The Weeknd
Der Rapper „The Weeknd" will die Zusammenarbeit mit H&M beenden / picture alliance

Rassismus-Vorwürfe gegen H&M - Ist das noch links?

Wegen einer Werbekampagne wird dem schwedischen Modeunternehmen H&M Rassismus vorgeworfen. Über die miserablen Produktionsbedingungen in Dritte-Welt-Ländern wird dagegen kaum gesprochen. Das ist nicht der einzige Widerspruch vermeintlich linker Prominenter und Aktivisten

Ulrich Thiele

Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Seit gut zwei Wochen tobt ein Shitstorm durch die Medien, der in den meisten Zeitungen als „Rassismus-Skandal“ betitelt wird. Die Geschichte ist schnell erzählt: Das schwedische Textilunternehmen H&M hatte im Rahmen einer Safari-Kollektion für einen Kapuzenpullover mit der Aufschrift „Coolest Monkey in the jungle“ (deutsch: „Coolster Affe im Dschungel“) einen fünfjährigen, dunkelhäutigen Jungen modeln lassen. Für andere Pullover, etwa mit der Aufschrift „Überlebensexperte“, haben hellhäutige Kinder gemodelt. 

Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten: „Seid ihr verdammt noch mal verrückt geworden?!?!?!“, wütete Charles Blow, Kolumnist der New York Times, um nur einen der vielen Kritiker zu nennen, die das Unternehmen der „Ignoranz“ und des „Zynismus“ bezichtigen.

Der kanadische R&B-Sänger The Weeknd, der äthiopische Wurzeln hat, ging sogar noch einen Schritt weiter. Das Werbebild habe ihn so sehr „geschockt und beschämt“ und er sei „zutiefst beleidigt“, twitterte er, dass er seine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen beenden möchte – er hatte eigene Kollektionen bei H&M herausgebracht und für die Kette gemodelt.

 

Der eigentliche Skandal

Es dürften in der Tat nicht viele sein, die das Bild nicht mit dem historischen Kontext assoziieren, also mit dem alten rassistischen Vergleich von Dunkelhäutigen mit Affen. Das Werbebild kann man also getrost als „unglücklich“ bezeichnen. Das Unternehmen ließ angesichts der Kritik direkt ein kleinlautes Statement verlauten: „Wir glauben bei allem, was wir machen, an Vielfalt und Inklusion und werden all unsere internen Strategien überprüfen, um künftige Probleme zu verhindern“, heißt es darin. Es half nichts: Die Börsenwerte von H&M sanken rapide, in Südafrika wurden sogar Filialen verwüstet

Der eigentliche Skandal ist aber nicht das Werbebild, und auch nicht, dass viele der Empörer diese Rassismus-Assoziation haben und dadurch ihren eigenen bevormundenden Rassismus offenbaren, wie manche kritisieren. Denn nur zur Erinnerung an ein offenes Geheimnis: H&M ist eines jener Großunternehmen, das – so sehr es auch bemüht ist, sich den Anstrich einer „ethischen“ und „nachhaltigen“ Firma zu verpassen – seine Produkte unter, gelinde gesagt, fragwürdigen Bedingungen in südostasiatischen Billiglohnländern produziert. Das schien The Weeknds moralisches Gewissen bisher nicht zu bekümmern. 

Pure Symbolpolitik

Dass eine enorme Schieflage herrscht zwischen dem Lärm um symbolpolitische Befindlichkeiten und dem vergleichsweise stillen Achselzucken in Bezug auf reale, für Menschen körperlich spürbare Wirtschaftsprozesse, zeigt auch ein Interview mit Stevie Schmiedel im Deutschlandfunk. Schmiedel ist die Chefin der Organisation Pinkstinks, die einen „Werbemelder*in“ ins Leben gerufen hat, um auf sexismusverdächtige Werbung in Deutschland aufmerksam zu machen. 

Auf den H&M-Fall angesprochen sagte sie: „H&M ist ja eigentlich ein Unternehmen, abgesehen von den Produktionsbedingungen, die schon versuchen, in der Werbung vieles zu verändern: stärkere Mädchen zu zeigen, mal eine Diversity-Kampagne zu starten, in der Transmenschen, Homosexualität, alles Mögliche gezeigt wird.“ Man beachte die Beiläufigkeit, mit der der Einschub „abgesehen von den Produktionsbedingungen“ erfolgt. Zusammengefasst heißt das: Knallharte Produktherstellung in Dritte-Welt-Ländern von mir aus, solange die Ware mit genug Diversity-Management in der westlichen Welt an den Mann (und an die Frau und an den Transmenschen) gebracht wird.

Der Autor dieses Textes könnte sich nun weiter über die schlimmen Produktionsbedingungen echauffieren, oder noch besser: allgemein darüber, wie schlimm der globale Kapitalismus doch ist – das gehört zum guten Ton und schafft ein gutes Gewissen. Glaubwürdig wäre es jedoch nicht, weil er beim Schreiben dieses Textes preiswerte Boxershorts von H&M trägt. 

Trump gegen Apple

Eine vergleichbare Widersprüchlichkeit offenbart der Zwist zwischen dem Apple-CEO Tim Cook und US-Präsident Donald Trump. Apple ist das amerikanische Unternehmen, das circa 252 Milliarden Dollar außerhalb der USA hortet – so viel wie kein anderes Unternehmen. Insgesamt sind den USA 750 Milliarden Dollar Steuereinnahmen entgangen, weil großes Unternehmen 2,6 Billionen Dollar im Ausland horten. Trump kritisierte Apple zudem dafür, dass es seine Produkte in China produziert. 

Das hielt Cook allerdings nicht davon ab, sich über den America-first-Präsidenten und dessen Ausländerfeindlichkeit zu echauffieren. „Wie für so viele von Euch, ist Gleichheit ein Grundpfeiler meiner Ansichten und Werte“, schrieb Cook als Reaktion auf die rechtsextremen Ausschreitungen in Charlottesville und die Relativierungen des Präsidenten.

Cook ist auch jemand, der sich lautstark über die Diskriminierung der LGBT-Gemeinde beklagt. Damit hat er im Grunde recht, aber auch hier nur zur Erinnerung: Auch Apple produziert unter fragwürdigen Bedingungen in Billiglohnländern, zudem sind „Weltoffenheit“ und „Vielfalt“ für einen arbeitslosen Amerikaner etwas anderes als für einen ins Ausland flüchtenden Milliardär.

Inzwischen hat Trumps Steuerreform Apple übrigens dazu bewegt, 38 Milliarden Dollar Steuern auf im Ausland angesammelte Gewinne an die US-Behörden zu zahlen. Mehr als 20.000 Arbeitsplätze sollen nun in den USA geschaffen werden. Trump triumphierte auf Twitter: „Riesiger Gewinn für die amerikanischen Arbeiter und die USA.“

 

Cook will dem Präsidenten die Lorbeeren aber nicht anerkennen und sagte wenig überzeugend in einem Interview: „Lassen Sie mich deutlich sein: Große Teile sind eine Folge der Steuerreform, und große Teile hätten wir in jeder Situation getan.“ Aber auch hier gilt: Der Autor dieses Textes ist ebenfalls ein Heuchler, denn er tippt diese Worte in die Tastatur eines Apple-Notebooks.

Die Konfrontation suchen

Dass es Widersprüche gibt, ist aber gar nicht das Hauptproblem. Das Problem sind vielmehr die moralischen Reinheitsphantasien, mit denen sie kaschiert werden, und die uns in der Öffentlichkeit als links verkauft werden. Wer sich seine eigenen Widersprüche eingesteht und sich nicht permanent moralisch selbst überhöhen will – weil er nicht krampfhaft beides will, den Wohlstand und das gute Gewissen – der kann zumindest mit der nüchternen Analyse beginnen.

Wäre es nicht zum Beispiel in Deutschland begrüßenswert, wenn sich linke und wirtschaftsliberale Politik gegenüberstehen, wenn sie sich streiten und bestenfalls Kompromisse für eine realitätstaugliche Synthese erzielen? Damit das wirtschaftsliberale Credo der Eigenverantwortlichkeit nicht übersteigert wird, aber auch, damit die Marktwirtschaft, die Sozialabgaben ermöglichen und zudem individuelle Freiheiten und Vielfalt fördern kann, stark bleibt?

Weniger Konsens, mehr Unterschiede

Das ist, zugegeben, idealisiert und einfacher gesagt als die Praxis tatsächlich ist. Doch eine linke Politik, die diese Konfrontation scheut und lieber losgelöst von der sozialen Frage (oder diese nur mit Phrasen als Feigenblatt nutzt) in identitätspolitischen Debatten verharrt, ist nicht links – und muss sich nicht wundern, wenn ihre eigentliche Klientel, die Arbeitnehmerschaft, sich enttäuscht abwendet. Das gleiche gilt für konservative Parteien, die sämtliche Unterschiede zugunsten einer „Fetischisierung der Mitte“ nivellieren wollen. 

Es ist ja nun wirklich nicht verkehrt, sich auf kultureller Ebene mit Toleranz- und Rassismusfragen auseinanderzusetzten, im Gegenteil. Doch es mussten vermutlich sehr viele wirtschaftspolitische Elefanten sterben, damit die politische Linke ihren eigentlichen Kern so sehr vergessen und sich ihren akademischen Elfenbeinturm bis in den Himmel der moralischen Vollkommenheit bauen konnte.

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Dr. Florian Bode | Do., 25. Januar 2018 - 20:37

Zugegeben, man muss es sich leisten können, nicht bei H&M, Zara, KIK, Primark und wie sie alle heißen einzukaufen. Es gibt aber so viel mehr, über das man sich in diesem Zusammenhang aufregen könnte, als das dämliche Werbefoto. Wäre der "Coole Monkey" übrigens ein weißer Junge gewesen, wäre es da keine Beleidigung? Mensch ist Mensch. Ich habe da aber für unsere Regierung eine ganz famose Idee: Aufdrucke auf Bekleidung ganz verbieten.

Josef Garnweitner | Sa., 27. Januar 2018 - 15:11

Antwort auf von Dr. Florian Bode

Herr Dr. Bode ist gut. Zumal es sich eh meist um Werbung für den Hersteller handelt. Allerdings sieht man daraus wie dumm der Konsument in Wirklichkeit ist. Er läßt sich zum kostenlosen Werbeträger degradieren und merkt es nicht einmal.

Ihr Vorschlag hätte noch was für sich. Dadurch würde nämlich der unselige Wettbewerb zwischen Eltern/Kindern um das richtige Outfit der Kinder zumindest eingeschränkt, wenn der Hersteller nicht gleich ersichtlich ist.

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 28. Januar 2018 - 10:38

Antwort auf von Dr. Florian Bode

Ich kenne nur die Übersetzung "Hager und Mager"

Dennis Staudmann | Do., 25. Januar 2018 - 22:30

stellt man fest, dass dort in den letzten Jahren ein massiver Anstieg der Obdachlosigkeit zu verzeichnen ist. Menschen, die dort lange wohnten und den besonderen Charme dieser Stadt ausgemacht haben, leben heute vielfach auf der Strasse. Der Grund ist einfach zu erklären. Die Angestellten der Firmen, welche im Silicon Valley ansässig sind, haben die Preise für Immobilien in die Höhe getrieben und dafür gesorgt, dass Menschen, die in ihren Vierteln lebten und bislang zumindest nicht obdachlos waren, heute auf der Strasse leben müssen. So bietet sich ein bizarres Bild. Man ist ja so hip, tolerant, links-liberal und "kämpft" gegen Hunger und für Gerechtigkeit weltweit etc. Nur wenn man in seinem neuen Apartment sitzt, aus dem Fenster schaut und dort die Menschen sieht, die vorher darin wohnten und die man verdrängt hat, dann ist man teilnahmslos und eher genervt. Dass es ernsthaft nur jemand wie Trump brauchte, um Präsident zu werden, zeigt, wie sehr diese linke Doppelmoral am Ende ist.

Svenja Gerwing | Do., 25. Januar 2018 - 23:01

Gab es diese ultimativen Diskussionen eigentlich schon über die kontroversen benetton-Kampagnen der frühen 90er Jahre? Dieser heutige Zeitgeist von "Sensibilität" grenzt an Hysterie.

Bernd Fischer | Do., 25. Januar 2018 - 23:07

Linke westdeutsche Spinner.

Martin Lederer | Fr., 26. Januar 2018 - 06:31

H&M kommt aus Schweden. Dort kann kein Unternehmen überleben, welches nicht 150%ig politisch korrekt (also links) ist.
Von daher freut es mich, wenn die von ihrer eigenen "Revolution" verschlungen werden.
Ich würde mich auch freuen, wenn die Medien- und "Künstler"-Branche in Deutschland ähnlich wie in Hollywood auch von ihrem eigenen linken Moralgetue gefressen würde.

André Oldenburg | Fr., 26. Januar 2018 - 07:26

Da die politischen Utopien der Linken mit Venezuela endgültig untergegangen sind, bleiben nur noch sprachliche Verbote für die anderen, die man ins Feld führen kann.
Es muss für Linke frustrierend sein, das sich der Sozialismus und der Kommunismus als (tödlicher) Treppenwitz der Geschichte herausgestellt hat.
Viele Politiker der linken Parteien haben um das Jahr 2000 gesagt, das man mit den ganzen Ölmilliarden in Venezuela problemlos den Sozialismus verwirklichen kann und sind natürlich jetzt um so frustrierter. Wir erleben ein Neusprech (1984,(Dieses sprachpolitische Instrument dient zur Erzeugung und Absicherung politisch korrekter Vorstellungen bei allen Mitgliedern der Bevölkerung)) und die Medien machen lustig mit.

Ralph lewenhardt | Fr., 26. Januar 2018 - 09:27

Nicht jeder Linke ist Demokrat,nicht jeder Rechte ist Rassist. Die ideologische Verwüstung der Debattenkultur ist unerträglich. Sie ist desorientierend und verhindert den praktischen Bund der Vernünftigen.

Klaus Dittrich | Fr., 26. Januar 2018 - 10:19

Als vor einigen Jahren eine Filiale von "Primark" am Alexanderplatz in Berlin eröffnen sollte, wurde von jungen "Spontanaktivisten" am Vorabend eine Demo gegen die Eröffnung initiiert. In die Kameras wurde getönt, wir (man sprach ja für eine Generation oder für alle) werden dieses Produkt der Ausbeutung in Asien boykottieren. Wer nun glaubte, dieses Geschäft würde nicht besucht, kann sich gern von der Wahrheit überzeugen - mit prall gefüllten Tüten strömen die Kunden aus dieser "Niederlassung des bösen Kapitalismus". Und es sind selten Senioren, dafür unsere "revolutionäre Jugend". Die hat ja ihr "gutes Gewissen" bewiesen.

Daniel Sunnus | Fr., 26. Januar 2018 - 10:21

Das sitzt. Waren Puritanismus und Bigotterie einst rechts zu verorten, sind sie nun nach links gerückt.

„In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.“ (Kurt Tucholsky)

Kleiner Trost für uns Deutsche: Amerika, du hast es auch nicht besser.

Bettina Diehl | Fr., 26. Januar 2018 - 10:57

Würden diese antirassistischen Rassisten tatsächlich alle Menschen gleich betrachten, käme eine derartige Diskussion gar nicht erst auf. Ist es nicht diskriminierend dem Jungen gegenüber, dass er den Hoodie nicht tragen darf? Warum wird der Junge auf seine Hautfarbe reduziert? Er ist ein Junge, wie jeder andere. Punkt! Offensichtlich wird er aber von einigen Korrekten nicht als solcher wahrgenommen. Da wird an "historischen Kontexten" erinnert, die in unserer Gesellschaft nichts mehr zu suchen haben, aber offenbar von einigen "Korrekten" gerne am Leben erhalten werden. Nein, so wird das nichts mit Gleichbehandlung. Und dann müssen sich diese "Gutmenschen" auch noch ungefragt als Anwälte betätigen, da der farbige Mensch sich anscheinend nicht selbst vertreten kann. Die Tatsache, dass wieder mal "Künstler" aus ihren Löchern kommen und sich wichtig machen, ist nur konsequent, da hapert es einfach am Verstand.

Thom Schnell | Di., 6. Februar 2018 - 23:48

"Buntheit" wird ja nach den Vorstellungen der Antirassisten, vor allem nach rassischen Gesichtspunkten bestimmt.