Steigende Kosten und Preise, fehlende Arbeitskräfte - Gastronomie in der Krise

Unser Genusskolumnist hat einige schöne, erholsame Tage sowohl an der Nordsee als auch im schwäbischen Ländle verbracht. Dabei hat er auch den dramatischen Arbeitskräftemangel in der Gastronomie hautnah erlebt. Ein einfache Lösung für dieses Problem sieht er allerdings nicht.

Dringend Gesucht: Kellner für die Gastronomie / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Mitte Juni ergab es sich, dass ich vom Urlaub auf einer Nordseeinsel schnurstracks zu einer Arbeitsreise ins schwäbische Ländle fuhr. Viel größer können Kontraste innerhalb Deutschlands wohl kaum sein. Erst Sand, Wellen und Gezeiten, dann ausgedehnte Wälder, Felder und Weinberge. Erst frische Krabben, Seezunge und Queller; dann Nierchen, Kalbsbäckchen und frische Salate der Saison. Erst ziemlich kühl, dann brütend heiß.

Doch es gibt eine wichtige Schnittmenge. In beiden, auch touristisch stark frequentierten Regionen herrscht ein eklatanter Mangel. Es fehlt an Arbeitskräften, vor allem in der Gastronomie, aber auch in anderen Servicebereichen. Auf Amrum haben viele Restaurants, Cafés und auch Geschäfte nur noch einige Tage in der Woche geöffnet (oder zumindest stark verkürzte Öffnungszeiten). Und im Remstal sah man häufig Plakate an gastronomischen Einrichtungen, in denen händeringend Personal gesucht wird, sowohl im Service als auch in der Küche.

Andere Branchen bieten bessere Bedingungen

Die Gründe für diese Misere sind vielschichtig. Die Lockdown-Phasen in der Corona-Pandemie haben viele Beschäftigte in diesen Branchen veranlasst, sich andere Arbeitsfelder zu suchen, weil das Kurzarbeitergeld in diesen Niedriglohnsektoren schlicht nicht zum Leben reichte. Bundesweit sind in den vergangenen zwei Jahren mehr als 130.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in der Gastro-Branche weggefallen, hinzu kommen mehr als 217.000 Minijobs. Und die können jetzt, wo die Branche wieder anläuft, vielerorts nicht mehr besetzt werden. Auf den Inseln kommt hinzu, dass es für auswärtiges Personal schlicht keinen bezahlbaren Wohnungen gibt und das Reservoir an ortsansässigen Arbeitskräften schrumpft. Im Remstal, das ja quasi im Speckgürtel der Metropole Stuttgart und anderer wichtiger Industriestandorte liegt, kommt ferner hinzu, dass auch in diesen Branchen Arbeitskräftemangel herrscht, aber wesentlich höhere Gehälter als in den gastronomischen Dienstleistungsberufen gezahlt werden.

Der „Inflationsschock“ zeigt Wirkung

Es gibt also in vielen Regionen attraktivere Arbeitsplätze mit besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen. Und manch einer hat auch schlicht keine Lust mehr, „reiche“ Hamburger oder Stuttgarter zu bedienen, die an einem Abend den Gegenwert des eigenen Wochenlohns verprassen. Nicht unterschätzen sollte man ferner die sich abzeichnenden Umsatzeinbrüche, besonders im mittleren Gastro-Segment. Die Betriebe müssen die immens steigenden Kosten über kurz oder lang an die Kunden weiterreichen. Doch diese haben angesichts der galoppierenden Inflation längst begonnen, jeden Euro zwei Mal umzudrehen, bevor sie ihn ausgeben.

Persönlich betrifft mich das weniger, denn ich lebe auch im Urlaub – von Ausnahmen natürlich abgesehen – nach der Devise: „Ich gehe nicht mehr essen, weil ich so unglaublich gut kochen kann.“ Also Ferienwohnung (mit anständiger Küche) statt Hotel. Bildlich ausgedrückt: Ich kaufe mir lieber beim Fischer eine frische Seezunge, als für den gleichen oder gar höheren Preis ein bestenfalls mittelmäßiges, paniertes Fischfilet aus der Fritteuse.  Aber für die betroffenen Regionen ist der schleichende Niedergang der Gastronomie misslich, denn sie leben stark vom Tourismus und von Ausflüglern.

 

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Der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl verweist auf die oftmals fehlende „Sinnstiftung“ der Arbeit in großen Teilen der Gastronomie. Die schlechten Rahmenbedingungen – miese Bezahlung und  sehr belastende Arbeitszeiten – könnten in „08/15-Lokalen“ kaum kompensiert werden. Daher sei es auch kein Verlust „wenn es von diesen Lokalen weniger gibt“. Dabei könne die Arbeit in einem Betrieb mit guter Küche und gutem Gesamtkonzept durchaus befriedigend sein, sowohl für die Köche als auch für die Kellner. 

Kofahl sieht diese im besten Falle als „Kulturarbeiter“ und „Handwerkskünstler“. Ein Kellner könne „als jemand verstanden werden, der den essenden und trinkenden Gast durch ein spezielles Reich der Sinnlichkeit führt“.  Dies funktioniere aber nicht bei Lokalen, „die entweder gefällige, langweilige oder schlichtweg schlechte Produkte anbieten und deren Kunden Personen sind, die bloß zu faul zum selber kochen sind, aber ihr Essen auch aus dem Automaten beziehen könnten“. Wenn man eine blühende gastronomische Landschaft wolle, „benötigt man mehr kulturelle, aber auch mehr monetäre Anerkennung für die gastronomischen Berufe, damit man Menschen für die Arbeit dort gewinnen kann“.

Weniger könnte mehr sein

Da ist sicherlich viel Wahres dran. Man kann einen Restaurantbesuch durchaus mit dem Besuch eines Konzerts vergleichen, was schließlich auch nicht an jedem Tag möglich und erschwinglich ist. Zudem muss ein gutes gastronomisches Angebot nicht zwingend ein astronomisches Preisniveau haben. Das strukturelle Problem des Arbeitskräftemangels in der Gastronomie lässt sich auf diese Weise allerdings nicht lösen. Aber hungern muss deswegen wohl niemand. Vielleicht wäre eine entsprechende Verknappung des Angebots auch ein guter Anstoß, über die Wertschätzung der Gastronomie neu nachzudenken – auf Anbieter- und auf Konsumentenseite.

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