Zum Tod der Sängerin Milva - Bella ciao.

Am Freitag ist die Sängerin Milva in Mailand verstorben. In Deutschland wurde sie als Schlagersängerin wahrgenommen, in Italien war sie viel mehr als das.

Die italienische Sängerin, hier beim Musikantenstadl 2012, verstarb am Freitag mit 81 Jahren / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Freiheit in meiner Sprache heißt Libertà. Gibt es ein schön’res Wort als Libertà?“, sang Milva 1979 und eroberte damit endgültig ihr deutsches Publikum. Was kaum einer weiß: Die Melodie stammt von keinem geringeren als Ennio Morricone. In Worte gefasst und gesungen hatte den Song ursprünglich Sergio Endrigo. Bei dem italienischen Chansonnier klang der Text noch deutlich kämpferischer („Quello che domandiamo è libertà!“/„Was wir fordern ist Freiheit“). Doch die etwas naiven Zeilen von Thomas Woitkewitsch und das süßliche Arrangement trafen den Nerv der Zeit – wie man so sagt.

Das Lebensgefühl in Westeuropa in den 70er und 80er Jahren war Milvas großes Thema. In ihren Texten ging es um Emanzipation, um Unabhängigkeit, um Befreiung und innere Stärke. Doch eben nicht nur. Milva, das wird in Deutschland gerne übersehen, war auch immer eine immanent politische Sängerin. Ihr italienischer Beiname „La Rossa“ bezog sich eben nicht nur auf ihre Haarfarbe. Zeit ihres Lebens sah sie sich als Sozialistin. In Italien wurde sie in den 60er Jahren mit dem alten Partisanenstück „Bella Ciao“ bekannt. Sie sang zahlreiche Arbeiterlieder ein, zudem Songs von Hanns Eisler, von Berthold Brecht und Kurt Weill. 2006 bekam sie dafür das Bundesverdienstkreuz von Horst Köhler.

Milva trifft den Nerv der Zeit

In Deutschland wurde Milva jedoch vor allem als Schlagersängerin wahrgenommen. Als Verkörperung jenes Typus Frau, der bei einigen Männern nördlich der Alpen als „rassig“ gilt und mit Schmalz und Pathos von Sehnsucht, Liebe und Leidenschaft singt. Dazu trug bei, dass Milva sich nahtlos in die Reihe jener ausländischen Sänger einreihte, die dem deutschen Nachkriegspublikum auf das heimische Sofa einen Hauch von Exotik, südländischem Flair und Urlaubsgefühl zauberte. Man denke an Salvatore Adamo, Nana Mouskouri oder Mireille Mathieu.

Milva war autark genug, sich nie von diesem Bild zu distanzieren, sondern mit ihm zu spielen. Mit großer Souveränität und ohne jede Ironie gab sie als Dauergast der großen Samstagabendshows im deutschen Fernsehen das Bild der italienischen Diva, kühl und heißblütig, distanziert und leidenschaftlich. Gestört hat sie dieses Klischee offensichtlich nie. Im Gegenteil. Dafür war sie zu sehr Profi, aber auch zu selbstbewusst. Sie wusste, was ihr Publikum in Germania erwartete.

Sinnlich und leidenschaftlich

Zusammen mit Texter Woitkewitsch bediente sie die Sehnsüchte und Wünsche einer ganzen Generation. Wenn sie von der idealen Beziehung sang („Du zeigst mir immer, dass es möglich ist, ganz Frau und trotzdem frei zu sein“), von Beziehungsproblemen („Niemals verlorst du die Kontrolle und ich spielte meine Rolle, bis ich bemerkte, dass die Rolle mir nicht lag“) und von weiblicher Selbstbehauptung („Ich hab’ keine Angst, ich weiß mich zu wehren, ich lass' mir mein Ich nicht so leicht versehren“), dann sprach sie ihren weiblicher Fans aus dem Herzen und bot sich als übergroßes Ich-Ideal an – stark und autonom, aber eben auch sinnlich und leidenschaftlich und ohne allzu aufdringliche feministische Untertöne.

Damit konnte man sich kollektiv identifizieren, von Itzehoe bis Traunstein. Wie populär die italienische Sängerin zeitweise in Deutschland war, zeigt sich auch daran, dass die Milva-Kassette im elterlichen Auto zum kollektiven Gedächtnis der Generation-Golf avancierte. Dabei vergisst man leicht, dass Milva kein rein deutsches Phänomen war.

Lange bevor sie hierzulande Erfolge feierte, war sie in ihrer Heimat ein Star. Später auch in Frankreich, Spanien, England und Japan. Sie gab Konzerte an der Mailänder Scala, der Pariser Oper, in der Royal Albert Hall und an der Deutschen Oper Berlin. 2010 veröffentlichte die Chansonnière ihre letzte LP. Gleichzeitig zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. „Ich habe mein Metier würdevoll und wohl auch gut gemacht“, schrieb sie nicht ohne Selbstbewusstsein zum Abschied auf ihrer Internetseite. Zu Recht.

Am vergangenen Freitag ist Milva, die große und vielseitige Künstlerin, in Mailand verstorben.

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