Philosoph der Ausgrenzung - Habermas' linker Politstempel

Der Philosoph Jürgen Habermas gilt als wichtiger Vordenker der politischen Linken. Mit der nach links gerückten CDU eröffnet sich für ihn eine „zweite Chance“, die postnationalen Visionen eines integrierten EU-Europas umzusetzen. Die Konsequenz: Die Delegitimierung der politischen Rechten.

Jürgen Habermas / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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In längst vergangenen Zeiten, als das politische Klima noch entspannt war und Debatten zumeist zivilisiert, warb Jürgen Habermas, seines Zeichens inoffizieller Staatsphilosoph der Bundesrepublik, für den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“. Liberalere Gemüter überkam bei dieser Formulierung schon immer ein mulmiges Gefühl, denn auch der zwanglose Zwang ist letztlich ein Zwang. Und wer bitte entscheidet, was das bessere Argument ist? Die Mehrheit? Die mediale Öffentlichkeit? Jürgen Habermas?

Die Spaltung westlicher Gesellschaften 

Dann fiel der Eiserne Vorhang und Deutschland wurde, vor nunmehr 30 Jahren, wiedervereinigt. Für einen historischen Wimpernschlag konnte man meinen, die Geschichte käme nun an ein Ende und das postnationale Gesellschaftsmodell des Westens werde seinen Siegeszug um die Welt antreten. Und im gewissen Sinne tat es das auch in Gestalt einer globalisierten Ökonomie. Gegen diese und ihre gesellschaftlichen Kollateralschäden formierte sich allerdings politischer Widerstand: In Frankreich feierte die Front/Rassemblement National Erfolge, Großbritannien trat aus der EU aus, in den USA wurde Donald Trump zum Präsidenten gewählt und in Deutschland etablierte sich die AfD.

Scheitern Kemmerichs als Merkels Schlüsselmoment

Das Ergebnis: Die westlichen Gesellschaften sind tief gespalten. Für Habermas ist das allerdings kein Grund, das eigene Denken in Frage zu stellen. Im Gegenteil. Angesichts des Erstarkens der AfD sieht Habermas nun die Möglichkeit, jenen Teil der Bevölkerung, die seinen linksliberalen Modernisierungsvisionen nicht folgen wollen, in die politische Quarantäne namens AfD zu entsorgen. Unbelastet von demokratisch legitimen Widerspruch und mit einer entsprechend nach links gerückten CDU eröffnet sich für ihn so eine „zweite Chance“ die postnationalen Visionen eines integrierten EU-Europas umzusetzen.

Eine zentrale Rolle kommt dabei den Unionsparteien zu, die der Vordenker aus Starnberg nicht ungeschickt auf die Seite der politischen Linken ziehen möchte. Wie er Anfang August in einem Aufsatz für die Blätter für deutsche und internationale Politik („Die zweite Chance. Merkels europapolitische Kehrtwende und der innerdeutsche Vereinigungsprozess“) darlegte, gerinnt das Scheitern Thomas Kemmerichs in Erfurt Anfang Februar damit zum zukunftsweisenden Schlüsselmoment der Kanzlerschaft Merkels. Hier habe sich die Union in Gestalt Merkels und Söders endgültig von der verschämten Umarmung der nationalkonservativen Wählerschaft verabschiedet, die die Union seit Adenauers Zeiten begleitet habe.

Linkes Politsiegel 

Habermas höchstselbst stellt der CDU nun das Politsiegel „aus linker Sicht unbedenklich“ aus. Ein bemerkenswerter Vorgang. Zum einen, weil Habermas damit ein strategisches Linksbündnis herbeischreiben möchte, das von sich modern wähnenden Kreisen der CDU über SPD und Grüne bis weit in die Linke hineinreicht. Zum anderen, weil der Philosoph des Konsenses die Gesellschaft absichtlich und vorsätzlich in zwei Teile teilt: einen wohlgefälligen und einen abgeschriebenen. Habermas möchte nicht länger argumentieren, er möchte ausgrenzen.

Die Union, so Habermas, habe mit der Distanzierung von der Wahl Kemmerichs politisch anerkannt, dass es eine Partei rechts von ihr gebe und damit zugleich ihre nationalkonservative und wirtschaftsnationale Tradition abgeschüttelt. Vor allem aber, so Habermas triumphierend, habe die CDU so die klassische Hufeisentheorie (also die Äquidistanz zu Kommunismus und Faschismus) aufgegeben und sich von der „moralisierenden Diskriminierung der Linken“ verabschiedet – zugunsten einer moralisierenden Diskriminierung der Rechten, ist man versucht zu ergänzen.

Habermas beraubt die CDU ihrer konservativen Wurzeln

Habermas' Folgerung: Unter dem Eindruck der Corona-Krise habe die Union nun, befreit von der Rücksicht auf ihre ehemaligen nationalistischen Wähler, die titelgebende „zweite Chance“, das Projekt der Einigung Europas zu vollenden.
Dass damit die Union dauerhaft auf Bündnisse mit der moralisch rehabilitierten Linken festgelegt wäre, weiß Habermas wohl. Aber damit wäre sein Lebensziel erreicht: die unterschiedslose Delegitimierung und Marginalisierung der politischen Rechten. Auch das ist natürlich eine Form eines zwanglosen Zwangs. Dass er damit zehn bis zwanzig Prozent der Wahlbevölkerung faktisch ausgrenzt, muss man wohl als List der kommunikativen Vernunft begreifen.

Es ist mehr als bemerkenswert, dass der vielleicht wichtigste Vordenker der politischen Linken die CDU nun endgültig umarmt und so ihrer konservativen Wurzeln berauben sucht. Der Vorteil dieses Schachzuges: Es kann nun in der Union keiner mehr behaupten, niemand hätte ihn gewarnt. Schon bald wird sich zeigen, ob die CDU den Lockrufen Habermas’ erliegt und bereit ist, die Linke als das einzige legitime demokratische Politprojekt anzuerkennen.
 

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