Öffentlich-rechtlicher Rundfunk - Schöner denken verlernen mit der ARD

Um das eigene Image aufzupolieren, hat die ARD bei einer Sprachwissenschaftlerin ein Strategiepapier bestellt. Sie empfiehlt, negativ konnotierte Begriffe wie „Manipulation" durch positiv besetzte wie „Teilhabe" zu ersetzen

Rundfunkbeitrag heißt jetzt „Beteiligung der Bürger am gemeinsamen Rundfunk“ / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Rundfunkgebühren sind eine ärgerliche Sache, zumal wenn sie zwangsweise erhoben werden. Viel netter klingt es da, von einem Rundfunkbeitrag zu sprechen. Wer leistet schließlich nicht gern seinen Beitrag? Andererseits: Auch Beitrag klingt immer noch zu defätistisch und zu wenig positiv. Deutlich besser wäre es daher, von einer „Beteiligung der Bürger am gemeinsamen Rundfunk“ zu sprechen.

Realsatire? Ein zynischer Scherz? Eine Persiflage auf die PR-Branche? Schön wär’s. Tatsächlich stammt diese Idee aus einem von der ARD bestellten Strategiepapier, das den bizarren Titel „Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD“ trägt und von dem Berkeley International Framing Institut verfasst wurde. (Veröffentlicht wurde das 69-Seiten lange Papier inzwischen von den Machern der Webseite netzpolitik.org) Das wird geleitet von der deutschen Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling. Es erforscht sprachlich vermittelte Deutungs- und Interpretationsmuster – das sogenannte „Framing“.

Schutzsuchende klingt besser als Migranten

„Framing“ klingt wahnsinnig hip. Dabei handelt es sich im Grunde jedoch um einen alten Hut: nämlich die banale Tatsache, dass Begriffe einer Sprache niemals isoliert dastehen, sondern in ein Bedeutungsnetz eingewoben sind. Das führt dazu, dass verschiedene Bezeichnungen derselben Sache unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. „Frau“ und „Weib“ etwa bezeichnen der Sache nach das Gleiche, nämlich erwachsene weibliche, menschliche Individuen. Sie sind aber mit ganz anderen Bedeutungen verknüpft. Das beste Beispiel für Framing ist aber das „Framing“ selbst. Denn dass Begriffe Konnotationen erzeugen, die eine starke emotionale Wirkung haben und so unser Denken und Handeln beeinflussen, insbesondere auch unser politisches Denken und Handeln, das wussten schon die antiken Rhetoren. Aber angereichert mit ein bisschen neurowissenschaftlichem Schnickschnack und Informatikjargon, flott präsentiert mit Headset und Powerpoint steigt man so allen Ernstes zur Politberaterin auf. Frau Wehling sei’s gegönnt.

Doch auch banale Tatsachen sind Tatsachen. Natürlich kann man Menschen sprachlich manipulieren. Und ein wichtiges Werkzeug dabei ist es, Sachverhalte sprachlich neu zu konnotieren – sie zu „framen“. „Schutzsuchende“ etwa klingt viel freundlicher als „Migranten“. Und wer rhetorisch Nägel mit Köpfen machen will, spricht am besten gleich von „Schutzberechtigten“. Angesichts der Imageprobleme der ARD empfiehlt besagtes Strategiepapier eine Moralisierung der Selbstdarstellung: „Wenn Sie Ihre Mitbürger dazu bringen wollen, den Mehrwert der ARD zu begreifen und sich hinter die Idee eines gemeinsamen, freien Rundfunks ARD zu stellen […] dann muss Ihre Kommunikation immer in Form von moralischen Argumenten stattfinden.“ Das bedeutet: „Denken und sprechen Sie nicht primär in Form von Faktenlisten und einzelnen Details“, sondern „denken und sprechen Sie zunächst immer über die moralischen Prämissen.“ Ein erster Schritt dazu: Nicht länger von öffentlich-rechtlichem Rundfunk reden. „Gemeinwohlorientierter Rundfunk“ klingt viel freundlicher. Denn, so die Botschaft: „Die ARD ist die Gesellschaft: Wir sind Ihr!“

Die ARD, der verlängerte Arm des Bürgers

Selbst literarisch Unbedarfte erinnert dieser Jargon fatal an den „großen Bruder“ und an das berühmte „Neusprech“ aus George Orwells Roman „1984“. Und tatsächlich ist Neusprech nur die letzte Konsequenz des Framings, nämlich individuelles Denken auszuschalten – in den Worten Orwells: „Genau genommen wird es gar keine Gedanken mehr geben, wie wir sie heute verstehen. Die richtige Gesinnung zu haben, bedeutet, dass man nicht denkt, nicht zu denken braucht. Die richtige Gesinnung ist unbewusst.“

Das eigentliche Problem der ARD ist somit auch nicht die hilflose Idee, sich mit PR-Techniken ein besseres Image verschaffen zu wollen – obwohl man hier mit gutem Grund einwenden könnte, dass ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk einfache solide Arbeit machen soll statt Imagekampagnen zu lancieren.

Viel problematischer ist das Konzept als Ganzes: Was das Strategiepapier aus dem schönen Kalifornien empfiehlt, ist nämlich nichts anderes als Meta-Framing: Nicht um das Framing geht es, sondern darum, das Framing selbst zu „framen“, es also gesellschaftlich akzeptabel zu machen. Was früher schlicht „Manipulation“ oder „Meinungssteuerung“ genannt worden wäre, heißt jetzt „Beteiligung“ oder „Teilhabe“. Und „die ARD ist der verlängerte Arm des Bürgers“. In der Präambel des Staatsvertrages für Rundfunk und Medien heißt es: „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und privater Rundfunk sind der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sowie der Meinungsvielfalt verpflichtet“. Vielleicht sollte man sich bei der ARD mal wieder daran erinnern. Dann braucht man auch keine Imagekampagnen mehr.

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