Verleumdungsprozess gegen Gil Ofarim - Auf Kosten der Gerechtigkeit

Im Fall Gil Ofarim haben Gericht und Staatsanwaltschaft gleichermaßen als rechtsstaatliche Kontrollinstanzen versagt. Nicht die lächerliche Höhe der Geldauflage ist das Problem, sondern die Einstellung des Verfahrens. Denn dafür liegen die Voraussetzungen gar nicht vor.

Der Musiker Gil Ofarim im Gerichtssaal / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Prof. Dr. Holm Putzke ist Professor für Strafrecht an der Universität Passau sowie außerplanmäßiger Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden. Zudem ist er bundesweit als Strafverteidiger tätig.

So erreichen Sie Holm Putzke:

Anzeige

Am 6. Verhandlungstag nahm der Strafprozess gegen den angeklagten Musiker Gil Ofarim wegen Falscher Verdächtigung und Verleumdung des Hotelmitarbeiters Markus W. eine spektakuläre Wende. Gil Ofarim räumte ein: „Die Vorwürfe treffen zu. Ich möchte mich entschuldigen. Es tut mir leid.“ Endgültig wird das Verfahren eingestellt, wenn die Auflage innerhalb von sechs Monaten erfüllt, also das Geld rechtzeitig an die Zuwendungsempfänger überwiesen wird.

In der Regel ist es ratsam, sich als Außenstehender mit Kritik an Richtern, Staatsanwälten oder Verteidigern zurückzuhalten. Profis wissen, dass Dinge oft komplexer sind, als man als externer Beobachter gemeinhin meint, erst recht aus Sicht juristischer Laien. Aber es gibt Ausnahmen, etwa bei diesem Verfahren. Es wäre aus professioneller Sicht geradezu falsch, dazu zu schweigen, weil das Kritikwürdige mit Händen zu greifen ist.

Ein Post und seine Folgen

Beginnen wir mit einem bemerkenswerten Verteidigerverhalten, das bei näherem Hinsehen alles in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Kaum hatte Gil Ofarim die Tat gestanden, kaum die Entschuldigung über seine Lippen gebracht, kaum war der Beschluss der vorläufigen Einstellung verkündet und kaum hatte der Vorsitzende Richter die Richtigkeit des Vorgehens unter anderem damit gerechtfertigt, dass nun die Wahrheit offen zutage liege, da postete der Verteidiger Alexander Stevens am selben Tag auf seinem Instagram-Account Folgendes: 

„… Da im Falle einer Verfahrenseinstellung eine gerichtliche Schuldfeststellung gerade nicht getroffen wird, darf aus einer Einstellung keine Schuldfeststellung abgeleitet werden und wäre ein eklatanter Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Darüber hinaus darf man – ganz unabhängig von @gilofarim – nicht vergessen, dass 1. aufgrund einer durch die Verfahrenseinstellung schnellen Verfahrensbeendigung, 2. dem hierdurch fehlenden Strafmakel oder 3. weil man sich weitere Auslagen für die Verteidigung ersparen will, ein gewichtiger Anreiz für ein prozesstaktisches Geständnis liegen kann. Gerade die Angst vor einer ungerechtfertigten Verurteilung kann maßgebliches Motiv für die Unterwerfung einer Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153a StPO sein.“ 

Das basierte auf dem Inhalt einer Ergänzung zur Pressemitteilung der Verteidigung, die allerdings den Zusatz „ganz unabhängig von @gilofarim“ nicht enthielt.

Aus Sicht eines verständigen Verteidigers ist eine solche Positionierung allein deshalb rätselhaft, weil das Gesagte zu betonen, dem Juristen ohnehin bekannt ist, und Laien es jedenfalls auf den ersten Blick weder richtig verstehen noch es sie interessiert. Bei Laien bleibt nach der Berichterstattung im Groben und Ganzen zunächst nur hängen: „Gil Ofarim hat ein Geständnis abgelegt, seine Vorwürfe gegen den Hotelmitarbeiter waren frei erfunden, die Lüge hat der Musiker zwei Jahre lang gepflegt und sie – flankiert mit einer ungewöhnlich opulenten Eröffnungserklärung durch Verteidiger Stevens – an sechs öffentlichen Hauptverhandlungstagen mit dem über seine Verteidiger vermittelten Impetus empörter Selbstverletztheit aufrechterhalten.“

Während aber nur wenige Laien die Erklärung von Stevens überhaupt zur Kenntnis nehmen werden, geschweige denn sie juristisch richtig einzuordnen wissen, ist der Inhalt geeignet, für seinen Mandanten das zu zerstören, was nach seinem ohnehin vernichtenden späten Geständnis von seiner Integrität überhaupt noch übrig ist.

Natürlich muss Gil Ofarim sich das von Alexander Stevens Gesagte weder automatisch zurechnen lassen noch hat er es sich – soweit ersichtlich – bislang zu eigen gemacht. Und Stevens war – jedenfalls in seinem Instagram-Post – so klug genug zu sagen, dass seine prozessualen Erinnerungen „ganz unabhängig von @gilofarim“ gelten. 

Das ergibt keinen Sinn

Warum aber hat er das Gesagte dann überhaupt so unmittelbar nach dem Geständnis und der Entschuldigung erwähnt? Das ergibt keinen Sinn. Der Grund liegt auf der Hand: Der Richter hat anlässlich der Rechtfertigung seines Beschlusses gesagt: „Ein Urteil ist anfechtbar, eine Entschuldigung ist es nicht“. 

Wirklich? Steckt in dem klaren Hinweis, dass die Unschuldsvermutung weiterhin gelte, nicht eine klare Abkehr von eingeräumter Schuld? Steht ein Geständnis – gerade in einem solchen Fall – vermuteter Unschuld nicht entgegen? Und wie verträgt sich die Glaubhaftigkeit des Geständnisses mit dem sogleich nachgeschobenen Hinweis, dass die „Angst vor einer ungerechtfertigten Verurteilung“ ein „gewichtiger Anreiz für ein prozesstaktisches Geständnis“ sein kann?

Formal gesehen, hat Stevens natürlich Recht: Eine Einstellung nach Paragraf 153a StPO mit einer Geldauflage beinhaltet keine Schuldfeststellung. Und natürlich gibt es auch prozesstaktische Geständnisse. Kein Angeklagter hat die Pflicht, an das Wohl anderer zu denken, auch nicht an mutmaßliche Opfer oder was sein Verhalten zum Beispiel für den Kampf gegen Antisemitismus zukünftig bedeuten könnte. Es ist das gute Recht eines jeden Angeklagten, auch von Gil Ofarim, ein taktisches Geständnis abzulegen, die Einstellung „mitzunehmen“ und anschließend über einen Verteidiger die Unschuldsvermutung zu betonen. 

Eine mutmaßlich wertlose Entschuldigung

So etwas vermag auch im vorliegenden Verfahren an dem Einstellungsbeschluss nichts mehr zu ändern, selbst wenn Gericht und Staatsanwaltschaft ihn nach der Lektüre von Stevens Relativierung bereuen sollten. Geständnis und Entschuldigung sowie der Einstellungsbeschluss sind rechtlich wirksam. Jenseits des Strafprozesses wären sie aber wertlos und würden den der Öffentlichkeit mitgeteilten Glauben des Gerichts, nun seien alle Gewinner, schlagartig zunichtemachen. Denn ein prozesstaktisches Geständnis, abgegeben aus Angst vor einer ungerechtfertigten Verurteilung, würde den Hotelmitarbeiter bemakelt zurücklassen, weil gerade nicht der Verdacht beseitigt wäre, seinerseits ein Lügner zu sein – und mit einem unterstellten Motiv gegebenenfalls sogar ein Antisemit. 
 

Das könnte Sie auch interessieren:


Sein „guter Ruf“ wäre nach dem vergifteten Hinweis der Verteidigung gerade nicht wieder hergestellt. Sollte Gil Ofarim den Hotelmanager zu Unrecht bezichtigt haben, was trotz des „Geständnisses“ und der „Entschuldigung“ wegen des Hinweises der Verteidigung jedenfalls allein auf Basis des „Geständnisses“ nun alles andere als klar ist, muss Gil Ofarim es, von einer menschlichen Seite her betrachtet, mit sich selber ausmachen, wie er damit klarkommt. Ein weiteres Mal hätte er den Hotelmitarbeiter als Vehikel für seine Interessen benutzt: Zuerst mit dem viral gegangenen Video, um seine womöglich gespielte Empörtheit zu zelebrieren, und jetzt durch seine mutmaßlich wertlose Entschuldigung, um in den Genuss einer Einstellung zu gelangen. 

Gil Ofarim bringt der Post von Alexander Stevens plötzlich ohne Not in eine mehr als missliche Lage, weil zu erwarten ist, dass ihm dazu alsbald Fragen gestellt werden. Müsste Gil Ofarim nicht jetzt erklären, dass sein Geständnis doch echt und nicht allein prozesstaktischer Natur war, um überhaupt noch ernstgenommen zu werden für den ihm vom Richter gewünschten „Neustart“? Ließe er solche Fragen unbeantwortet, wäre sein Neustart gescheitert, noch bevor er die Chance bekam, mit Leben gefüllt zu werden.

Die Schwere der Schuld

Der eigentliche Skandal liegt aber woanders, nämlich in der Zustimmung von Staatsanwaltschaft und Gericht zu einer Einstellung des Verfahrens nach Paragraf 153a StPO mit Zahlung der Geldauflage von 10.000 Euro. Gericht und Staatsanwaltschaft haben dabei gleichermaßen als rechtsstaatliche Kontrollinstanzen versagt. Nicht die lächerliche Höhe der Geldauflage ist das Problem, sondern die Einstellung des Verfahrens als solche.

Denn dafür liegen die Voraussetzungen nicht vor. Wenn der Tatvorwurf sich nicht beweisen lässt, ist Gil Ofarim freizusprechen. Wenn nach dem Stand der bisherigen Beweisaufnahme aber kein Freispruch im Raum steht, vielmehr die Verurteilungswahrscheinlichkeit fortbesteht, was Paragraf 153a StPO voraussetzt und was das Gericht bei seiner Erläuterung am letzten Hauptverhandlungstag auch deutlich zu erkennen gegeben hat, dann stehen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung und die Schwere der Schuld einer Einstellung in diesem konkreten Fall klar entgegen. 

Zunächst ist daran zu erinnern, dass für solche Vorwürfe normalerweise das Amtsgericht zuständig ist. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Anklage ausnahmsweise an das Landgericht gerichtet unter Berufung auf Paragraf 24 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes mit dem Hinweis auf die „besondere Bedeutung des Falles“. Das steht der Beseitigung des öffentlichen Interesses zwar nicht per se entgegen, erhöht aber zweifellos die Bedingungen, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung für beseitigt zu erklären. Und auch der Hinweis darauf, dass es primär darum gegangen sei, zuverlässig festzustellen, was wirklich geschehen sei, verfängt nicht. Denn das hätte genauso gut mit einer auf einem Geständnis basierenden Verständigung und einem die Schuld feststellenden Urteil erreicht werden können. 

Ein Desaster für Juden

Es ist nicht nachvollziehbar, wie das Gericht angesichts der Gesamtumstände zu der Auffassung kommen konnte, dass die Verhängung einer Kriminalstrafe allenfalls untergeordnete Bedeutung hat. Denn für die Strafbemessung ist besonders relevant die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat. 

Und diese sind immens: für den Hotelmanager, der als Antisemit gebrandmarkt und über die Landesgrenzen hinaus zur Hassfigur ausgerufen wurde, für das Hotel, das monatelang in den Schlagzeilen war, für die Mitarbeiter, die mit dem Hotel und dem Vorfall in Verbindung gebracht wurden, für den Ruf Deutschlands in der Welt, das mit einem besonders einprägsamen Fall von Antisemitismus in Verbindung gebracht wurde und weiterhin wird, weil sich das „Geständnis“ medial nicht gleichermaßen kraftvoll verbreiten wird wie der wohl erfundene Vorfall. 

Auch nicht zu vergessen: Für den Kampf gegen Antisemitismus und vor allem auch für Juden in Deutschland ist die Erfindung einer antisemitischen Straftat, unter Berücksichtigung der Wucht der medialen Verbreitung der Nachricht, ein Desaster. Denn nicht nur Juden werden es angesichts der eingeräumten Falschbezichtigung in Zukunft deutlich schwerer haben, dass der Schilderung antisemitischer Vorfälle, vor allem, wenn Aussage gegen Aussage steht, Glauben geschenkt wird. Und nicht zuletzt wird die lächerlich milde Entscheidung andere Verleumder nicht abschrecken, Unschuldige falschen Vorwürfen auszusetzen. 

Garanten des Rechtsstaats

Gericht und Staatsanwaltschaft hätten das alles berücksichtigen müssen. Das ist offensichtlich nicht geschehen, sonst hätte es niemals zu einer Verfahrenseinstellung kommen dürfen. In diesem Fall haben die Garanten des Rechtsstaats versagt, was nachträglich Bestätigung findet durch die relativierenden Erklärungen des Verteidigers, nachdem die Einstellung „in trockenen Tüchern“ war.

Aber damit nicht genug: Die Einstellung geht nicht nur rechtlich zu Lasten der Gerechtigkeit und des Rechtsstaats, sondern auch finanziell auf seine Kosten. Zwar würde der Angeklagte bei einer Einstellung nach Paragraf 153a StPO eigene Auslagen, etwa die Kosten für seine Anwälte, selber zu tragen haben, jedoch fallen die Verfahrenskosten bei einer Einstellung des Verfahrens nach dem Gesetz der Staatskasse zu. Bei sechs Hauptverhandlungstagen mit zahlreichen Zeugen und einer umfassenden Sachverständigentätigkeit dürfte einiges zusammengekommen sein. Diese Kosten trägt trotz des Geständnisses nun die Allgemeinheit. Warum eigentlich? 

Denkbar wäre etwa gewesen, als eine Art Kompensation, die Möglichkeit in Paragraf 153a StPO zu nutzen, als zusätzliche Auflage die Zahlung eines Geldbetrags an die Staatskasse zu beschließen. Das scheint den Leipziger Richtern nicht in den Sinn gekommen zu sein. Auch das hinterlässt den Eindruck, dass es sich eher um eine Entscheidung im Namen der Bequemlichkeit handelt, nicht aber um eine im Namen des Volkes.

Anzeige