Robert Menasse - Ein historischer Bluff

Der Schriftsteller Robert Menasse hat in einer Rede ein historisches Ereignis erdichtet, das sein Anliegen einer „Europäischen Republik“ legitimieren soll. Das sei ein makabres Spiel mit dem Äußersten, wie Patrick Bahners in der FAZ konstatiert

„Wenn ein Dichter in einer Rede historische Tatsachen referiert, erwartet man nicht Erdichtetes“ / picture alliance
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Mitten in der Debatte um die Fälschungen des Claas Relotius sorgt auch ein anderer Fall für Aufsehen. Auch dieser dürfte die Diskussion um die Vernebelung der Grenze zwischen Fakten und Fiktion verschärfen: Im Dezember 2017 hatte der österreichische Autor Robert Menasse seinen mit dem Deutschen Buchpreis prämierten Roman „Die Hauptstadt“ in Tübingen vorgestellt. Darin wirbt Menasse für die EU-Kommission und für sein Anliegen einer „Europäischen Republik“.

Seine Vision wollte Menasse auch an diesem Abend verteidigen, allerdings mit einem vermeintlich historischen Ereignis: Walter Hallstein, der erste Präsident der EU-Kommission, habe seine Antrittsrede 1958 auf dem Gelände des Vernichtungslagers Auschwitz gehalten, beschwor Menasse. Der Appell: Nie wieder Auschwitz, jene grausame Auswirkung des Nationalstaats, nie wieder Nationalismus. Das Problem: Dieses Ereignis hat nie stattgefunden, wie der Historiker Hans-Joachim Lang, der an diesem Abend im Publikum saß und Nachforschungen anstellte, feststellen musste.

Auschwitz als Gründungsmythos der EU

Mehr noch: Schon im Oktober 2017 enthüllte der Historiker Heinrich August Winkler im Spiegel, dass Menasse schon mehrfach Sätze Hallsteins aus einer tatsächlich stattgefundenen Rede zitierte, die dieser aber nie äußerte. Vor ein paar Tagen, also erst ein Jahr später, kam die Welt auf den Fall zurück. Menasses Rechtfertigungen für seine als Fakten ausgegebenen Fiktionen sind hanebüchen. Die Zitate seien dem Sinn nach korrekt, so der Schriftsteller. „Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche.“ Und: Zwar sei der freie Umgang mit Quellen tatsächlich „nicht zulässig – außer man ist Dichter und eben nicht Wissenschaftler oder Journalist“.

Der FAZ-Redakteur Patrick Bahners konstatiert nun in seiner Aufarbeitung des Falls folgerichtig: „Aber wenn ein Dichter in einer Rede historische Tatsachen referiert, erwartet man nicht Erdichtetes.“ Wie soll man also Menasses Bluff verstehen, fragt Bahners und stellt fest: „Die Geschichte von Auschwitz als Gründungsmythos der EU erweist sich, fachsprachlich gesprochen, als ein Fall von therapeutisch induzierter wiedergewonnener Erinnerung, deren Fiktionalität in Kauf genommen wird.“ Und weiter in Bezug auf Menasses Mahnung, „es werde sich noch zeigen, dass die Vergesslichen zum eigenen Leidwesen vergessen hätten“, schlussfolgert Bahners: „Menasses kryptische Prophetie schiebt seinen Lesern die Verantwortung für seinen makabren Hoax zu. So sehr ist der Schriftsteller am europäischen Volk verzweifelt, dass er sich einbildete, er müsse mit dem Äußersten spielen.“

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