Saralisa Volm - Psychologische Tiefenbohrungen

Die Regisseurin und Schauspielerin Saralisa Volm spürt Abgründen nach, eigenen wie fremden. Nun hat sie ein Buch über den gnadenlosen Blick auf Frauenkörper geschrieben.

Saralisa Volm schreibt über die Filmbranche, die Frauen von einer Schwangerschaft abrät / Julia Steinigeweg
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Autoreninfo

Ulrike Moser ist Historikerin und leitet das Ressort Salon bei Cicero.

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Man muss diese Bilder erst einmal zur Deckung bringen. Diese umwerfend schöne Frau mit den markanten Zügen, dem geschwungenen Mund und dem intensiven Blick, der manchmal in ein leichtes Schielen abgleitet. Die lacht, herzlich, witzig und schlagfertig ist. Und die Frau, die jahrelang Krieg gegen ihren Körper geführt hat. Die, als sie sieben war, ihre mageren Oberschenkel zu fett fand. Die über Jahre alles in sich hineingefressen hat, Chips, Pommes, Schokoladeneis, um es dann wieder herauszuwürgen und Erleichterung von sich selbst zu finden. Um endlich dem Bild zu entsprechen, wie eine Frau angeblich aussehen soll: elfengleich und unbeschwert.

Es ist ein sonniger Tag in Berlin-Kreuzberg. Am Landwehrkanal blühen die Kastanien. Hier am Ufer befindet sich in einem Ladenlokal Saralisa Volms Produktionsfirma Poison. Volm ist Kunsthistorikerin, sie hat Ausstellungen kuratiert. Sie ist Schauspielerin, war mehrere Filme lang wichtigste Darstellerin des vor knapp einem Jahr verstorbenen Film-Anarchisten Klaus Lemke, der sie entdeckt hatte. Saralisa Volm ist Regisseurin und Produzentin. Gerade bereitet sie ein Fernsehstück vor und will in diesem Jahr noch einen Kinofilm drehen, ihren zweiten nach „Schweigend steht der Wald“, einem düster-abgründigen Thriller über das kollektive Verdrängen der Vergangenheit. 

Voller falscher Ideale

Und Volm hat ein Buch geschrieben, das soeben erschienen ist. „Das ewige Ungenügend. Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers“ heißt es.

Es ist ein wütendes Buch geworden, in dem sie einen manchmal fast schon unbarmherzigen Blick auf die eigene Geschichte und ihren eigenen Körper wirft mit allem, was sie als Mängel und Makel empfunden hat und noch empfindet. Brüste und Bindegewebe, die nach vier Geburten ihre Spannkräfte verlieren, Rosazea und Besenreißer, Periodenblut und Schamhaare. Schlechter Sex und fehlende Orgasmen. 

Die aber eben auch die vermeintlichen Makel so vieler anderer Frauen sind. Volm blickt auf Frauenbilder in der Kunstgeschichte. Und auf gesellschaftliche Erwartungen, an denen nicht nur sie, sondern so viele Frauen leiden: dass Schönheit gleichbedeutend mit Glück ist. Und oft die einzige Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Mächtigen. Auf die trügerische Hoffnung, mit Disziplin, Sport und Diäten den Models, den berufsmäßigen Schönheiten ebenbürtig zu werden. Sie schreibt über eine Mode- und Kosmetikindustrie, die Ideale setzt, die für die allermeisten Frauen niemals erreichbar sind.

 

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Und sie schreibt über das Filmgeschäft, in dem sie seit 17 Jahren tätig ist. Eine Branche, in der mit 40 Jahren die Karriere der meisten Frauen beendet ist. In der Regisseurinnen 16,2 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. In denen Schauspielerinnen von der Mutterschaft abgeraten wird. Oder zumindest empfohlen, sich nicht öffentlich schwanger zu zeigen, um künftig nicht allein auf Mütterrollen abonniert zu sein.

Ecken und Kanten behalten

Ihr Buch ist keine Versöhnung. Kein Plädoyer für Body Positivity, die Volm auch nur für einen vorübergehenden Trend hält. Sondern für Chancengleichheit und Selbstermächtigung. Und dafür, sich und die eigene Scham auszuhalten und zu ertragen. „Who cares?“

„Ich kann das über den Umweg über den Beruf machen“, sagt Volm. Man kann ihr Schreiben und Spielen als Outsourcing bezeichnen. Im Schreiben kann sie ausdrücken, was ihr auszusprechen noch immer schwerfällt. Oder sie delegiert es an ihre Filmrolle. Soll sich doch die Figur, die sie spielt, mit all den Unzulänglichkeiten abquälen. Das gilt auch für Nacktszenen. 

Es ist schon erstaunlich, dass Saralisa Volm auch nach zwölf Jahren noch immer auf eine Sexszene in Sergej Moyas Kurzfilm „Hotel Desire“ angesprochen wird. Was ihrem damaligen Filmpartner Clemens Schick gewiss nicht passiert. Oder einem Lars Eidinger, der regelmäßig nackt auf der Bühne zu sehen ist. Niemand würde von ihnen Scham oder das Gefühl von Peinlichkeit erwarten. Aber was soll einem noch passieren, wenn man sich wie Volm dem einmal ausgesetzt hat und die Bilder in der Welt sind? Außer dass man immer wieder gefragt wird, ob man es bereue?

Es sind die menschlichen Abgründe, eigene und die von anderen, die sie interessieren. „Psychologische Tiefenbohrungen“ und ein harter Blick auf die Welt, die sich durch ihre Arbeit ziehen. Und wenn sie erzählt, sie würde gerne einmal in einem Kostümfilm mitspielen, vielleicht als Katharina die Große, dann wirkt das nur auf den ersten Blick überraschend. Denn die Zarin hat nicht nur Russland modernisiert und zur Großmacht gemacht. Sie war auch berüchtigt für ihre zahlreichen Liebhaber. Eine Frau mit Abgründen eben.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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