Ukraine-Krieg am Weltfrauentag - Wenn die Identitätsrepublik mit dem Ukraine-Krieg twittert

Während in der Ukraine der Krieg tobt, feiert man in Berlin den Internationalen Frauentag. Zwei unterschiedliche Ereignisse, zwei unterschiedliche Themen – möchte man meinen. Doch in den sozialen Medien wird fleißig das eine mit dem anderen verknüpft, was wenig zielführend ist – und auch ein bisschen pietätlos, weil der Ukraine-Krieg eigentlich nicht als Vehikel für feministische Identitätspolitik taugt.

Demonstration am Weltfrauentag 2021 in Berlin / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

Es ist mal wieder Weltfrauentag, in Berlin jedenfalls. Hier in Bayern sieht das anders aus: Bei uns im Süden wäre es ein stinknormaler Dienstag mit mittags sonnigen 5 Grad Celsius, wäre die Weltlage nicht, wie sie ist. Denn in der Ukraine herrscht bekanntlich Krieg, was derzeit auch maßgeblich den Arbeitsalltag unserer Redaktion bestimmt. Aber am Dienstag war eben auch Internationaler Frauentag und dieser auch bei Cicero Thema.

Weil dem so ist, habe ich am Morgen zwei Texte gelesen. Der eine ist von Hugo Müller-Vogg, der wunderbar pointiert über den Weltfrauentag schreibt. Der andere ist ein Interview mit dem ungarischen Präsidenten Viktor Orbán, der seine Perspektive auf den Ukraine-Krieg erläutert. Beide Texte darf ich Ihnen trotz der derzeitigen Weltlage reinen Gewissens und zwar gleichberechtigt ans Herz legen.

Denn es ist nun einmal so: Selbstredend dominiert der Ukraine-Krieg die Berichterstattung. Aber die Aufgabe einer Redaktion besteht auch darin, ein bisschen Abwechslung auf der Seite oder im Blatt zu haben. Der Rest der Welt steht eben nicht still, weil alle gebannt gen Ukraine blicken und sich fragen, welcher Teufel Putin eigentlich reitet. Und der Weltfrauentag und der Ukraine-Krieg sind, nüchtern betrachtet, eben zwei Ereignisse, zwei Themen, die sich unabhängig voneinander „bespielen“ lassen, wie es im Journalistenjargon heißt. Möchte man jedenfalls meinen; also das mit dem unabhängig voneinander.

Immer auf der Suche nach Anlässen

Wer glaubt, man könne das eine auch begehen, während das andere nicht vergessen wird, der hat die Rechnung an diesem Dienstag im März 2022 nämlich ohne die Identitätsrepublik Deutschland gemacht. Denn wie das in gewissen Kreisen halt so üblich ist, ist man dort stets auf der Suche nach Anlässen, über die breit berichtet wird, um die eigene Botschaft in die Öffentlichkeit zu tragen – also aufmerksamkeitsstarke Ereignisse als Plattform für die eigene Agenda zu nutzen. Das war schon während der Fußballeuropameisterschaft so, als die Republik laut und hitzig diskutierte, ob die Münchner Allianz Arena anlässlich des Spiels Deutschland gegen Ungarn in Regenbogenfarben leuchten sollte. Und es ist auch am Internationalen Frauentag 2022 mit dem Ukraine-Krieg so, der in den sozialen Medien fleißig für feministische Botschaften zum Weltfrauentag genutzt wird. Oder halt für das, was man in Deutschland unter Feminismus versteht.

„Am heutigen Weltfrauentag denke ich an die Frauen in der Ukraine und anderen Kriegs- und Krisengebieten weltweit, deren Freiheit durch autoritäre Herrscher und Kriegstreiber bedroht wird & an die mutigen Frauen, die trotz großer Gefahr und Repression auf die Straße gehen“, twitterte etwa Cem Özdemir, seit wenigen Monaten Landwirtschaftsminister der Bundesrepublik. Und von der FDP-Politikerin Maren Jasper-Winter hieß es: „Der Angriffskrieg Putins und die Russische Invasion in der Ukraine haben Millionen von Frauen innerhalb kürzester Zeit zur Flucht gezwungen.“

Auch die Freiheit von Männern ist bedroht

Nun ist mir bewusst, dass ich hier auf ganz dünnem Eis spaziere. Aber wenn Sie mich fragen, scheint mir der Ukraine-Krieg wirklich das denkbar schlechteste Vehikel für Identitätspolitik und entsprechende Botschaften zu sein. Ja, ich würde sogar sagen, dass derlei – also die Vermischung eines solchen Feiertags mit einem handfesten Krieg – pietätlos ist. Etwa deshalb, weil das Leid der Frauen und Männer in der Ukraine nicht einseitig pausiert, nur weil im rot-rot-grünen Berlin und in den sozialen Medien der Weltfrauentag weit oben auf der Agenda steht. Zum Beispiel bei den Grünen NRW: „Der Weltfrauentag findet 2022 im Schatten des Kriegs in der Ukraine statt. Oft sind es Frauen, die als erste in bewaffneten Konflikten leiden & ihre Rechte verlieren“, ist da zu lesen.

Wissen Sie, die Wahrheit ist: Auch die Freiheit von Männern – auch deren Leben, wie man in der Ukraine gerade tagtäglich beobachten muss – wird durch autoritäre Herrscher und Kriegstreiber bedroht, um es mit Cem Özdemir zu sagen. Und es ist weiter auch so, dass diese Vermischung des Ukraine-Kriegs mit dem Internationalen Frauentag in einem teilweise auch eher unangenehmen Dunstkreis geschieht, in dem sich berechtigte Anliegen von Frauen mit einem gewissen Kulturpessimismus und der ein oder anderen linksradikalen Umsturzfantasie mischen.

Auch eher unangenehm wird es zum Beispiel dann, wenn auf Twitter ein Statement von CDU-Politiker Norbert Röttgen zum Internationalen Frauentag und dem Ukraine-Krieg (in einem) neben einer Kachel des Deutschlandfunks steht, in der gefordert wird, den Weltfrauentag „Anti-Patriarchatstag“ zu nennen.

Oder dann, wenn sich ein Kollege der Frankfurter Allgemeine Zeitung beim Thema „feministische Außenpolitik“ – was auch immer das eigentlich sein soll – zu der Beobachtung hinreißen lässt, dass der Ukraine-Krieg jedenfalls nicht während der Ära Merkel ausgebrochen ist. Obwohl er wiederum wissen dürfte, dass etwa die Annexion der Krim sehr wohl in die Amtszeit der Bundeskanzlerin gefallen ist. Ebenso wie die Übernahme Afghanistans durch die Taliban. Und, nicht zu vergessen, sogar die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, was im linksidentitären Milieu bekanntlich als noch schlimmer empfunden wurde als die beiden erstgenannten Ereignisse. 

Aufmerksamkeitsökonomie im Netz

Ich glaube, wir wären gut beraten, im Sinne der „richtigen Haltung“ und der „richtigen Botschaft“ nicht immer alles in einen Topf zu werfen, nur, weil es sich gerade irgendwie anbietet. Und wenn, dann sollte man es wenigstens mit etwas mehr Sinn und Verstand tun. Zum Beispiel, indem man den Weltfrauentag nutzt, um an die Situation der Frauen in Afghanistan zu erinnern, weil die in der aktuellen Nachrichtenlage tatsächlich ziemlich untergeht. Oder indem man Spenden für die Opfer des Ukraine-Kriegs sammelt. Für alle, nicht nur für die eine Hälfte der Ukrainer hier und dort.

Das ist denn auch die gute Nachricht, wenn man so will: Es gibt wirklich genug Positivbeispiele in den sozialen Medien, die mir am Dienstag untergekommen sind, in denen Geopolitik und Frauenrechte klug verwoben werden oder immerhin derart, dass nicht der Eindruck entsteht, der Weltfrauentag führe dazu, dass das Mitgefühl mancher Nutzer für einen Tag zum Exklusiv-Paket für nur einen Teil der Ukrainer geschnürt wird. Das Problem dabei ist die Aufmerksamkeitsökonomie im Netz. Wo viel zu einem Thema gepostet und getwittert wird, gehen die wirklich zielführenden Inhalte leider häufig unter.

Anzeige