Pferdefleisch - Hochwertig und schmackhaft - aber unbeliebt

Mit Bedauern hat unser Genusskolumnist zur Kenntnis genommen, dass der letzte Roßschlachter in Berlin seinen Betrieb aufgegeben hat. Und nutzt diesen traurigen Anlass, um eine Lanze für Pferdefleisch zu brechen. Denn wer seine möglicherweise vorhandene „Kulturschranke“ überwindet, auf den wartet eine spannende Geschmackswelt.

Dry-Aged Pferdelende mit Champignons und Zwiebeln in Rotweinjus / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Und wieder ist in Berlin eine Ära zu Ende gegangen. Vor gut einer Woche schloss die Roßschlachterei Bredel in Berlin-Spandau endgültig ihre Pforten. Damit endete eine lange Tradition. Der 1896 gegründete Familienbetrieb war der letzte seiner Art in Berlin. In dem kleinen Ladengeschäft wurden Fleisch- und Wurstwaren aus eigener Herstellung angeboten, auf Bestellung auch Pferdemark und frisches Hackfleisch. Zwar sind Produkte aus Pferdefleisch auch weiterhin in Berlin erhältlich, da es im Brandenburger Umland noch einige Betriebe gibt. Doch abgesehen von einigen „Inseln“ hat Pferdefleisch in Deutschland generell einen schweren Stand. Aber warum ist das so?

Keine Massentierhaltung, umfassende Kontrolle

Am Geschmack und der Qualität kann es nicht liegen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) verweist darauf, dass Pferdefleisch nur etwa halb so fett wie Rind sei und dabei ähnlich proteinreich. Sein Geschmack ist kräftig und ähnelt dem des Rindfleischs, ergänzt durch eine ganz leicht süßliche Note. Die Produkte stammen in Deutschland weder aus Massentiertierhaltung noch aus industrieller Verarbeitung, sondern aus handwerklichen Betrieben. Die Produktpalette ähnelt der von Schweinen und Rindern bekannten: Braten- und Schmorstücke aus verschiedenen Partien, Brüh- und Rohwürste, Schinken, Rouladen, Gulasch. Veterinärkontrolle und Kennzeichnung sind umfassend geregelt, etwa durch den EU-weit verbindlichen Equidenpass, in dem ein Schlachtpferd bereits nach der Geburt als solches deklariert wird und entsprechenden Restriktionen bei der Medikamentengabe unterliegt. Eine nachträgliche Deklarierung als Schlachtpferd ist nicht möglich.

Pro-Kopf-Verbrauch kaum noch messbar

Dennoch wird Pferdefleisch das Stigma der vermeintlichen Minderwertigkeit nicht los. Als Notbehelf in Krisenzeiten – etwa während und nach den beiden Weltkriegen – wurde es zwar akzeptiert, doch wenn sich die Versorgungslage besserte, verschwand es wieder in der Nische. Auch der Gesetzgeber wirkte an die Stigmatisierung fleißig mit. Lange Zeit durfte Pferdefleisch nur in speziellen Betrieben geschlachtet, verarbeitet und verkauft werden. Erst ab 1986 entfielen diese Restriktionen weitgehend. Da spielte Pferdefleisch schon längst kaum noch eine Rolle. Der jährliche Pro-Kopf-Konsum sank von immerhin 800 Gramm im Jahr 1950 auf unter 50 Gramm im Jahr – in Italien sind es aktuell immer noch 800 Gramm.

In der Schweiz als „Kulinarisches Erbe“ anerkannt

Dagegen gilt Pferdefleisch nicht nur in Italien, sondern auch in Frankreich, Belgien, Spanien und der Schweiz noch immer als Delikatesse. In der Schweiz wurde es sogar offiziell zum „Kulinarischen Erbe“ erklärt und 2019 in die Liste der Produkte aufgenommen, die „regional und national mit den traditionellen Ess- und Trinkgewohnheiten verwurzelt sind“. Quasi gleichrangig mit Spezialitäten wie Bündnerfleisch, Appenzeller Käse und Rüblitorte. Dagegen gab es in Deutschland eine regelrechte Ekel-Hysterie, als 2013 bekannt wurde, das in einigen Tiefkühl- Fertigprodukten, vor allem Lasagne, Pferde- statt wie angegeben Rindfleisch verarbeitet worden war.

Irrationale Ablehnung

Meine sporadischen Begegnungen mit Pferdefleisch waren meistens sehr erfreulich. Als Jugendliche gingen wir manchmal ins „Britzer Roß“, und Pferdebockwürste und -knacker habe ich an diversen Marktimbissen genossen. Später gab es dann in meiner Moabiter Kiezkneipe „Zum Stammtisch“ in der Winterzeit mitunter Pferderouladen. Nicht so gut kam es allerdings mal bei meiner damals sehr pferdebegeisterten Tochter an, als ich ausgerechnet auf einer Trabrennbahn genüsslich eine Pferdebockwurst verzehrte und mir den Scherz erlaubte, die stamme von dem Pferd, das im ersten Rennen Letzter geworden war. Nahezu Entsetzen löste es aus, als ich bei einem gemütlichen Grillnachmittag auf meiner Datsche köstliche Buletten servierte und dann eher beiläufig erwähnte, dass ich die aus frischem Pferdehackfleisch gemacht habe. Selten habe ich das Bild vom Bissen, der jemandem im Halse steckenbleibt, so plastisch erlebt.

Einfach mal probieren

Wie dem auch sei: Es gibt keinen rationalen Grund, Pferdefleisch abzulehnen oder gar zu verdammen, nicht seine Qualität und erst recht nicht den Geschmack betreffend. Wer die „Kulturschranke“ überwinden mag, sollte einfach mal den Einstieg in die spannende Geschmackswelt des Pferdefleischs wagen – und wird sehr angetan sein, egal ob am Wurststand, in einem der (seltenen) Restaurants, die Pferdegerichte anbieten. Oder auch in der heimischen Küche, etwa bei der Zubereitung von Buletten oder Rouladen. Man muss dabei allerdings im Kopf behalten, dass Pferdefleisch sehr mager ist und bei falscher Zubereitung arg trocken werden könnte. Ansonsten ist alles so, wie bei vergleichbaren Rindfleischgerichten. Statt eines Rezepts gibt es daher diesmal ein Verzeichnis von Bezugsquellen. Na dann: Ran an den Gaul.

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