Reichsbürger-Razzia - Die denkfaule Phalanx der Gläubigen

Der kritische Blick auf die von einer veritablen Journalisten-Schar begleitete Reichsbürger-Razzia ist keine „Verharmlosung“ des Rechtsextremismus – sondern vielmehr Ausdruck eines wachen Geistes aufgeklärter Bürger. Zumal die Medien eigens von den Behörden zur Berichterstattung eingeladen worden waren.

Terrorist oder Spinner? Prinz Heinrich XIII. Preuss bei seiner Verhaftung / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Tatsächlich liegen die Dinge so: Die mutmaßlichen Täterinnen und Täter teilen ein Gedankengut, das manche der zitierten Medien offenbar für durchaus anschlussfähig für Teile der eigenen Leserschaft halten“, schrieb jüngst der Spiegel-Kolumnist Christian Stöcker in einem langen Text über „Die fleißige Phalanx der Verharmloser“. Anlass war die Großrazzia gegen vermeintliche Reichsbürger sowie im Anschluss von einigen Medien veröffentlichte Artikel zur Frage, ob das ganze Tohuwabohu gemessen an der tatsächlichen Gefahrenlage noch verhältnismäßig war. 

Stöcker ist Professor an der HAW Hamburg und beklagte sich auf Twitter jüngst, er habe in einem Forum gelesen, Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt habe als Reaktion auf seinen Phalanx-Beitrag „seinen Rechtsmob-kommandierenden Kettenhund Rainer Meyer“ (Don Alphonso) auf ihn angesetzt. Und er beklagte auch: „Die größten Trolle haben das dünnste Fell“.

Es ist eine in gewissen Kreisen beliebte Gehirnakrobatik, die Stöcker hier vollzieht: Erst der große Rundumschlag gegen eine Reihe Medien und Journalisten, die er nicht leiden kann, inklusive hanebüchener Vorwürfe, Teile der jeweiligen Leserschaft fänden Reichsbürger ganz dufte, was freilich eine bloße Behauptung ohne Evidenz ist. Anschließend der selbstgerechte Rückzug in den Moralistenbunker, die erwartbar wenig freundlichen Reaktionen auf seinen Rundumschlag monierend. Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen! 

Garantie für Applaus von der „richtigen Seite“

Eigentlich ist die Diskussion um diese Reichsbürger-Razzia respektive die Richtung, die diese Diskussion mittlerweile eingeschlagen hat, intellektuell wenig beflügelnd und mehr noch ziemlich ermüdend. Zuerst gab's im Internet ordentlich Schelte für die Union, weil ihre Politiker nicht alles stehen und liegen ließen, um dem Ruf nach sofortigem Bekenntniszwang zur Demokratie aus linken Kreisen nachzukommen, obwohl man sich schon fragen kann, seit wann ein „Nicht-Statement“ bereits ein Statement sein soll. 

Nachdem sich einige von der Union zu Wort gemeldet haben, weshalb diese Debatte zeitnah wieder abflachen dürfte, ist nun bei vermeintlich progressiven Journalisten und ihrer Followerschaft im Internet das Bemühen groß, irgendwelche Querverbindungen zu konstruieren, womit in den meisten Fällen eher ein Herbeifantasieren gemeint ist.

Spiegel-Kolumnist Stöcker schreibt also auch nur am Puls der Zeit und steht auch nur exemplarisch für viel mehr Leute, die sich verbitten, diesen Großeinsatz mit 3000 Polizisten und fast genauso vielen Journalisten allzu kritisch unter die Lupe zu nehmen, während sie selbst allerlei Verschwörungstaugliches verbreiten.

Aber schließlich geht es hier ja um den „Kampf gegen Rechts“. Und weil der besonders identitätsstiftend ist und ein Garant für Applaus von der „richtigen Seite“, will dieser auch besonders kompromisslos geführt sein. Da hält man sich nicht auf mit Kleinigkeiten, sondern macht den großen antifaschistischen Zampano auf Twitter und in den Kommentarspalten der Republik. 

Dass die gleichen Leute, die jetzt lautstark die Polizei feiern, ansonsten jedwede Verhältnismäßigkeit bei Polizeieinsätzen infrage stellen – selbst dann, wenn es sich um ausgewählte Personenkontrollen im Kampf gegen illegale Migration handelt („Racial Profiling!!!“) – entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, ist in seiner Inkonsequenz aber auch schon wieder konsequent. 

Eher unterbelichtet ist dagegen der sich in sozialen Medien großer Beliebtheit erfreuende Running Gag, der Großeinsatz habe gezeigt, dass die „Klima-Kleber“ der „Letzten Generation“ doch total harmlos seien und ein Durchgreifen wie jetzt in München nicht verhältnismäßig. Schließlich haben die Aktivisten nur Klebstoff im Jutebeutel, keine Waffen. Als würde ein Vergehen ein anderes einfach aufwiegen. 

Vielleicht bei Pressemitteilungen bleiben

Sagen wir es so: Wer bereits in die Luft geht, wenn Journalisten die Sinnhaftigkeit dieses Einsatzes gemessen am hollywoodreifen Drumherum hinterfragen und sich kritisch mit der Rolle ihrer Zunft bei dieser Razzia auseinandersetzen, weil hier durchaus die ein oder andere Ziffer des Pressekodex verletzt sein könnte, kann sich künftig auch ausschließlich über Pressemitteilungen der Regierung informieren. Dann wird er wenigstens nicht mit kritischer Berichterstattung belästigt.

Gleichwohl ist der Vorwurf der „Verharmlosung“ noch ein weiteres Wort wert. Ein anderer Spiegel-Kolumnist, der langjährige Richter Thomas Fischer nämlich, hatte diesen in seiner jüngsten Kolumne zu Recht als „Moral-Abstrafungsvokabel“ bezeichnet. Das wiederum hat Spiegel-Kolumnist Stöcker aber freilich nicht dazu veranlasst, auch den Spiegel in seine „Phalanx der Verharmloser“ aufzunehmen, in der neben der rechtsnationalen Jungen Freiheit auch Medien wie Welt, Cicero und Berliner Zeitung erwähnt werden. Nein, dafür hat der antifaschistische Mut nicht gereicht.  

Regierungs-PR im Faeser'schen Sinne

Der Vorwurf dieser – frei nach Stöcker – denkfaulen Phalanx der Gläubigen lautet also im Prinzip, man würde die Reichsbürger verharmlosen, wenn man die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes infrage stellt und das Vorgehen des Bundesinnenministeriums kritisiert, zahlreiche Journalisten an die Orte des Geschehens wie Pizza bestellt zu haben, damit diese Regierungs-PR im Faeser'schen Sinne machen.

Das ist die gleiche Bundesinnenministerin übrigens, die anlässlich dieser Razzia nun betont, „Staatsfeinde“ künftig schneller aus dem Öffentlichen Dienst entfernen zu wollen, was ja unter Umständen schon bald ein Fall für das Bundesverfassungsgericht sein könnte. Die gleiche Bundesinnenministerin auch, die Anfang des Jahres wegen eines Gastbeitrags in einem Antifa-Magazin in der Kritik stand, sich selbst aber freilich nicht entfernen wird aus dem Amt, und es auch nicht allzu genau nimmt mit den Grundrechten, etwa mit dem Demonstrationsrecht, dessen Ausübung jetzt rechts sein soll. 

Eine gigantische Friedensbewegung

Die Betrachtung dieses Großeinsatzes als reiner Erfolg im Kampf gegen rechtsextremistische Umtriebe im Land ist aber auch aus anderen Gründen ein bisschen sehr naiv. Unter anderem, weil mit Blick auf die Rolle der bestellten Journalisten bei dieser Aktion gewisse Parallelen bestehen zu einer Berichterstattungsart, die vor einigen Jahren zu überaus kontroversen Debatten auch innerhalb der Branche geführt hat; nämlich um den so genannten „Embedded Journalism“, der erstmals in den US-Kriegen im Irak und in Afghanistan fleißig praktiziert wurde. 

Journalisten begleiteten damals nicht nur Einsätze des US-Militärs, sondern wurden unterm Strich Teil der Truppe. Sie fuhren in Panzern mit, schliefen in den Kasernen, aßen gemeinsam mit den Soldaten und verbrachten ihre Freizeit auf dem Stützpunkt, wurden also „eingebettet“. Für das US-Militär war das eine Win-Win-Situation: Man konnte die Berichterstattung nicht nur beeinflussen, sondern sie sogar orchestrieren, indem man Journalisten die Teilnahme an ausgewählten Einsätzen gestattete, um sie gleichzeitig davon abzuhalten, auf eigene Faust zu recherchieren. Eine Lehre aus dem PR-Desaster rund um den Vietnamkrieg. 

Der Herdentrieb setzte verlässlich ein

Also zurück zur Reichsbürger-Razzia. Letztlich war diese freilich nicht Teil eines Kriegsgeschehens. Aber die Parallelen sind überdeutlich. Das hat mit dem natürlichen Informationsvorsprung der Sicherheitsbehörden (Ermittlungen) zu tun und dem dadurch entstehenden Abhängigkeitsverhältnis der Medien, wenn dieser Informationsvorsprung aufgeholt werden will. Das mag bei der Großrazzia hier und da zwar auch durch eigene Recherchen geglückt sein, aber das Gros der Berichterstatter kam letztlich, weil es von den Verantwortlichen bestellt wurde – und auch der Herdentrieb setzte verlässlich ein. Cicero-Chefredakteur Alexander Marguier schrieb am Abend des Razzia-Tages hierzu: 

Ich habe heute mit etlichen Kollegen aus anderen Medien gesprochen – auch solcher Medien, die bei der überschäumenden Umsturzplan-Berichterstattung ganz vorne mit dabei waren. Unisono (und natürlich nur im Vertrauen) hieß es: Uns kommt das alles auch völlig übertrieben vor, aber wenn die Konkurrenz so dramatisch reagiert, können wir die Sache nicht auf kleiner Flamme kochen. Und überhaupt könnte ein falscher Eindruck entstehen, wenn wir nicht groß miteinsteigen. 

Man kann es auch so formulieren: Dem Vorwurf der Verharmlosung wohnt in Zusammenhang mit der Großrazzia selbst eine ordentliche Portion Verharmlosung inne, weil allerlei Facetten dieses Einsatzes einfach ausgeklammert werden: darunter Abhängigkeitsverhältnisse, die kommunikative Zielsetzung der Verantwortlichen, der Herdentrieb der bestellten Journalisten und mögliche Verstöße gegen den Pressekodex. Unabhängig davon übrigens, ob es sich bei den vermeintlichen Reichsbürgern tatsächlich um eine „Terrogruppe“ handelte oder doch nur um eine Handvoll „Spinner“, die ihre Ewiggestrigkeit gemeinsam in Telegram-Gruppen kultivierten. 

Bemerkenswert ist gleichwohl, wie sehr man sich in der Bundesregierung bemüht, unbedingt das Narrativ aufrecht zu erhalten, Deutschland sei gerade so am 4. Reich vorbeigeschrammt, obwohl noch kein einziges Urteil gegen die Verhafteten gefallen ist. FDP-Politiker Konstantin Kuhle twitterte hierfür sogar ein Bild eines Buches über den Hitler-Putsch 1923, um den Ernst der Lage 99 Jahre später zu unterstreichen. 

Da drängen sich schon einige Fragen auf: Wie gefährlich waren diese Leute wirklich? War es tatsächlich eine Terrorgruppe oder nur eine Handvoll Spinner? Wie unabhängig war die Berichterstattung über die Großrazzia? Welche Ziele verfolgte das Bundesinnenministerium mit seinem PR-Spektakel? Hat Prinz Heinrich XIII. Preuss überhaupt genug „Führerqualitäten“? Und warum wird unisono und ganz selbstverständlich einfach nachgeplappert, was die Bundesregierung vorplappert von „Putschversuch“ und „Staatsstreich“?

Der Kritiker wird zum Ketzer 

Es ist nicht nur legitim, diese und weitere Fragen zu stellen, sondern aus journalistischer Perspektive sogar zwingend notwendig, weil es eben die Aufgabe von Journalisten ist, kritische Fragen zu stellen. Gut, das mit Prinz Heinrich XIII. Preuss und seinen „Führerqualitäten“ war ein (schlechter?) Scherz. Aber die Handvoll Fakten, die derzeit zu der Großrazzia auf dem Tisch liegen, werfen eben mehr Fragen auf als sie Antworten liefern.

Weshalb man, Stand heute, sehr wohl auch zu dem Schluss kommen kann, dass das ganze Tohuwabohu übertrieben war – oder auch nicht. Das darf auf Basis der derzeitigen Gewissheiten und noch mehr Ungewissheiten jeder für sich selbst entscheiden. Das finale Urteil obliegt dann ohnehin den Gerichten, nicht einzelnen Kolumnisten, die die eigenen Hypothesen zur Wahrheit erklären und den Kritiker zum Ketzer. Denn so ein bisschen Misstrauen gegenüber den politisch Verantwortlichen ist keineswegs „verharmlosend“, sondern Ausdruck eines wachen Geistes aufgeklärter Bürger. 

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