Neugestaltung des Berliner Olympiastadions - Sollten wir dann auch noch die Autobahnen beseitigen?

Forderungen wie die von Peter Strieder, das Gelände des von den Nazis erbauten Olympiastadions aus politischen Gründen umzubauen, sind nicht nur eine Frechheit gegenüber Denkmalschützern. Es ist auch ein unmögliches Vorhaben, das dem der Nazis ungewollt ähnelt.

Berliner Olympiastadion: Es geht um die Pflege unseres kollektiven Gedächtnisses / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Der ehemalige Berliner Senator für Stadtentwicklung Peter Strieder (SPD) hat unlängst dafür plädiert, das unter den Nazis erbaute Olympiastadion-Gelände in Berlin kräftig umzugestalten: Die Nazi-Kunst gehöre beseitigt, das Maifeld samt Führertribüne abgeräumt und Straßen wie Gebäude umbenannt. Und vor allem sollten keine unnötigen Steuergelder mehr in den Erhalt dieses „Nazigeländes“ fließen. Und warum? Weil der Wind sich gedreht habe, wie man schließlich an den Morden von Halle und Hanau sowie den Wahlerfolgen der AfD ablesen könne. Was das mit dem Olympiastadion zu tun hat? Ganz einfach: „Der Geist des Rechtsextremismus und Nationalismus - wie er sich auf dem gesamten Olympiagelände manifestiert - ist fruchtbar noch!“

Dieses Argument ist freilich haltlos. Die Bedeutung, die in Stein gehauene Propaganda für eine Gesellschaft entfalten kann, wurzelt nicht in ihrem mineralischen Material, sondern in der Bedeutung, die Staatsbürger diesen Artefakten zuschreiben. Nicht die bloße Existenz dieser Zeitzeugen, sondern ihr Umgang mit ihnen entscheidet über die Wirkungen oder Nicht-Wirkungen der Schatten unserer Vergangenheit. Und zu dieser notwendigen Erinnerungskultur einer Gesellschaft leistet der Denkmalschutz einen unverzichtbaren Beitrag.

„Mimetische Rivalität“

Aber Strieders Vorschlag ist aus ganz anderen Gründen bemerkenswert. Zunächst hat bisher wohl selten jemand so offen bekannt, dass er zugunsten einer politischen Mission den Denkmalschutz am liebsten gleich ganz abschaffen würde, jedenfalls wenn es um „Nazi-Bauten“ geht. Die Experten sollen künftig schweigen und stattdessen die Politik entscheiden. Warum? Weil in Berlin sogar „mit Unterstützung des Denkmalschutzes die Propaganda der Nazis fortgesetzt“ werde. Die bodenlose Frechheit gegenüber den Denkmalschützern, die in dieser Behauptung schlummert, ist dabei nicht einmal das eigentliche Problem. Das wirkliche Problem ist, dass Strieder offenbar gar nicht merkt, wie er sich in seinem Eifer dem Gegner in einem Akt „mimetischer Rivalität“ (René Girard) ungewollt anverwandelt.

Jedes totalitäre Regime zielt darauf ab, den öffentlichen Raum symbolisch zu beherrschen und die Kunst im weitesten Sinne ihrer Doktrin Untertan zu machen. Sie wird zu einem bloßen Moment der Herrschaftssicherung degradiert. Strieder will diese grundsätzliche Logik mit seinen Vorschlägen gar nicht verlassen, sondern den Spieß einfach umdrehen. Während die Nationalsozialisten Kunst und Architektur für ihre Weltanschauung instrumentalisierten, soll der Staat dies nun umgekehrt gegen die Nazis und ihre Hinterlassenschaften betreiben. Aber das glatte Gegenteil des Falschen ist nicht immer unbedingt das Richtige.

Autobahnen beseitigen?

Und es ist im Übrigen eine ziemliche Unmöglichkeit. Wofür hier plädiert wird, ist der aussichtslose Ausstieg aus der Geschichte. Denkt man ihn konsequent zu Ende, müssten wir Deutschen uns endlich zu einem radikalen Bruch bekennen, nämlich die Hinterlassenschaften der Nazis in einem kathartischen Kraftakt dem Erdboden gleichmachen - Gedenkstätten wie Konzentrationslager vielleicht ausgenommen. Aber was hätten wir da nicht alles zu beseitigen: Autobahnen, den 1. Mai als arbeitsfreien Feiertag, die Kilometer-Pauschale, das Ehegatten-Splitting (wobei sich ausgerechnet darüber aus anderen Gründen natürlich reden ließe), das Heilpraktikergesetz, die Verbesserungen des Mutterschutzes, den Bau von bis heute bewohnten, ehemaligen Werkswohnungen der Rüstungsindustrie und und und …

Die Gegenwart hat es nun einmal an sich, dass sie im Wesentlichen geronnene Geschichte ist, modifiziert durch die Erwartungen und Ansprüche der jeweiligen Zeitgenossenschaft. Der Geschichte entfliehen zu wollen, ist folglich eine metaphysische Unmöglichkeit. Selbst in der radikalsten Ablehnung bleibt man auf sie, vielleicht sogar manisch, bezogen und durch sie beeinflusst.

Es geht nicht um Heldenverehrung

Die Aufgabe des Denkmalschutzes besteht darin, für die Geschichte eines Landes bedeutsame Bauten und Kulturgüter zu bewahren. Dabei geht es nicht um Heldenverehrung und die Errichtung einer „Straße der Gutmenschen“, sondern um die Pflege unseres kollektiven Gedächtnisses. So wie echte Kunst nur unter den Bedingungen der Freiheit und nicht ihrer politischen Instrumentalisierung gedeihen kann, hat der Denkmalschutz die Aufgabe, die historisch bedeutsamsten Hervorbringungen jedweder Art vor ihrem Verschwinden zu bewahren. Und es gehört nun einmal zum Schicksal der Menschheit, dass sie zu „Großtaten“ ganz verschiedener Güte in der Lage ist. Die Bewahrung und ggf. auch veränderte Wiederaneignung der Zeugnisse vergangener Schreckensepochen soll in diesem Sinne ständige Mahnung an die Gegenwart sein.

Man möge sich einmal vorstellen, wie unsere Städte aussähen, wenn wir Entscheidungen des Denkmalschutzes nicht mehr in fachkundige Hände legten, sondern der durchaus volatilen und nicht immer von Sachgründen getriebenen Politik überließen. Nach jeder Wahl fegten neue politische Mehrheiten über den öffentlichen Raum hinweg, um ihn symbolisch zu reinigen, mit partikularer Deutungsmacht zu überfluten und auf diese Weise letztlich zu erobern. Der Denkmalschutz verkäme unter diesen Bedingungen zu einem Kampfplatz der Parteipolitik - und mit ihr letztlich die Freiheit der Kunst.

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