Ukraine-Krieg bei Maischberger - „Putin gehört in die Ecke gedrängt“

Am Wochenende gingen die Bilder der Gräueltaten in Butscha um die Welt. Waren etwa die Forderungen nach einem Öl- und Gasembargo gegen Russland davor schon laut, sind sie seitdem noch lauter. Aber wo liegen Sinn und Unsinn einer solchen Maßnahme? Bei „Maischberger. Die Woche“ diskutierten darüber unter anderem die FDP-Sicherheitspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Linken-Politiker Gregor Gysi. Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, war zu Gast. Er warf der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht vor, zu lügen.

FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Linke-Politiker Gregor Gysi bei „Maischberger. Die Woche“ / Screenshot
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

Russland bleibt dabei: Wenn es nach Außenminister Sergej Lawrow geht, sind die Gräueltaten in Butscha eine Inszenierung der Ukrainer. Am Wochenende gingen entsprechende Bilder aus dem Kiewer Vorort um die Welt: hingerichtete Menschen am Wegesrand, manchen waren die Hände gefesselt. Die Ukrainer sind überzeugt, dass es sich um ein russisches Massaker an der Zivilbevölkerung handelt. Lawrow aber nennt die Bilder laut der Nachrichtenagentur Tass einen „erfundenen Angriff“ – und warf der Ukraine und den westlichen Ländern vor, die Bilder über die sozialen Medien verbreitet zu haben, um Russland zu diskreditieren.

Es gibt, gelinde gesagt, berechtigte Zweifel an der russischen Version dieser Geschichte. Alles, wirklich alles spricht dafür, dass die Täter Teil der russischen Invasion waren. Gleichwohl geht vieles durcheinander bei der Diskussion über die Geschehnisse. Manch einer fühlt sich bereits provoziert durch den Begriff „mutmaßlich“, wie er von Medien etwa in Zusammenhang mit dem Begriff „Kriegsverbrechen“ genutzt wurde. Dabei gehört das zum journalistischen Standard. Und selbstverständlich lässt sich schwer, aus der Ferne gleich gar nicht, beurteilen, inwieweit die russische Führung im Bilde war über die Gräueltaten. Wurden sie gar von oben angeordnet, um die Eskalation auf die nächste Stufe zu treiben? Oder sind eine handvoll Kämpfer für die russischen Sache einfach nur durchgedreht? Dazwischen gibt es viele mögliche Varianten.
 

Aktuelle Beiträge zum Ukraine-Krieg:

Waren jedenfalls die Rufe gegen weitergehende Sanktionen und Aktionen nicht nur gegen den Kriegstreiber im Kreml, sondern auch gegen Russland als Nation vor Butscha schon laut, sind sie nun, nach Butscha, noch einmal lauter geworden. Während bei der Welt einmal mehr ein Nato-Eingriff gefordert wird, halten andere etwa die Schließung des Luftraums über der Ukraine genauso für geboten wie, von heute auf morgen auf russisches Öl und Gas zu verzichten. Auch darüber diskutierten am Mittwochabend die FDP-Sicherheitspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und der Linken-Politiker Gregor Gysi bei „Maischberger. Die Woche“. Dazu gleich mehr, denn zunächst war der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, zu Gast bei Sandra Maischberger.

Unbequem, laut, auch beleidigend

Seit sieben Jahren ist Melnyk mittlerweile der diplomatische Vertreter der Ukraine in der Bundesrepublik. Melnyk ist ein schwieriger Typ. Er ist unbequem, laut und nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bisweilen auch beleidigend, schimpft sich durch TV-Sendungen und die sozialen Medien, ätzt gegen Politiker und Journalisten, die aus seiner Sicht zu pazifistisch argumentieren. Unterstützung bekommt er dabei stets von einer großen Schar Follower, die längst an Ultra-Gruppierungen im Fußball erinnern und von denen der eine oder andere, wenn’s die Situation hergibt, auch zum Hooligan mutieren kann; verbal jedenfalls.

Wie man das einzuordnen hat, darüber ließe sich lange streiten: Sein Heimatland wird angegriffen, Menschen sterben, da kann man ihm den rauen Ton nicht verdenken, sagen die einen und feiern Melnyk als lauten und mutigen Streiter für die gerechte ukrainische Sache. Andere stören sich daran, dass Melnyk in Benimmfragen quasi Narrenfreiheit genießt und keinerlei Interesse an irgendwelchen Perspektiven auf den Ukraine-Krieg hat, die der eigenen widersprechen. Wie all das zu bewerten ist, da soll sich jeder, liebe Leserinnen und Leser, bitte selbst sein Urteil bilden. Und auch zu folgendem Satz, den Melnyk am Mittwochabend zu Maischberger sagte: „Herr Putin hat diesen Krieg bereits am ersten Kriegstag verloren.“

Ein Rufer in der deutschen Wüste

Ein bisschen überraschend war gleichwohl, dass Melnyk bisweilen eher sanfte Töne anschlug. „Eine gute Geste“ nannte er etwa, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jüngst Fehler bei der deutschen Russlandpolitik eingeräumt hat, auch eigene Fehler wohlgemerkt. Allein mit Worten, so Melnyk, seien diese Fehler allerdings nicht zu korrigieren. Man brauche Waffen, um Putin zu zeigen, dass es in der Ukraine nichts mehr zu holen gebe. Sich selbst nennt Melnyik, was die Kritik an seinem oft harschen Auftreten angeht, einen „Rufer in der deutschen Wüste“, ein „Instrument“ für die Ukraine.

Mit Blick auf Butscha spricht Melnyk nicht von einer Ausnahme, sondern von „System“. „Man kann leider fürchten, dass dort auch ähnliche Massaker und Gräueltaten geschehen sind“, sagte er etwa über von den russischen Truppen besetzte Gebiete, zu denen unabhängige Journalisten derzeit keinen Zutritt haben. Die Ukraine werde Beweise sammeln für russische Kriegsverbrechen, bekräftigte Melnyk erneut, nachdem es ähnliche Ankündigungen bereits aus Kiew gegeben hat. Er spricht von Morden an der ukrainischen Zivilbevölkerung, auch an Kindern, von Vergewaltigungen und von Folter durch Teile der russischen Truppen.

Für besonders viel Aufmerksamkeit nach der Sendung dürfte Melnyks Vorwurf sorgen, die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) würde im Prinzip lügen, was die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine angeht. Schon länger wundern sich nicht nur Journalisten, dass die Bundesregierung den Mantel des Schweigens über Waffenlieferungen an die Ukraine legt. Angeblich aus taktischen Gründen. Stimmt es denn, dass, wie Lambrecht behauptet, auch die Ukraine aus taktischen Gründen nicht will, dass zu viel über die Waffenlieferungen durch Deutschland publik würde? Das wollte Maischberger wissen. „Nein, das stimmt nicht“, antwortete Melnyk. Und einmal mehr verfestigt sich beim Beobachter der Eindruck, dass die deutsche Verteidigungsministerin heillos überfordert ist mit ihrer Aufgabe. Nicht nur logistisch, sondern auch kommunikativ.

Mit Putin und der russischen Führung fertig

Im Anschluss diskutierten Strack-Zimmermann – die womöglich die bessere Verteidiungsministerin wäre, derzeit aber „nur“ Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist – und Gysi über die aktuelle Situation im Ukraine-Krieg. „Es gibt keinen harmlosen Krieg. Kriege haben eine häßliche Fratze, und die wird uns jetzt übermittelt“, kommentierte die FDP-Politikerin die Bilder aus Butscha, während Gysi vor einem Völkermord warnt und sagte: „Das weiß man vorher, dass, wenn Soldaten einmal anfangen zu töten und zu schießen, dass man das alles gar nicht mehr gebremst bekommt, selbst, wenn man es wollte.“ Gleichwohl plädiert Gysi dafür, weiterhin den Dialog mit Moskau zu suchen, obwohl er von sich selbst sagt, er habe „mit Putin und der russischen Führung völlig fertig“.

Auch die Forderungen nach einem sofortigen Stopp von Lieferungen von russischem Öl und Gas diskutierten die zwei Politiker. Strack-Zimmerman macht sich schon länger stark für ein sofortiges Embargo gegen Russland und sieht bei den Bildern aus Butscha einen Anlass für die Bundesrepublik, sich noch schneller unabhängig zu machen von russischen Ressourcen. „Hier entsteht Druck zum Handeln, das ist die gute Nachricht“, so die FDP-Politikerin. Gysi wiederum ist zwar für Sanktionen gegen Russland und russische Oligarchen, äußert aber Bedenken bei anderen Wirtschaftssanktionen, die laut Gysi vor allem die russische Bevölkerung treffen würden. „Wer kommt denn auf die Idee, dass es Putin so sehr beeindruckt, wenn es seine Bevölkerung trifft?“, fragte Gysi rhetorisch. Man müsse bei den Sanktionen aufpassen.

Außerdem zeigte sich der Linken-Politiker skeptisch, dass ein wie auch immer gearteter Ausgleich an den ärmeren Teil der deutschen Bevölkerung infolge von weitergehenden Maßnahmen gegen Russland wirklich ankomme, wenn dieses eine Drittel dann hierzulande besonders darunter zu leiden hätte. „Wir müssen die weiteren Konsequenzen immer mitdenken“, sagte Gysi dann übergreifend. Und weiter: „Wenn so ein autoritär denkender Mensch in die Enge getrieben wird, werden seine Entscheidungen auch nicht rationaler, sondern irrationaler.“ Es sei wichtig, dass man die Geschichte nicht verdrehe, erwiderte Strack-Zimmermann: „Der Verbrecher und Massenmörder ist Wladimir Putin und nicht die anderen. Und natürlich gehört der in die Ecke gedrängt.“

Maischberger grätscht rein

Was also tun? Im Prinzip sind sowohl Gysi als auch Strack-Zimmermann für Waffenlieferungen an die Ukraine. Gleichwohl möchte Gysi nicht, dass die Waffen aus Deutschland kommen. Dass dies widersprüchlich ist, liegt auf der Hand. Daher tat sich Gysi auch keinen Gefallen, als er versuchte, diesen Widerspruch mit Blick in die deutsche Historie und in die Geschichte seiner eigenen Familie sogar zu begründen. Das wirkte besonders für seine Verhältnisse ungewohnt schwammig und auch so, als würde sich Gysi in erster Linie herausreden wollen.

Maischberger merkte man derweil an, dass sie mit Strack-Zimmermann in der Debatte um den Ukraine-Krieg deutlich mehr Gemeinsamkeiten hat als mit dem Linken-Politiker. So grätschte die Moderatorin Gysi weit häufiger ins Wort als der FDP-Politikerin, während der sich punktuell um Kopf und Kragen lavierte. Maischberger störte sich besonders daran, dass Gysi die Diskussion permanent auf andere Schauplätze verlagerte. Ging es um Russlands Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat, verwies Gysi darauf, dass auch die USA ein solches gehabt habe bei Afghanistan. Oder er sprach plötzlich nicht mehr von der Ukraine, sondern von den Balkankriegen oder von Atomwaffen und dem Iran. In einer Sache stimmte Gysi gleichwohl dem ukrainischen Botschafter Melnyk noch zu: dass Putin mit dem ersten Tag des Krieges sein Ende eingeleitet habe.

Grundsätzlicher als Nine-Eleven

Vor und nach den Gesprächen mit Melnyk sowie Strack-Zimmermann und Gysi diskutierten noch der Moderator und Autor Ulrich Wickert, die außenpolitische Koordinatorin der Zeit Anna Sauerbrey und Gabor Steingart, Herausgeber von The Pioneer, die Lage in der Ukraine. Sauerbrey ist sicher, dass uns der Ukraine-Krieg noch eine Weile beschäftigen wird, auch, wenn er einmal vorübergeht. Steingart glaubt nicht, dass eine große Rezession auf weitergehende Sanktionen gegen Russland folgen würde. Und Wickert hält es für denkbar, dass der russische Überfall auf die Ukraine noch grundsätzlicher sein könnte für die künftige Weltpolitik als Nine-Eleven. Zumindest was Europa betrifft, könnte Wickert Recht behalten.

Denn freilich, so ähnlich formulierte es Wickert auch, könnte der Ukraine-Krieg ein guter Anlass sein für den Westen, einmal ganz grundsätzlich über das eigene Verhältnis zu autoritären Regimen zu reflektieren. Nicht vergessen sollte man dabei allerdings Folgendes, und auch das geht in vielen Diskussionen gerade häufig unter: Echte Demokratien sind weltweit eher die Ausnahme, Autokratien eher die Regel. Insofern stellt sich folgerichtig auch die Frage, wie beides gelingen kann: sich von der Weltgemeinschaft nicht zu isolieren, also weiter in einer globalisierten Welt zu leben, und trotzdem die eigenen Werte zu verteidigen, auch wenn die eher Exklusivcharakter haben. Aber das wäre wohl ein Thema für eine eigene Sendung – oder wahrscheinlich mehrere.

Anzeige