„Unsere Mütter, unsere Väter“ - Der Kampf der Polen um historische Anerkennung

Die ZDF-Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ beschäftigt seit Jahren die polnischen Gerichte. Dahinter lässt sich nicht nur eine nationalkonservative Geschichtspolitik vermuten. Es ist auch eine in Polen weitverbreitete Sorge vor einer Umschreibung der Geschichte.

Die Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ löst in Polen immer noch heftige Reaktionen aus / dpa
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Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Ohne Frage, die Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ war für das ZDF ein großer Erfolg. Der Dreiteiler, in dem die Geschichte der fünf Freunde Charlotte, Wilhelm, Friedhelm, Greta und Viktor während des Zweiten Weltkriegs erzählt wird, erreichte bei seiner Erstausstrahlung im März 2013 zum Teil Einschaltquoten von über sieben Millionen Zuschauern. Für die Hauptdarsteller und Macher des Films gab es nationale und internationale Preise wie den „International Emmy Award“. Und auch kommerziell erwies sich „Unsere Mütter, unsere Väter“ als Erfolg. Das ZDF verkaufte seine Produktion in über 80 Länder, was bei deutschen Serien eher ungewöhnlich ist.

Doch all dies ist mittlerweile acht Jahre her. Und vielleicht wäre die Serie auch schon ziemlich in Vergessenheit geraten, wenn „Unsere Mütter, unsere Väter“ nicht noch heute regelmäßig in Polen so heftige Reaktionen auslösen würde, dass diese sogar im Ausland für Schlagzeilen sorgen. Zuletzt in der vergangenen Woche: Ein Berufungsgericht in Krakau verurteilte das ZDF und die Produktionsfirma UFA Fiction zu einer Entschuldigung, die im polnischen Fernsehen sowie dem ZDF, ZDFneo und 3sat veröffentlicht werden soll.

Ende in Aussicht? 

Das aktuelle Urteil ist der bisher letzte Höhepunkt eines seit 2016 andauernden Rechtsstreits, den der mittlerweile 96-jährige Auschwitz-Überlebende und ehemalige Soldat der Heimatarmee Zbigniew Radłowski zusammen mit einem Veteranenverband der Heimatarmee gegen das ZDF und UFA Fiction angestrengt hatte. Bereits 2018 verurteilte ein Gericht in Krakau das ZDF und die UFA Fiction zu einer Entschuldigung und einem Schmerzensgeld von rund 5.000 Euro. Ein Urteil, gegen welches das ZDF Berufung eingelegt hat, das nun zu dieser Entscheidung führte.

Ob damit der seit nun fast fünf Jahren andauernde Zivilprozess endet, ist jedoch fraglich. „Sobald das Urteil schriftlich vorliegt, wird das ZDF die Begründung prüfen und Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen“, heißt es in einer Stellungnahme des in Mainz beheimateten öffentlich-rechtlichen Senders, in welcher dieser sich auch auf die „künstlerische Freiheit“ beruft, gleichzeitig aber darauf hinweist, dass „an der Buchentwicklung für den historischen Mehrteiler namhafte Fachhistoriker beteiligt waren.“

Der Rechtsstreit beginnt 

Auslöser für den Rechtsstreit ist die Darstellung der polnischen Heimatarmee, einer der polnischen Exil-Regierung in London unterstellten Untergrundarmee während des Zweiten Weltkriegs, in der dreiteiligen Serie. Der deutsche Jude Viktor, eine der Hauptfiguren der Serie, findet bei einer Gruppe der Heimatarmee zwar Schutz, kann aber nur deshalb in dieser überleben, weil er seine jüdische Herkunft verschweigt. Als die Widerstandskämpfer einen deutschen Transportzug überfallen, in dessen Waggons sie auch Juden finden, reagieren die polnischen Partisanen offen antisemitisch.

In Polen, wo die Serie im Juni 2013 unter dem Titel „Nasze Matki, Nasze Ojcowie“ im öffentlich-rechtlichen Sender TVP ausgestrahlt wurde, lösten diese Szenen Empörung aus. Selbst die Staatsanwaltschaft wurde damals eingeschaltet, lehnte aber nach Prüfung des Sachverhalts aber ein Ermittlungsverfahren ab. 

„Polnische Konzentrationslager“

Es wäre jedoch zu einfach, diese Empörung nur auf die Geschichtspolitik der polnischen Nationalkonservativen zurückzuführen, die jegliche kritische Auseinandersetzung mit der eigenen polnischen Geschichte als eine „Pädagogik der Scham“ diskreditieren. Es ist schlicht eine Tatsache, dass in Deutschland und im Ausland generell das Leid der Polen während der deutschen Besatzung relativ unbekannt ist.

Auch das Wissen über den Widerstand der Polen gegen die Nazis ist nicht weitverbreitet. Dass Polen sowohl an den Fronten im Westen als auch im Osten gegen das Dritte Reich gekämpft hat, ist schlicht den wenigsten bekannt. Stattdessen mussten die Polen beobachten, wie in den letzten Jahrzehnten in immer mehr ausländischen Medien, auch in deutschen, von Auschwitz oder Treblinka als „polnischen Konzentrationslagern“ die Rede war. 

Ein dummer und irreführender Begriff, der von Journalisten oder gar Politikern wie Barack Obama unüberlegt verwendet wurde und wird. In Polen jedoch, egal ob von Liberalen, Linken oder Konservativen, meistens als Umschreibung der Geschichte aufgenommen wird. Und dass diese Sorge manchmal Bestätigung findet, zeigt ein aktueller Artikel im „The New Yorker“.

Der Text befasst sich zwar mit dem Zivilprozess gegen die beiden Holocaust-Forscher Jan Grabowski und Barbara Engelking, der weltweit für Schlagzeilen sorgte, macht die Polen aber in einer Unterüberschrift für den Mord an drei Millionen Juden verantwortlich. Was der historischen Wahrheit nicht entspricht.

Ruf nach juristischen Schritten 

Nicht verwunderlich, dass dieser Text an diesem Wochenende eines der Hauptthemen in Polen war. Neben Empörung gab es auch laute Rufe nach juristischen Schritten. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass solche Prozesse wie gegen das ZDF nun zunehmen könnten.

Seit 2017 streitet ein polnischer Überlebender des Konzentrationslagers Treblinka mit dem Mittelbayerischen Verlag um einen Schadenersatz. In einer Publikation des Verlages wurde Treblinka irrtümlich als „polnisches Konzentrationslager“ bezeichnet. Am vergangenen Dienstag, stellte ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs fest, dass solche Klagen an polnischen Gerichten zulässig sind. 

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