Streit um Verbrenner-Aus - „Konstruktive europäische Politik sieht anders aus“

Geht es nach der Europäischen Union, sollen ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Im Interview fordert der Unions-Europapolitiker Jens Gieseke mehr Technologieoffenheit und diagnostiziert einen Grabenkampf zwischen den Grünen und der FDP.

Werkshalle des Stuttgarter Autoherstellers Mercedes-Benz / dpa
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Jens Gieseke sitzt seit 2014 im EU-Parlament und ist Teil der EVP-Fraktion. Zudem ist er Verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament.

Herr Gieseke, im Februar haben Sie gesagt, es müsse ein Wunder geschehen, dass das Verbrenner-Aus noch kippt. Ist das Wunder jetzt eingetreten?

Das Wunder ist noch nicht eingetreten, aber es ist zumindest eine Verschiebung der wichtigen Abstimmung. Das kann man schon mal festhalten. Aber ob tatsächlich eine Veränderung in der Substanz eintritt, ist zum heutigen Zeitpunkt noch sehr fraglich.

Die Verhandlungen waren bereits abgeschlossen, das EU-Parlament hatte zugestimmt: Ab dem Jahr 2035 sollten keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Nun könnte es an den EU-Mitgliedsstaaten überraschend scheitern. Wie kann das sein?

Es war eigentlich reine Formsache. Aber dann hat sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing sehr spät entschieden, eine Vollbremsung hinzulegen. Das hat alle Beteiligten sehr überrascht. Denn im vorangegangenen Entscheidungsprozess hatte sich Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen in Brüssel durchgesetzt. Sie hat deutlich gemacht, dass Deutschland bei einem Verbot von Verbrennungsmotoren an Bord sei, wohlwissend, dass die FDP eine andere Position hat. Jetzt tritt dieser Streit innerhalb der Bundesregierung offen zu Tage.

Wie waren die Reaktionen in Brüssel, als FDP-Verkehrsminister Volker Wissing im letzten Moment auf die Bremse gedrückt hat?

Sie können sich vorstellen, dass die Beteiligten mehr als überrascht waren. Ich denke, die Kommission war der Auffassung, dass eine Einigung erzielt worden sei und es nur noch Formsache ist. Doch jetzt wird nochmal versucht, an die Substanz zu gehen. Das ist der Casus Knacksus: Wenn man Dinge verändern will, muss man an die Texte ran und müsste auch wieder die Gesetzgebung aufmachen. Das ist das, was Wissing möchte.

Die Frage ist: Was passiert, wenn die Kommission jetzt mit irgendeinem Kompromiss kommt, nach dem Motto „Wir sorgen dafür, dass der Bundesverkehrsminister hier gesichtswahrend aus der Veranstaltung rauskommt“? Dann hätte Wissing sein Ziel, das Verbrenner-Aus zu verhindern, nicht erreicht. Und von daher stellt sich die Frage, ob es nicht nur eine Luftnummer ist. Ist das wirklich ernstgemeinte Politik?

Wir, die EVP-Fraktion, haben uns immer für Technologieoffenheit eingesetzt. Von daher würde ich es begrüßen, wenn der Verkehrsminister hier hart bleiben würde. Aber das setzt auch voraus, dass wir nochmal an den Gesetzestext rangehen. Dann reden wir über einen Prozess, der möglicherweise wieder mindestens ein Jahr dauern wird.

In der Vergangenheit meinten sie, dass es Herrn Wissing mehr um die Inszenierung, als um Politik gehen würde.

So war es auch bislang: Im letzten Jahr hatten wir zum Beispiel schon einmal einen Streit zwischen Steffi Lemke und Volker Wissing. Am Ende wurde eine unverbindliche Erwägung in den Text hineinverhandelt, dass man eine Initiative außerhalb der Regulierung starten könnte. Dafür hat sich der Verkehrsminister gefeiert. Insofern war es damals reine Inszenierung. Aber ich glaube nicht, dass man es sich politisch leisten kann, mehrmals Schattenboxen durchzuführen. Die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit ist klar: Die Liberalen müssen jetzt liefern.

Wie wirkt sich der Streit auf das Ansehen Deutschlands innerhalb der EU aus?

Konstruktive europäische Politik sieht auf jeden Fall anders aus. Sie müssen kein Experte im Europarecht sein, um zu erkennen, dass Deutschland sehr viel Vertrauen dadurch verspielt. Wenn Sie in letzter Sekunde, nach 18 Monaten Verhandlungen, plötzlich von Ihrer Position abrücken, dann schadet das enorm.
 

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Dass monatelang verhandelt wird, eine Einigung gefunden wird, das Parlament abstimmt und dennoch keine Änderung in Kraft tritt, ist für Bürger nur schwer nachvollziehbar.

Das stimmt. Ich persönlich kann das sehr gut nachvollziehen, weil ich wusste, dass es diesen Streit in der Bundesregierung gibt und im Grunde versucht wird, die FDP-Position unter den Teppich zu kehren. Bürgern, die nicht tagtäglich mit der EU-Politik zu tun haben, ist das politische Schauspiel nur schwer zu vermitteln. In letzter Sekunde eine Rolle rückwärts zu machen und das Gegenteil zu fordern, schadet insgesamt dem Vertrauen in die Politik.

Bei der Klausurtagung der Ampelkoalition soll das mögliche Verbrenner-Aus nur am Rande thematisiert worden sein

Das zeigt, wie in Berlin die Prozesse in Brüssel unterschätzt werden. Hier in Brüssel erwartet man, dass die Bundesregierung sich zügig positioniert und klar macht, was Deutschland will. Bisher ist nur eine Blockadehaltung zu erkennen. Auch der Verkehrsminister hat nicht gesagt, wie es jetzt laufen soll.

Gegner des Verbrenner-Aus:
CDU-Abgeordneter Gieseke / dpa

Was braucht es jetzt, damit die Koalitionäre der Bundesregierung eine Einigung erzielen?

Die FDP und die Grünen befinden sich im Grabenkampf und kommen nicht mehr heraus. Beide beharren auf ihren Positionen. Jetzt muss der Kanzler handeln. Denn dieser ist bisher nur durch Nichtstun aufgefallen. Olaf Scholz wird das nicht durchhalten können, wenn wir in Brüssel als zuverlässiger Partner wahrgenommen werden wollen. Diese herbeigeführte Pattsituation, das sogenannte „german vote“ ist nichts, was uns auszeichnen sollte.

Ist die Blockade nur von den Deutschen verschuldet? Auch andere EU-Mitgliedsstaaten stehen der geplanten Gesetzesänderung kritisch gegenüber.

Sicher, das ist keine reine deutsche Position. Die Abstimmung im Ministerrat wurde verschoben, weil Deutschland, Bulgarien, Italien und Polen sich enthalten oder dagegen gestimmt hätten. Weitere Länder wie Tschechien, die Slowakei, Ungarn oder Rumänien sehen das Verbrenner-Aus sehr kritisch. Von daher hat es sich die Kommission auch zu leicht gemacht.

Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Die verschiedenen Entwürfe liegen auf dem Tisch. Im Gesetzgebungsverfahren haben wir immer wieder Vorschläge gemacht, wofür es keine parlamentarische Mehrheit gegeben hat. Unserer Ansicht nach, muss die Reise Richtung Technologieoffenheit und Anrechnung von synthetischen Kraftstoffen gehen. Es ist jetzt aber an der Kommission, einen vernünftigen Kompromiss vorzulegen, der mehrheitsfähig ist.

Jetzt wird sich zeigen, ob das Problem außerhalb des politischen Spielfelds entschieden wird, zum Beispiel mit einer unverbindlichen Selbstverpflichtungserklärung. Oder nehmen wir uns wirklich der Sache an und starten die Verhandlungen neu. Im Grunde könnten wir die Vorschläge, die schon jetzt auf dem Tisch liegen, zügig bearbeiten. Bisher fehlt es aber bei der Kommission an politischem Willen.

Das Gespräch führte Carl Exner. 

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