Pommes & Co beliebter als Speisekartoffeln - Alles geht den Bach runter – auch die Kartoffel

Der Verzehr von Speisekartoffeln ist auf einem neuen Tiefstand angelangt. Für unseren Genusskolumnisten ist das Anlass zu großer Sorge. Er wünscht sich für Deutschland eine Kartoffel-Zeitenwende mit Doppelwumms.

Kartoffelernte / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Der offensichtliche Niedergang Deutschlands hat viele Facetten. Die Deindustrialisierung schreitet voran, das Bildungssystem und die Infrastruktur sind marode, die Energie- und Klimaschutzpolitik sind bitterböse Lachnummern, die Regierung irrlichtert um sich selbst, und der gesellschaftliche Zusammenhalt erodiert zunehmend.

Angesichts dieser tiefgreifenden, bedrohlichen Prozesse erscheinen alltagskulturelle Veränderungen eher nebensächlich zu sein. Aber wenn ausgerechnet die Kartoffel –  also das deutscheste aller deutschen Grundnahrungsmittel – jetzt auch noch in einen Abwärtsstrudel gerät, dann gibt das schon zu denken.

Die Zahlen sind eindeutig: Im Wirtschaftsjahr 2022/23 verbrauchten die Deutschen 4 kg weniger Speisefrischkartoffeln als im Vorjahr, insgesamt waren es nur noch 16,2 kg pro Kopf. Der Verzehr von Kartoffelerzeugnissen wie Pommes frites, Kartoffelsalat oder Chips nahm hingegen um mehr als zwei auf 37,9 kg pro Person zu. Insgesamt ist der Kartoffelverbrauch seit 1990 um 28 Prozent zurückgegangen.

Nichts gegen Pommes, aber ...

Wie bitte? Statt sich an der großartigen Kartoffelvielfalt aus überwiegend heimischen Anbau – von der mehligkochenden „Adretta“ bis zur festkochenden „Linda“ – zu erfreuen, greifen die Konsumenten zunehmend zu zweifelhaften Produkten. Wie etwa Tiefkühl-Pommes und ähnliche Speisen aus denaturiertem Kartoffelmehl und gehärteten Fetten. Anscheinend liegt es für immer mehr Menschen außerhalb der Vorstellungskraft, eine Kartoffel schlicht selber zu schälen, zu kochen oder zu braten. Kostet viel zu viel Zeit und ist auch viel zu viel Action.

Auch der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl betrachtet diese Entwicklung mit Stirnrunzeln. Generell habe er nichts gegen Pommes oder Kroketten aus dem Tiefkühlfach, denn „die können schmackhaft sein und ich sehe keinen Grund, warum man die nicht von Zeit zu Zeit mal verzehren sollte“.  Traurig sei dagegen, wenn „das Superfood Kartoffel darauf reduziert wird“, denn das werde der „Vielfalt der Genussmöglichkeiten einfach nicht gerecht“.

Verrat am „Alten Fritz“

Und auch nicht ihrer kulinarhistorischen Bedeutung. Ihren Ursprung hat die Kartoffel in Südamerika. Spanische Eroberer brachten sie nach Europa, und über die Niederlande gelangten diese Nachtschattengewächse schließlich auch nach Deutschland. Der erste feldmäßige Anbau fand wohl 1647 im fränkischen Pilgramsreuth statt. Doch bald wurde das Potenzial der Kartoffel für die Volksernährung erkannt, und ihr Siegeszug durch deutsche Lande begann. Einer der wichtigsten historischen Kartoffelprotagonisten war der preußische König Friedrich II. (der „Alte Fritz“), der erstmals 1745 ein Gesetz erließ, demzufolge die Bauern zehn Prozent ihrer Ackerfläche mit Kartoffeln zu bepflanzen haben.
 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:


Das stieß zunächst auf wenig Resonanz, und so folgten in den kommenden Jahren etliche „Kartoffelbefehle“, die von seiner intensiven Beschäftigung mit der Knolle zeugen. Es gab detaillierte Anleitungen über geeigneten Boden, seine Bearbeitung und das Auspflanzen der Kartoffeln, sowie ihre Verwendung für die menschliche Ernährung und als Viehfutter. Beschrieben wurden unter anderem ein Mischbrot aus Kartoffelmehl und Roggen und Kartoffelpüree. In einem Dekret heißt es: 

„Wo nur ein leerer Platz zu finden ist, soll die Kartoffel angebaut werden, da diese Frucht nicht allein sehr nützlich zu gebrauchen, sondern auch dergestalt ergiebig ist, daß die darauf verwendete Mühe sehr gut belohnt wird.“

Ernährungssoziologe fordert „Kartoffelrevolution“

Es dauerte einige Zeit, bis sich die Kartoffel breit etablierte. Der Ernährungssoziologe referiert:

„Aber als sie das geschafft hatte, von da an hatte man ihr viel zu verdanken. Sie hat die Menschen durch raue Zeiten gebracht, in denen es sonst nicht mehr viel gab. Und sie hat das nicht mit einer oder zwei, sondern mit zahllosen Möglichkeiten der Zubereitung geschafft: Pellkartoffeln, Salzkartoffel, Reibekuchen, Kartoffeltorte, Kartoffelklöße, Kartoffeleintopf, Kartoffelsalat, Bratkartoffel und so weiter und so fort. Man kann sie mit Kräuterquark, mit Apfelmus, mit Fisch, mit Fleisch und einfach so essen.“ 

Daher sei der Bedeutungsverlust der Knolle „doch beschämend“ und für ihn auch ein Zeichen „für das nachlassende kulinarische Bildungsniveau in manchen Milieus im Lande“. Schließlich gebe es inzwischen ja auch Zeitgenossen, die sich „in Plastikfolie eingeschweißte, vorgebratene Spiegeleier kaufen“. Kofahl fordert jedenfalls nicht weniger als eine „erneute Kartoffelrevolution“. Aber hoffentlich nicht so eine wie die preußische Hungerrevolte im Jahr 1847, „sondern diesmal aus Genussstreben heraus“.

Das Kartoffellied

Ob, und wenn ja in welcher Form vielleicht doch noch mal ein „Kartoffelruck“ bzw. eine „Kartoffel-Zeitenwende“ durch Deutschland geht, lässt sich schwer einschätzen. Wünschenswert wäre es auf alle Fälle. Eine Hymne für eine derartige Bewegung gäbe es jedenfalls. Denn bereits 1783 setzte der große holsteinische Lyriker Matthias Claudius der Kartoffel ein literarisches Denkmal:

Kartoffellied
Pasteten hin, Pasteten her, 
was kümmern uns Pasteten? 
Die Kumme hier ist auch nicht leer 
und schmeckt so gut als bonne chere 
von Fröschen und von Kröten.

Und viel Pastet und Leckerbrot 
verdirbt nur Blut und Magen. 
Die Köche kochen lauter Not, 
sie kochen uns viel eher tot; 
Ihr Herren, lasst Euch sagen!

Schön rötlich die Kartoffeln sind 
und weiß wie Alabaster! 
Sie däun sich lieblich und geschwind 
und sind für Mann und Frau und Kind 
ein rechtes Magenpflaster.
 

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