Debatte um Münchner Allianz-Arena - Verlogener Regenbogen

Die Kritik an der UEFA, die es ablehnte, die Allianz-Arena gegen die ungarische Regierung zu politisieren, offenbarte die Doppelmoral von Politikern wie Heiko Maas. Denn ausgerechnet die politische Klasse praktiziert für sich selbst ganz ähnliche Regeln wie die UEFA

Deutschlands Torwart Manuel Neuer mit der Regenbogenbinde, die kurze Zeit für Aufregung sorgte / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Weltmeisterschaften sind so etwas wie die kleinen Kinder der Olympischen Spiele und Europameisterschaften deren Enkel. Jenseits von kulturellen Unterschieden, religiösen Überzeugungen oder weltanschaulichen Gewissheiten treten Sportler als Repräsentanten ihrer Nationen regelmäßig in Wettstreit miteinander.

In der Antike galten derartige sportliche Wettbewerbe in erster Linie als Mittel zur Verehrung des Göttervaters Zeus. Erstmals durch Siegerlisten nachweisbar im Jahre 776 v. Chr. hielt die Tradition mehr als 1.000 Jahre. Alle vier Jahre reisten Sportler nach Olympia auf der Halbinsel Peloponnes, um im Stadionlauf, Diskuswurf, Weitsprung, Speerwerfen oder Ringen gegeneinander anzutreten. Über die Jahrhunderte kamen immer weitere Disziplinen hinzu.

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Es muss Burgfrieden herrschen

Wiederbelebt wurde die antike Tradition erst im Jahre 1896 auf Initiative des Baron Pierre de Coubertin mit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit in Athen. Er knüpfte dabei nicht nur äußerlich an die antike Tradition an, sondern wollte den Olympia-Gedanken zu einer modernen „Religion“ erheben, die sich der „Sache des Friedens“ verschreibt: „Die Idee des Friedens ist ein wesentlicher Bestandteil des Olympismus (…). Für jedes ausschließlich nationale Empfinden muss dabei ‚Burgfrieden‘ herrschen, oder, um es anders auszudrücken, jedes Nur-National-Empfinden muss dabei vorübergehend auf Urlaub geschickt werden.“ Im Geleitzug der Wiederbelebung der olympischen Idee entstanden weitere internationale Wettbewerbe, so im Jahre 1930 die Fußballweltmeisterschaft und im Jahre 1966 die Fußballeuropameisterschaft.

Die Idee der Völkerverständigung war dabei im Grunde auch bloß eine modernisierte Kopie des antiken Originals. Seinerzeit mussten die griechischen Stämme drei Monate vor Beginn der Spiele jegliche Kriegshandlungen einstellen. Der Olympische Friede dauerte an, bis die Athleten wieder in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Oder er sollte es zumindest.

„Die Besudelung des Sports“

Aber nicht die Rechtsbrüche sind entscheidend, sondern dass sie überhaupt möglich waren. Der Grundsatz, dass während der Sportwettbewerbe die Waffen zu schweigen hatten, diente nicht nur der Ehrung der gemeinsamen Götter, sondern beschwor eine prinzipielle Gleichheit jenseits aller Unterschiede. Das olympische Friedensgebot war gleichbedeutend mit einem Politikverbot in den Welten des Sports. Die Instrumentalisierung des Sports zu politischen Zwecken wäre den Griechen als Besudelung ihres Göttervaters Zeus vorgekommen.

Dieses Gespür für die Besudelung des Sports durch dessen Politisierung scheint dem „guten Deutschen“ (Josef Joffe) indes abhandengekommen. Am 18. Juni 2021 hatte der Stadtrat von München über die Beschlussvorlage einer Allparteien-Koalition zu befinden. Sie reichte von der Linkspartei bis hin zur CSU. Während sich die Konservativen deutschlandweit sonst darin überbieten, vor der Gefahr einer grün-rot-roten Bundesregierung zu warnen, sieht man eine Kollaboration mit der Linkspartei in München offenbar deutlich gelassener, wenn es einen gemeinsamen Feind gibt.

Ein Sieg für Orban

Mit der Vorlage forderte der Stadtrat den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) auf, sich bei der UEFA dafür zu verwenden, „dass die Allianz Arena am Abend des Spiels in Regenbogenfarben leuchtet“. Gemeint war das Spiel Deutschland gegen Ungarn vom 23. Juni 2021. Der Begründung war auch zu entnehmen, was die Antragsteller damit eigentlich bezweckten: Anlässlich eines Gesetzesbeschlusses des ungarischen Parlamentes vom 15. Juni 2021, mit dem „Informationen über Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit verboten werden, die für Kinder und Jugendliche zugänglich sein könnten“, wollte der Stadtrat von München einem souveränen europäischen Staat eine Missbilligung aussprechen – allerdings vollstreckt durch die UEFA.

Die Reaktion der UEFA auf das anschließende Schreiben Reiters ist bekannt: Sie lehnte den Antrag ab. Und die Begründung hierfür steht in bester olympischer Tradition. Die UEFA sei nämlich „aufgrund ihrer Statuten eine politisch und religiös neutrale Organisation. Angesichts des politischen Kontextes dieser speziellen Anfrage - eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen Parlaments abzielt - muss die UEFA diese Anfrage ablehnen.“ All’ die guten Deutschen, die sich in den letzten Tagen gegen Orban und die Entscheidung der UEFA meinten öffentlichkeitswirksam auflehnen zu müssen, bescherten dem ungarischen Regierungschef in Wahrheit ein weiteres Mal einen innenpolitischen Sieg. Erneut kann sich Orban als ungarischer David inszenieren, der unerbittlich für die Selbstachtung der Ungarn kämpft.

Symbolpolitik im Wortsinn

Dabei war es vollkommen vorhersehbar, dass es so enden musste. Weder Rathäuser noch Fußballverbände sind für Außenpolitik zuständig. Oberbürgermeister Reiter allerdings sieht das noch immer völlig anders. Er findet die Entscheidung der UEFA gar „beschämend“. Den Alternativvorschlag des Deutschen Fußballverbandes, die Allianz-Arena doch einfach an einem anderen Tag in Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen, erklärte er außerdem für „lächerlich“.

Damit gestand er unfreiwillig haargenau das ein, was ihm die UEFA vorgeworfen hatte, nämlich das sein Schreiben bloß „politisch“, also direkt gegen die ungarische Regierung gerichtet war und der Regenbogen sowie die Europameisterschaft politisch instrumentalisiert werden sollten: „Wir haben es mit Symbolpolitik im Wortsinn zu tun. Mit einem Symbol wird Politik gemacht. Für den Streit, den solche Politik auslöst, sei eine Maxime vorgeschlagen: Man stelle sich bitte nicht dumm!“ (Patrick Bahners) Wäre es der Stadt München tatsächlich ausschließlich um ein Bekenntnis zur Toleranz gegangen, wie Reiter nachträglich betont hatte, hätte sie sich auch mit der Illumination der Allianz-Arena am Christopher-Street-Day begnügen können.

Was daraufhin unter Deutschlands Politikern einsetzte, kam einer Europameisterschaft in Empörungsritualen gleich. Kaum ein Bundes- oder Landespolitiker, der darauf verzichtete, in Pressemitteilungen oder Tweets seinem Moralismus freien Lauf zu lassen. Dazu zählte auch Bundesminister Heiko Maas (SPD), der Außenpolitik offenbar nicht als das rationale und pragmatische Austarieren von Interessenlagen, sondern als eine Art Ethikseminar versteht, in dem er stets der Klassenbeste ist. Allerdings sollte man dabei aufpassen, nicht mit Recht der Heuchelei geziehen zu werden.

Doppelte Standards

Denn ausgerechnet die politische Klasse – vom Kommunalparlament bis hin zum Deutschen Bundestag – praktiziert für sich selbst ganz ähnliche Regeln wie die UEFA. Es genügt dabei ein Blick in die Hausordnung des Deutschen Bundestages, in der zum Beispiel geschrieben steht: „Es ist nicht gestattet, Spruchbänder oder Transparente zu entfalten, Informationsmaterial zu zeigen oder zu verteilen, es sei denn, es ist zur Verteilung zugelassen.“ Auch das Anbringen von Plakaten und Aufklebern ist untersagt. In der Praxis wird diese Festlegung außerdem so ausgelegt, dass es Abgeordneten verboten ist, den Plenarsaal mit propagandistisch gestalteten Kleidungsstücken zu betreten. Insbesondere Abgeordnete von Grünen und Linken wurden wegen dieses Regelbruchs immer wieder des Saales verwiesen.

Sinn dieser Festlegung ist es, das deutsche Parlament als Ort der rationalen Diskussion zu erhalten, in dem die besten Argumente gegeneinander abgewogen werden. Wird das Parlament umgekehrt in einen Demonstrations- und Propagandapark verwandelt, dürfte der rationale Diskurs nicht einmal mehr theoretisch eine Chance haben.

Die Verlogenheit der Empörten

Die deutsche Politik also erlegt sich aus gutem Grunde bestimmte Regeln auf, um die Sicherung des Gemeinwohls nach Möglichkeit allein aus dem Wettstreit der Argumente hervorgehen zu lassen. Und genauso besteht der Sport darauf, dass in seiner Sphäre allein Regeln zu gelten haben, die den fairen Wettkampf um die besten sportlichen Leistungen ermöglichen. Den Versuch, den Sport nach Grundsätzen zu politisieren, die man aus gutem Grunde nicht einmal für sich selbst zu akzeptieren bereit ist, könnte man auch ein Stück weit für verlogen halten.

Sich mit der ungarischen Regierung auseinanderzusetzen, bleibt daher auch weiterhin die Aufgabe der Politik – und nicht des Sports. Die deutsche Nationalmannschaft hat schon genug damit zu tun, das Runde ins Eckige zu befördern. Das bewies ausgerechnet das Spiel gegen Ungarn.

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