Selbstbestimmtes Sterben - Eine Frage der Würde

Für selbstbestimmtes Sterben ist in Deutschland die Betreuung durch Fachpersonal notwendig. Eine Klage dagegen wurde jetzt vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen. Der Moment des Abschieds darf also weiterhin nicht im intimsten Kreis stattfinden.

Sonnenuntergang auf Mallorca / dpa
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Autoreninfo

Gideon Böss ist Roman- und Sachbuchautor und hat unter anderem über Religionen in Deutschland und Glücksversprechen im Kapitalismus geschrieben.

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Der britische Bestsellerautor Terry Pratchett erhielt im Jahr 2007 die erschütternde Nachricht, an einer frühen und zugleich aggressiven Form von Alzheimer zu leiden. Damals war er 59 Jahre alt und sollte in den ihm verbliebenen Jahren zu einem Aktivisten für das selbstbestimmte Sterben werden.

Anders ausgedrückt: Er musste die kostbare und wenige Zeit, die er noch hatte, damit verschwenden, für eben dieses Recht zu kämpfen. Ein todkranker Mensch, der sich in der letzten Phase seines Daseins mit Behörden und Gerichten streiten muss, ob er gehen darf oder nicht. Das ist sicherlich nicht das würdige Ende, das sich ein Mensch wünscht. Dabei hatte Pratchett eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie er sich aus diesem Leben verabschieden wollte. In einem BBC-Interview wenige Monate vor seinem Tod erklärte er im Jahr 2014:  

„Ich möchte nicht auf der Intensivstation eines Krankenhauses sterben, umgeben von Maschinen und Menschen, die mir sagen, dass ich noch nicht sterben darf. Ich möchte in meinem eigenen Garten sterben, mit einem Glas Wein in der Hand und den Vögeln, die um mich herum zwitschern.“

Grausamkeit der heutigen Rechtslage

Der erste Satz zeigt die Grausamkeit der heutigen Rechtslage in den meisten westlichen Nationen. Ein Kreis von Fremden entscheidet in einem Raum, mit dem der Kranke nur Leid verbindet, ob er weiterleben muss. Er wird in der allerletzten Phase seines Lebens entmündigt und ist Experten ausgeliefert, die er nicht beauftragt hat, über ihn zu urteilen. 

Der zweite Satz hingegen beschreibt einen Moment, den man jedem Sterbenden nur wünschen kann. An einem Ort, an dem er sich wohl fühlt, und von Dingen umgeben, die er liebt, tritt er seine letzte Reise an. Es dürfte niemandem schwerfallen zu sehen, was das würdigere Lebensende darstellt. Und doch ist Satz 1 weiterhin der Normalfall und Satz 2 die große Ausnahme.    

Die Würde des Sterbenden

Zwar hat sich die Rechtslage in Deutschland seit dem Jahr 2020 insoweit verbessert, dass ein „Recht auf selbstbestimmtes Leben“ auch eines zum „selbstbestimmten Sterben“ miteinschließt, doch ist dafür die Betreuung durch Fachpersonal notwendig. Eine Klage dagegen wurde jetzt vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen. 

In dieser forderten ursprünglich sieben Schwerkranke (zwischenzeitlich sind fünf verstorben), dass der Staat ihnen ein hochwirksames Medikament zur Verfügung stellen soll, das sie ohne ärztliche Betreuung zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl nehmen können. Das Urteil bedeutet nun, dass der Moment des Abschieds weiterhin nicht ohne den Einbruch einer fremden Person in den intimsten Kreis der Familie stattfinden kann, die den Sterbeprozess begleiten muss. Damit wird dem Betroffenen und seinen Angehörigen dieser letzte gemeinsame Moment genommen, was ebenfalls die Würde des Sterbenden verletzt.

Ein zur Qual gewordenes Leben

Ein Argument gegen die Herausgabe eines entsprechenden Medikaments besteht laut des Bundesverwaltungsgerichts auch in der Gefahr des Missbrauchs. Wenn aber alles im Leben davon abhängig gemacht wird, ob eine Missbrauchsgefahr besteht, müsste fast alles untersagt bleiben. Letztlich kann praktisch alles missbraucht werden – von Alkohol über Medikamente bis hin zu Klebstoff und Gasen. Trotzdem werden sie deswegen nicht verboten. 

 

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Einem Menschen dabei zu helfen, selbstbestimmt ein zur Qual gewordenes Leben zu beenden, sollte die Rechtsprechung in einem Land antreiben, das so stolz auf seinen Artikel 1 ist, der da lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das Bundesverwaltungsgericht hat stattdessen entschieden, dass ihm die Verhinderung eines unwahrscheinlichen Falls von Medikamentenmissbrauchs wichtiger ist als der letzte und tieftraurige Wunsch eines Bürgers.

Christlichen Fundamente unserer Gesellschaft

Verwiesen wird bei dieser Rechtsprechung auch oft auf die christlichen Fundamente unserer Gesellschaft. Es stimmt zwar, dass es ohne christliche Werte keine universellen Menschenrechte und damit auch nicht Artikel 1 des Grundgesetzes geben würde. Aber so eindeutig ist die Ablehnung eines aktiv herbeigeführten Todes in einer Religion nicht, in deren Mittelpunkt der Tod als Erlösung steht. Jesus opferte sich schließlich für die Menschheit. Offenbar ist es also möglich, dass unter bestimmten Umständen ein gewaltsamer Tod dem „natürlichen“ Tod vorgezogen werden darf. 

Wobei ein Blick auf die schwindende Bedeutung der christlichen Kirchen ohnehin die Frage aufwirft, inwiefern ihre Sicht auf moralische Fragen heute noch von herausragender Bedeutung sein muss. Wie auch immer: Letztlich ist zu hoffen, dass in Zukunft Menschen im Kreise ihrer Liebsten einen Lebensweg beenden können, der ihnen zu schwer geworden ist. Jedem wäre zu wünschen, „mit einem Glas Wein in der Hand und den Vögeln, die um mich herum zwitschern“ zu gehen, statt „umgeben von Maschinen und Menschen, die mir sagen, dass ich noch nicht sterben darf“.
 

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