahinter steht aber auch die Frage der Sexualmoral der Kirche. Verbot von homosexuellen Handlungen, von Sex außerhalb der Ehe, von Verhütungsmitteln … In Rom ändert sich nichts, aber in Deutschland schon? 

Bischof Franz-Josef Bode

In Rom und in Deutschland ändert sich langsam etwas. Ich werbe schon seit Jahren für eine Beziehungsethik. Es geht darum, wie Partnerschaften nach christlichem Verständnis gelingen, innerhalb und außerhalb der Ehe, homosexuell oder heterosexuell. In unserer Gesellschaft herrscht eine Verhandlungsethik vor: Wenn beide zustimmen, dann ist vermeintlich alles ok. Das reicht uns aber nicht. Wir möchten den christlichen Maßstab der Liebe einbringen. Das bedeutet, Partner dürfen nie zu Objekten gemacht werden, auch wenn sie zustimmen würden. Daraus ergeben sich dann auch positive Bewertungen der Sexualität in allen ihren Dimensionen. 

Das bedeutet aber, Bewertung und Ablehnung einzelnen sexueller Praktiken würde die katholische Kirche nach Ihrer Vorstellung nicht mehr vornehmen? 

Wir haben bisher mit der Sexualmoral die Freiheit der Menschen stark eingeschränkt, Menschen fühlten sich in vielen Fällen durch die Sexualmoral geradezu geknebelt. Wir müssen endlich die kirchliche Lehre in vielen Bereichen aus dem christlichen Paradigma der Freiheit erschließen. Es geht um die Bedeutung der Gewissensentscheidung. Zugleich gibt es Menschen, die nach Orientierung suchen. Ihnen haben wir aus unserem christlichen Verständnis etwas zu sagen. 

Manche Menschen sagen, es könne nicht sein, dass alles, was früher in der Kirche richtig war, nun falsch sein solle. Was sagen Sie denen? 

Ich werde von den einen für nicht-mehr-katholisch gehalten, weil ich die Tradition verraten würde. Und von den anderen werde ich für nicht-mehr-katholisch gehalten, weil ich nicht schnell genug Veränderungen voranbringen würde. Ich bekomme Briefe von beiden Seiten, ich solle zurücktreten. Das ist eine durchaus schwierige Lage. Ich versuche dann zu erklären, dass sich im Laufe der Kirchengeschichte nach und nach immer mehr geändert hat, als wir vielleicht vermuten. Das heißt, dass die Tradition lebendiger ist, als manche annehmen. 

Es wird jetzt angesichts des schrecklichen Krieges in der Ukraine viel nach Osteuropa geschaut. Es gibt ja noch immer eine tiefe kulturelle Bruchlinie zwischen West- und Osteuropa. Beim Thema Homosexualität etwa ist die polnische Kirche teilweise näher an der Moskauer Orthodoxie, als man das politisch gerade vermuten mag. Was sagen Sie den polnischen Bischöfen? 

Die polnische Kirche wird sich entscheiden müssen, welchen Weg sie geht, aber an den Realitäten des Lebens kommt sie nicht vorbei. In der Situation der Verfolgung, in der Zeit des Kommunismus, und mit der prägenden Gestalt des polnischen Papstes Johannes Paul II. hat sich eine bestimmte Haltung konserviert, mit der meines Erachtens die Zukunft wohl kaum zu gestalten ist. 

Der Patriarch von Moskau, Kyrill I., hat den Krieg in der Ukraine auch als Kampf gegen Schwulen-Paraden bezeichnet. Was sagen Sie dazu? 

Solche Aussagen sind für mich unfassbar. Wenn die Orthodoxe Kirche in Russland sich zur Stützung eines politischen Systems vereinnahmen lässt, habe ich da kein Verständnis. Eigentlich gibt es für uns eine theologische Nähe zur Orthodoxie, aber bei solch einem Verhalten kann es nur schwer Verständigung geben. Das ist eine schwere Belastung für den Dialog der christlichen Kirchen untereinander. 

Die katholische Kirche ist insgesamt in einer schweren Vertrauenskrise. Es gibt eine Austrittswelle nach den Missbrauchsuntersuchungen, in Köln und anderswo regelmäßig Demos. Wenn Sie zurückschauen, Sie sind seit 31 Jahren Bischof, wo sehen Sie persönlich Versäumnisse? 

Im Rückblick habe ich manche Entwicklungen doch zu spät kommen sehen. Die Missbrauchskrise habe ich am Anfang völlig unterschätzt. Und es dauerte seine Zeit, bis ich wirklich den Perspektivwechsel auf die Opfer hin vollzogen habe. Auch habe ich diesen gewaltigen Abbruch nicht kommen sehen. Heute haben wir in Osnabrück bis zu 1000 Austritte im Monat, teilweise aus dem engeren Bereich der Kirche heraus. Das habe ich mir im Traum nicht vorstellen können. 

Und was ist Ihr Argument, warum man in der Kirche bleiben sollte? 

Nur wer in der Kirche bleibt, kann auch mitgestalten. Es gibt so viele Gründe zu bleiben, weil Kirche so vielfältig ist. Wir werden in dieser Gesellschaft auch neue Freiräume schaffen, in denen Kirche nicht als einschränkend, sondern als ermöglichend wahrgenommen wird. Dort werden wir die Frage des Glaubens an einen personalen Gott, die für uns im Zentrum steht, für unsere Zeit neu zu stellen haben. 

Die Fragen stellte Volker Resing. 

Anzeige