Sexismus-Vorwürfe gegen Lidl - Schuss in den Ofen?

Schon wieder ein Shitstorm. Nach einer Werbeanzeige auf Facebook wird dem Lebensmittelkonzern Lidl Sexismus vorgeworfen. Die Debatte ist verbohrt und offenbart vor allem die Bequemlichkeit der linken Identitätspolitik

Gehört Lidl zur dunklen Seite der Macht? / picture alliance
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Für große Aufregung sorgte diese Woche eine Facebook-Werbung von Lidl. Der Handelskonzern hatte mit dem Spruch „Loch ist Loch“ für seine Produkte geworben. Eine Anzeige zeigte einen Bagel und einen Donut, daneben besagter Spruch und zusätzlich: „Donuts & Bagel schmecken beide. Ob süß oder herzhaft.“ Falls es jemand nicht wissen sollte: „Loch ist Loch“ ist ein alter Machospruch, der so viel bedeutet wie: Egal wie die Frau aussieht, mit der man geschlafen hat, Hauptsache man hatte Sex. Man muss kein Dauerempörter auf der symbolpolitischen Jagd nach Gesinnungsverstößen in Werbeanzeigen sein, um zu wissen, dass dieser Spruch ungefähr so charmant ist wie eine Sex-Party von VW oder Ergo und so originell wie ein Fritzchen-Witz.

Der obligatorische Shitstorm folgte dementsprechend. Der Grundton: Lidl ist widerwärtig und sexistisch. Eine Facebook-Userin schlug Lidl für den zornigen Kaktus vor, einen Negativpreis für sexistische Werbung. Andere riefen zum Boykott der Lebensmittelkette auf. Was ebenfalls nicht fehlen durfte: Die Gegenempörung der Anti-Feministen, die sich über die Verbohrtheit der Feministen aufregten. Worüber sich wiederum die Feministen aufregten.

Lidl ist shitstormerprobt

Dass die Empörung offenbar einkalkuliert war, verdeutlichte die zunächst höhnische Reaktion des Konzerns – bad publicity is better than no publicity, Aufmerksamkeit ist ein Wert an sich. Das Lidl-Social-Media-Team postete eine Bildcollage, auf der ein Pärchen mit Popcorn und Cola in einen Kinosaal eilt. Der Schriftzug dazu: „Haben die Kommentare schon angefangen?“ Am Sonntagabend wurde der Beitrag schließlich von der Facebook-Seite genommen und die in der Shitstormroutine ebenso obligatorische Entschuldigung veröffentlicht. Man möchte unterhalten, „Unterhaltung hört aber da auf, wo sich Menschen verletzt fühlen und das ist leider auch passiert. Wir möchten uns also bei all denen entschuldigen, die sich durch den Post verletzt fühlen und werden zukünftig versuchen den Ton besser zu treffen.“ Frei nach Walter Ulbricht: Niemand hat die Absicht, mit einem kalkulierten Shitstorm Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen!

Lidl ist mittlerweile durchaus shitstormerprobt. Vor anderthalb Jahren hagelte es Kritik, als der Discounter die Kreuze auf Kirchen von Fotos griechischer Spezialitäten entfernte. Rechte sahen darin einen Beleg für die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes. Worüber sich wiederum Linke aufregten. Ebenfalls vor rund anderthalb Jahren stand Lidl in der Kritik, weil während des muslimischen Fastenmonats Ramadan im Rahmen einer Aktion namens „Die orientalische Woche“ ein Produkt mit Schweinefleisch angeboten wurde. Verbraucher warfen dem Konzern daraufhin „Respektlosigkeit“ gegenüber Muslimen vor. Worüber sich wiederum Rechte aufregten. Worüber sich wiederum Linke aufregten.

Rassismus- und gendersensible Großkonzerne

Empörungswellen gegen Werbeplakate infolge identitätspolitischen Beleidigtseins kommen, wie man sieht, aus allen Richtungen – auch wenn die Hysterie um politisch unkorrekte Werbung noch die Überhand zu haben scheint. Zumindest hat sie mittlerweile eine gewisse Tradition: Vergangenes Jahr ernannte der Konzern H&M eine „Diversity-Managerin“, die die Mitarbeiter für Vorurteile sensibilisieren soll. Vorausgegangen war der Entscheidung der Trubel um ein Werbeplakat, das als rassistisch kritisiert wurde. Die Aufregung war derart heftig, dass der Konzern einen Aktieneinbruch zu verzeichnen hatte. Nun kann H&M, Gott sei Dank, mit einer gesteigerten Sensibilität für Sexismus und Rassismus die (Kinder-)Arbeiter in Niedriglohnländern ausbeuten.

Auch der Biermarke Astra wurde wegen ihrer Werbeanzeigen bereits Sexismus und Rassismus vorgeworfen. Für die Werbung eines Mischgetränkes hing die Brauerei auf der Hamburger Reeperbahn ein Werbeplakat auf. Darauf wurde ein Mann mit scheinbar indischem Migrationshintergrund gezeigt. Er trägt ein Meerjungfrauen-Kostüm, darunter der Slogan: „Wolle Dose kaufen?“ Das Plakat wurde schlussendlich auf Druck der Kritiker wieder entfernt. Der FC St. Pauli veröffentlichte letztes Jahr gemeinsam mit dem Verein Pinkstinks einen Flyer, der neue „Regeln für Kommunikation ohne sexistische Kackscheiße“ aufstellte. Unter den genannten Negativbeispielen waren auch Motive der Astra-Brauerei zu sehen. Erstaunlich an all der (teilweise durchaus vertretbaren) Kritik ist, dass sich bisher kaum jemand daran störte, dass Astra in seiner Werbung seit Jahren mindestens genauso stark das stereotype Bild vom „Proll aus der Unterschicht“ bedient. Welche Erkenntnisse soll man aus der Ungleichempörung ziehen? Dass Unterschichten-Bashing weniger schlimm ist als Rassismus und Sexismus?

Der blinde Fleck der linken Identitätspolitik

Dass die Jagd auf sogenannte Mikroaggressionen mitunter groteske Züge annimmt, ist eine Sache. Mit dem rigorosen Habitus eines moralischen Säuberungsbeauftragten werden jene Rassismus- und Sexismus-Kritiker weniger Menschen für ihre im Kern richtigen Anliegen gewinnen, als sie unnötig verprellen. Die andere Sache ist, wie aus dem Dreiklang von gender, race und class, der zum Kern der politisch Linken gehört, ein Zweiklang wird. Sieht man sich die Aufregung über Werbeanzeigen an, fällt auf: Der dritte Punkt, der ökonomische, ist für sie sekundär, ihre Kritik bleibt im warmen Nest des anerkennungspolitischen Mikrokosmos. Der blinde Fleck der linken Identitätspolitik sei ihr fehlendes Klassenbewusstsein, schreibt der Dramaturg Bernd Stegemann in seinem Essay „Das Gespenst des Populismus“ treffend.

Im Interview mit Cicero sagte der Aufstehen-Initiator dazu: „Darum ist der Neoliberalismus so ein Fan von diesen beiden Formen der Anti-Diskriminierung, weil sie simpel gesagt nichts kosten und weil sie den Markt – sowohl der Arbeitskräfte als auch der Konsumenten – vergrößern. Der Kampf gegen den dritten Punkt der Diskriminierung, die Armut, würde hingegen etwas kosten.“ Mit Blick auf die Sensibilisierungskurse für H&M-Mitarbeiter bleibt nur zu sagen: Da ist wohl was dran.

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