Postscriptum - Auferstehung der Corona-Krise

Im Februar 2024 musste die Berliner Pannenwahl von 2021 wiederholt werden. Als wäre das für den Urnengänger nicht schon Zeitreise genug gewesen, war auch sie plötzlich wieder da: die Corona-Krise.

Auszählung der Briefwahl-Stimmen in der Max-Schmeling-Halle / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Dies ist die Schlusskolumne der aktuellen Cicero-Ausgabe. 

Ein wenig erinnerte alles an Wolfgang Beckers Filmklassiker „Good bye, Lenin!“. Sie erinnern sich? Eine überzeugte DDR-Sozialistin fällt kurz vor dem Fall der Berliner Mauer ins Koma. Damit der Schock beim Wiedererwachen nicht allzu gewaltig ausfällt, lassen Familie und Umfeld kurzerhand den soeben untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat wiederauferstehen – zumindest auf den wenigen Quadratmetern einer Zweiraumwohnung in Ostberlin.

Nun war im selbigen Berlin des Jahres 2021 nicht gleich wieder ein ganzes Land untergegangen, doch zumindest war das Vertrauen in die Demokratiefähigkeit ein Stück weit abgestorben, als am Abend der damaligen Bundestagswahl bekannt geworden war, dass es bei der Abstimmung in der Hauptstadt zu zahlreichen Pannen gekommen war. Das Bundesverfassungsgericht hatte daher im Dezember vorigen Jahres entschieden: In 455 von 2256 Wahlbezirken müsse die Wahl wiederholt werden.

Dicke FFP2-Maske vor der Nase

Als einer von 549 549 Wiederholungstätern also schritt auch der Schlusskolumnist am 11. Februar noch einmal an die Urne. Und was soll ich sagen: Es war alles wie damals! Als wäre noch immer Corona, trugen rücksichtsvolle Bürger meist jüngeren Alters eine dicke FFP2-Maske vor der Nase; und selbst die ollen Plexiglasscheiben, die damals schützend zwischen Wahlhelfer und Souverän platziert waren, hatte irgendwer noch einmal aus dem Keller geholt.
 

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Das Vertrauen in die demokratische Wahl müsse geheilt werden, hatte Berlins Wahlleiter Stephan Bröchler gesagt. Und was wäre heilsamer als ein Sprung in die gute alte Zeit? Wer seine Blicke durch die Wahllokale schweifen ließ, entdeckte daher die beruhigende Trias aus Berlin-, Europa- und Deutschlandfahne – und vermisste im Stillen vielleicht schon die progressive Hinzufügung von Regenbogen- und Ukraineflaggen, wie man sie seit 2021 dutzendfach im Berliner Stadtraum gesehen hat. Alles also schien irgendwie noch einmal gut geworden zu sein in dieser Wahlwelt von gestern.

„Die Welt hat sich verändert“

Doch wie bei „Good bye, Lenin!“ kam dann für viele das böse Erwachen: SPD -7,85 Prozent, AfD +5,6 Prozent. Franziska Giffey (SPD) versuchte sich rauszureden: „Die Welt hat sich verändert“ – panta rhei –, lautete ihre philosophische Tröstung. Wohl wahr! Fragt sich nur, wann sich das politische Mindset an diese Veränderung anpasst.

 

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