Sandra Hüller - Das Chamäleon

Endlich hat Deutschland mit Sandra Hüller einen internationalen Filmstar. In den Kinos ist sie seit dieser Woche im bedrückenden Drama „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer zu sehen. Dort spielt Hüller die Gattin des KZ-Kommandanten Rudolf Höß.

Sandra Hüller / picture alliance
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Autoreninfo

Dieter Oßwald studierte Empirische Kulturwissenschaft und schreibt als freier Journalist über Filme, Stars und Festivals. Seit einem Vierteljahrhundert besucht er Berlinale, Cannes und Co. Die lustigsten Interviews führte er mit Loriot, Wim Wenders und der Witwe von Stanley Kubrick.

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Mehr Kino-Coup geht nicht. Schon gar nicht in Deutschland: Erst doppelter Jubel in Cannes. Dann der Europäische Filmpreis. Danach Chancen bei den Golden Globes. Und sollte am 10. März im Dolby Theatre in Los Angeles tatsächlich noch ihr Name vom Oscar-Zettel verlesen werden, dann wäre die Sensation perfekt.

Bislang bekam erst eine deutsche Schauspielerin den wichtigsten aller Filmpreise – 1937 erhielt ihn Luise Rainer für „The Great Ziegfeld“. Nun also Daumendrücken für Sandra Hüller. Dabei ist Rummel eigentlich so gar nicht ihre Sache. Und Interviews sind eher Pflicht als Kür für die 1978 in Suhl geborene Künstlerin.

Erfolg ist für die Ostdeutsche kein Grund zum Abheben

Das ist schon anno 2005 nicht anders, als die Theaterschauspielerin zum ersten Mal für einen Kinofilm im beschaulichen Tübingen vor der Kamera steht. Hans-Christian Schmid engagiert sie für „Requiem“, ein rigoroses Drama um eine Teufelsaustreibung. Schmid gilt als Trüffelschwein des deutschen Kinos, er entdeckt zuvor Franka Potente oder August Diehl. Mit Sandra Hüller gibt es kein Vertun, das ist große Kinoliebe auf den ersten Blick. Für ihre unisono bejubelte Leistung wird die junge Darstellerin auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären prämiert, wenig später folgt der Deutsche Filmpreis.

 

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Zum enormen Talent gesellt sich das berühmte Quäntchen Glück: Die Kamera liebt sie einfach – A star is born! Für die Ostdeutsche kein Grund zum Abheben, im Gegenteil. Fast wie zum Trotz präsentiert sie sich mit sperrigen Stoffen. Etwa mit „Madonnen“ von Maria Speth, einer spröden Lovestory nach Strickmuster der Berliner Schule. Wenn schon rigoros, dann richtig. Sex mit möglichst wenig attraktiven Männern sucht die attraktive Darstellerin später in „Brownian Movement“. Es sei „Sex in der Tiefe des Raumes“, wie Der Spiegel jubelt. Dennoch, der Film bleibt ein Flop. Ganz ohne Erfolg – und ohne Erfolgsdruck.

„Die Erwartungen haben sich bestimmt geändert“

Der kommt dann spätestens 2014 mit „Toni Erdmann“ von Maren Ade. Die Tragikomödie wird in Cannes gefeiert wie selten ein Film, Oscar-Nominierung inklusive. Große Begeisterung drei Jahre später für „In den Gängen“ von Thomas Stuber. In einem tristen Supermarkt verliebt sie sich als Verkäuferin in den schüchternen Staplerfahrer alias Franz Rogowski. Für den Part macht sie eigens den Flurfördermittelschein: „Das ist eben das Luxuriöse am Beruf des Schauspielers“, wie sie damals kommentiert.

Weniger luxuriös als lästig ist indes der Druck. „Die Erwartungen haben sich bestimmt geändert“, erzählt sie heute. Es gebe manchmal so ein Bild, nach dem sie alles schon könne, klagt der Star. Doch Hüller weiß sich zu helfen: „Das unterlaufe ich ziemlich schnell, indem ich am Anfang immer alles falsch mache. Für mich ist dieser Beruf eine Suche, ein Ausprobieren und Experiment.“

Diese Lust auf das Unbekannte hat der Schauspielerin in ihrer Karriere mehr als 30 Auszeichnungen beschert. Ob man da nicht ein bisschen süchtig wird nach Preisen? Auf eine solche Frage folgt eine abgeklärte Antwort: „Also wie wäre das denn, wenn ich jetzt süchtig nach Preisen wäre? Wie würde ich mir die denn beschaffen? Darauf habe ich überhaupt keinen Einfluss. Nein, ich bin nicht süchtig nach Preisen. Ich gehe nicht davon aus, dass es bei Preisen einen Automatismus gibt.“ Es ist wohl eine typische Hüller-Reaktion.

Hüller präsentiert sich in allen Genres sattelfest

Die jüngsten Huldigungen gelten zum einen dem Krimi „Anatomie eines Falles“ von Justine Triet, zum anderen feiert man ihren Auftritt im britischen Drama „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer. Dort gibt Hüller die Gattin des KZ-Kommandanten Rudolf Höß, die in Sichtweite des Vernichtungslagers Auschwitz ein erschreckend normales Familienleben führt.

Wie man solch eine bedrückende Rolle nach Feierabend wieder loswird? „Mir ist immer bewusst, dass ich in einem Film Texte sage, die nicht meine sind“, gibt die Schauspielerin zu Protokoll. Wenn sie nach Hause gehe, dann sei sie wieder sie selbst. „Da habe ich keine Verhaltensweisen oder Gedankengänge der Figur, welche ich tagsüber spiele. Auch nach diesem bedrückenden Drama war ich nach dem Dreh sehr schnell wieder fröhlich.“

Von diesem Schwergewicht zum puren Popcorn-Entertainment à la „Fack Ju Göhte 3“ – Sandra Hüller präsentiert sich in allen Genres sattelfest. Wonach sie ihre Projekte auswählt? „Es gibt keine Checkliste, mit der ich meine Projekte aussuche. Entweder ein Stoff fasziniert mich. Oder eben nicht.“

Als Nächstes wird man sie in „Zwei zu eins“ von Natja Brunckhorst erleben. Dort versucht sie, nach den Wirren der Wende ein paar Millionen Ostmark zu versilbern. Das würde einer Sandra Hüller vermutlich auch im echten Leben ganz gut gelingen.

 

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